„ER WAR EIN LEHRER"
Wissenschaftliches Kolloquium zum 200. Todestag von Heinrich Julius Bruns
Lehrer werden eher kritisiert als gewürdigt. Heute wie damals. Einer, dessen Verdienste ob seiner Reformbestrebungen nicht in Vergessenheit gerieten, ist der Bauernsohn, Kantor und Dorfschullehrer Heinrich Julius Bruns (1746 - 1794). So wurde ihm sogar die Ehre zuteil, in einen Nekrolog (Nachrichten über das Leben hervorragender Deutscher) aufgenommen zu werden. Im Schloßpark von Reckahn bei Brandenburg ließ man ihm eine Gedenksäule mit der Inschrift „Er war ein Lehrer“ setzen. Der Grund dafür lag in seiner Lehrertätigkeit, die untrennbar mit den Reformbestrebungen von Friedrich Eberhard von Rochow (1734 -1805) verbunden ist. Rochow, einer der ersten Adligen Preußens, erkannte den Zusammenhang zwischen Rationalisierung der landwirtschaftlichen Produktion und Verbesserung der Bildung der Landbevölkerung. Der Autodidakt Bruns, erster Lehrer an der 1773 gegründeten Reckahner Dorfschule, setzte diese Verbindung um und entwickelte „seine Schule“ zu einer Mustereinrichtung unter den deutschen Volksschulen.
Trotz dieser Pionierleistung ist das Schaffen des Dorfschullehrers Bruns bisher kaum wissenschaftlich aufgearbeitet worden. Auch deshalb lud der Lehrstuhl „Historische Pädagogik“ aus Anlaß des 200. Todestages von Heinrich Julius Bruns am 24. September 1994 in Reckahn zu einem wissenschaftlichen Kolloquium ein. Rund 50 Lehrer und Wissenschaftler aus Brandenburg und Berlin, sogar ein Professor aus Japan reiste an, nahmen teil. Die Beiträge der Fachwissenschaftler beschäftigten sich sowohl mit Leben und Werk von Bruns als auch mit seinem Verhältnis zu Rochow sowie mit der praktischen Arbeit des Lehrers. Zu Inhalten der Konferenz und der zukünftigen Arbeit des Lehrstuhls „Historische Pädagogik“ unterhielt sich für „PUZ“ Dr. Barbara Eckardt mit dessen Leiter, Prof. Dr. Hanno Schmitt:
PUZ: In Ihrem Beitrag auf der Konferenz „Das Lehramt war ihm eine wirkliche Herzensangelegenheit“ zeigten Sie die Bedeutung von Bruns auf. Warum wurden ihm nach seinem Tode bleibende Verdienste bescheinigt? Schmitt: Es war eine große Auszeichnung, daß erstmals ein Lehrer mit einem Denkmal geehrt wurde. Bruns steht für die Bedeutung einer kontinuierlichen Reformarbeit im Klassenzimmer und die unspektakuläre Überwindung der alltäglichen Schwierigkeiten im Unterricht. Ohne eine derartige erfolgreiche Unterrichtspraxis kann keine Bildungsreform zum Erfolg führen. Die gesellschaftliche und
pädagogische Prominenz des späten 18. Jahrhunderts gab sich die Türklinke zu Bruns’ Schulstube in die Hand. Fürstliche Familien, preußische Minister, das gesamte Berliner Oberkonsistorium, der Verleger Nicolai, alle Lehrer der damals berühmten Reformschule, des Dessauer Philanthropins, Erziehungsschriftsteller und Schulreformer besuchten seinen Unterricht. Vor 200 Jahren war der Pädagoge schon von der Wichtigkeit des ersten Unterrichts und seinem Einfluß auf das ganze Leben überzeugt. Bruns wußte bereits um die Schlüsselstellung eines geglückten Anfangsunterrichts für den individuellen Bildungsgang eines Menschen. Freundlichkeit und Liebe zu den Kindern waren die wichtigsten pädagogischen Mittel in der Reckahner Schule. Das alles ist aus heutiger schulpädagogischer Sicht geradezu modern. Bruns hat als Lehrer die kindlichen Bedürfnisse und die Motivationsstruktur zutreffend beobachtet und in den Unterricht integriert. Er entwickelte eine reformpädagogische Unterrichtsmethode, die den Unterrichtsablauf am individuellen Erkenntnisvermögen der Schülerinnen und Schüler orientiert. Beispielgebend bis heute ist auch die Tatsache, daß sich der Reformer ebenso wie um seine Schüler um die Lehrerausbildung bemühte. Bei meinen historischen Forschungen geht es mir immer auch um jene, die wie Bruns durch eine erfolgreiche Unterrichtspraxis Schule reformieren. Das hat einen sehr aktuellen Bezug. Reformen spielen sich in den Schulen ab, vor 200 Jahren ebenso wie heute. Deshalb ist die Frage nach der Anziehung von Bruns eine spannende Forschungsaufgabe.
PUZ: Weshalb war es Ihnen so wichtig, Ihre Konferenz vor Ort, in Reckahn, durchzuführen? Schmitt: Die Universität muß meiner Meinung nach in allen Bereichen kooperieren. Deshalb gingen wir nach Reckahn. Die Referenten und Gäste haben ihre Freude darüber zum Ausdruck gebracht. Diese Art der Veranstaltung war auch für sie etwas Neues. Nach meiner festen Überzeugung hat die Universität die Verpflichtung, die in der Region vorhandenen historischen Bildungsstätten im Rahmen eigener guter Lehrveranstaltungen wieder stärker für zukünftige Lehrerinnen und Lehrer ins Bewußtsein zu rücken. Unser Kolloquium ist sicher ein richtiger Schritt in diese Richtung.
PUZ: Sie sind dabei, eine Forschungsstelle für Brandenburg-Berlinische Bildungsgeschichte aufzubauen. Welches Ziel verfolgen Sie damit?
Schmitt: Das Kolloquium in Reckahn war eine Eröffnungsveranstaltung auch für diese Forschungsstelle. Eine derartige Einrichtung
Kritische Blicke warfen heutige Schülerinnen auf diese historische Schulbank. Sie wurde gemeinsam mit anderen Exponaten im Reckahner Schloß aus Anlaß des 200. Todestages des Lehrers Heinrich JuUus Bruns ausgestellt. Foto: Eckardt
gibt es bisher im Raum Berlin-Brandenburg nicht. Als Forschungsabteilung dient diese der Innovation von bildungs-, erziehungs- und schulgeschichtlichen Forschungsprojekten. Natürlich bildet sie auch den Rahmen für den Erwerb von Drittmitteln. Sie bemüht sich ebenso um die interdisziplinäre Kooperation mit den an der Universität bestehenden Forschungseinrichtungen.
PUZ: Welche Kooperationspartner haben sie darüber hinaus?
Schmitt: Wir kooperieren bereits mit der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschungen, die u.a. die Bibliothek des ehemaligen Hauses des Lehrers Berlin beherbergt, und mit dem Lehrstuhl „Historische Erziehungswissenschaften" der Humboldt-Universität zu Berlin. Wir suchen Kontakte zu für die Brandenburg-Berlinische Bildungsgeschichte wichtigen Institutionen wie Landeshauptarchiv, Kirchen-, Stadt- und Privatarchive, Museen, zu wissenschaftlichen Gesellschaften wie Historische Kommission in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft sowie zu den bereits forschenden er- ziehungsgeschichtl. Forschungsprojekten. PUZ: Das heißt, daß sich die Forschung auch an den in der Region wichtigen historischpädagogischen Zusammenhängen orientiert. Schmitt: Ja, das hängt mit der preußischen Geschichte, mit der Vielfalt des Bildungsund Schulsystems des Berlin-Brandenburger Raums zusammen. Wir wollen u.a. die enorme Vielfalt der reformpädagogischen Schulen erforschen. Für den 5. Dezember 1994 haben wir zu einem ganztägigen Arbeitsgespräch „Bestandsaufnahme und Forschungsperspektiven zur Berlin-Brandenburgischen Bildungsgeschichte eingeladen. Bisher wurden regionale historisch-pädagogische Forschungen oftmals von Einzelpersonen vorangetrieben. Das soll nun koordiniert werden. PUZ: Prof. Schmitt, herzlichen Dank für dieses Gespräch.
PUZ 15/94
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