Heft 
(1.1.2019) 15
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1.

WER VERKEHRTE WIE MIT WEM?

Fragen zu Zeremoniell und Raum beschäftigte internationale Historikertagung an der Universität

Schon die kleinen Kinder lernen, daß im Umgang mit anderen Menschen gewis­se Verhaltensformen zu beachten sind; daß man beispielsweise einen Erwach­senen nicht duzt, ihm aber stattdessen zur Begrüßung und zum Abschied die Hand reicht. Solcherart alltägliche Um­gangsformen erfahren allerdings noch eine beträchtliche Zuspitzung, wenn man es mit bedeutenden bzw. mächti­gen Personen zu tun hat, als da für un­sere heutige Zeit ein Minister oder für frühere Zeiten ein Kaiser, König oder Papst zu nennen wäre. Um die epochen­spezifischen Erscheinungsbilder von Adel und die Frage, wer mit wem wann nun wie verkehrt hat und dabei welche Regularien beachten mußte, ging es denn auch im einem 4. Symposium der Residenzenkommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, das gemeinsam mit dem Deutschen Histo­rischen Institut Paris und dem Histori­schen Institut der Potsdamer Universi­tät in einem der Communsgebäude so­wie im Schloß Cecilienhof veranstaltet wurde.

Organisiert von Professor Dr. Werner Para- vicini, dem Direktor des Deutschen Histori­schen Instituts Paris und gleichzeitigem Vor­sitzenden der Residenzenkommission, und Professor Dr. Heinz-Dieter Heimann, der in Potsdam mit einer Professur für die Geschich­te des Mittelalters betraut ist, widmeten sich die rund 80 internationalen Tagungsteilneh­mer vor allem der Zeit des ausgehenden Mit­telalters zwischen den Jahren 1200 bis 1600. Sie fragten dabei nach Veränderungen des Zeremoniells und des Raumes und diskutier­ten damit über eines der Glieder in einer lau­fenden Diskussionskette zur interdisziplinä­ren, historischen Adels- und Hofforschung. Aber auch wenn Äußerungsformen des (in der Historie primär adligen) Herrschertums und Formen der Abgrenzung und Nähe zum früher meist ebenfalls adligen Herrschafts­zentrum im Mittelpunkt standen, geht die dahinterstehende Forschung in eine politi­sche, soziologische und kulturelle Richtung, ist sie auf einen Teil der Zivilisationsge- schichte aus:Wir sind auf gar keinen Fall Steigbügelhalter für die preußischen Junker oder eine andere, frühere Führungselite, erklärte Professor Dr. Werner Paravicini. Viel­

mehr arbeite man daran, im europäischen Vergleich die föderale Struktur Deutschlands und anderer Länder an ihrer Wurzel - und d.h. bei der Entstehung der landesherrlichen Residenzen im späteren Mittelalter - zu un­tersuchen. Diese wiederum ist aufs engste mit dem Wachstum der Höfe verbunden, die das wichtigste Machtzentrum Alteuropas darstellten.

Das spezifische Anliegen des Potsdamer Hi­storischen Instituts bei dieser Tagung schil­derte Professor Heimann darüber hinaus mit dem Wunsch, die an der Universität bereits geleistete Forschung auf diesem Feld mit derjenigen von internationalen Forschungs­instituten zusammen zu bringen und Kontak­te zu knüpfen.Diese Tagung war durchaus Teil einer Findungsphase, inwieweit man von Potsdam aus Hof- und Adelsforschung auf den spezifischen Nachholbedarf in den Neu­en Bundesländern abstimmen und intensiver betreiben kann", erklärte der Historiker und fuhr fort:Im Geschichtsbild der ehemaligen DDR wurde Adel eher wegretouchiert.

Es ging folglich auch darum, Korrekturen im Geschichtsbild der Adels- und Hofforschung anzubringen. Dies wurde mit der Frage da­nach versucht, was verlassene Prunkgemä­cher und Schlösser heute nicht mehr zeigen: das durch ein strenges Zeremoniell fixierte Verhalten gegenüber dem Herrscher und die mit Hilfe von Zeremoniell und Raum erleich­terte Form der Machtausübung.

Seinen deutlichen Ausdruck fand dies erst­mals im ausgehenden Mittelalter, als sich im Zuge der Etatisierung und der Staatsbildung das Verhalten der Menschen gegenüber ih­rem Herrscher und umgekehrt veränderte. Die Machtkonzentration auf seiten des Herr­schers bewirkte eine sich immer mehr vergrößerende Distanz, durch die Nähe erst zur Auszeichnung wurde. Als Äußerungs­formen dieses Wandels diskutierten die Ta­gungsteilnehmer beispielsweise über frühe­re Etiketten, die ursprünglich lediglich die Zettel darstellten, auf denen die Namen der bei Hofe Wohnenden verzeichnet waren.

Als weitere Zeichen der Machtausübung wären Rituale als standardisierte Verhaltens­weisen zu nennen, Zeremonielle als visuell sichtbare Ketten von Ritualen und bauliche Veränderungen der Räume, in denen diese Rituale erst so richtig zum Tragen kamen. Der Herrscher distanzierte sich von den an­deren immer mehr, sei es nun durch eine zu-

Der Einzug des Königs in eine Stadt mit Bischofs­sitz fand bereits im 14. Jahrhundert unter Wahrung eines feierlichen Zeremoniells statt. Unser Bild zeigt Karl TV. und Wenzel IV. sowie (zwischen ihnen) Karl V. von Frankreich am 4. Januar 1378 bei ihrem Einzug in Paris. Abb.: bu.

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