Heft 
(1.1.2019) 15
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ER WAR EIN LEHRER"

Wissenschaftliches Kolloquium zum 200. Todestag von Heinrich Julius Bruns

Lehrer werden eher kritisiert als gewür­digt. Heute wie damals. Einer, dessen Verdienste ob seiner Reformbestrebun­gen nicht in Vergessenheit gerieten, ist der Bauernsohn, Kantor und Dorfschul­lehrer Heinrich Julius Bruns (1746 - 1794). So wurde ihm sogar die Ehre zu­teil, in einen Nekrolog (Nachrichten über das Leben hervorragender Deut­scher) aufgenommen zu werden. Im Schloßpark von Reckahn bei Branden­burg ließ man ihm eine Gedenksäule mit der InschriftEr war ein Lehrer setzen. Der Grund dafür lag in seiner Lehrertätigkeit, die untrennbar mit den Reformbestrebungen von Friedrich Eberhard von Rochow (1734 -1805) ver­bunden ist. Rochow, einer der ersten Adligen Preußens, erkannte den Zusam­menhang zwischen Rationalisierung der landwirtschaftlichen Produktion und Verbesserung der Bildung der Landbevölkerung. Der Autodidakt Bruns, erster Lehrer an der 1773 gegründeten Reckahner Dorfschule, setzte diese Ver­bindung um und entwickelteseine Schule zu einer Mustereinrichtung un­ter den deutschen Volksschulen.

Trotz dieser Pionierleistung ist das Schaffen des Dorfschullehrers Bruns bisher kaum wis­senschaftlich aufgearbeitet worden. Auch deshalb lud der LehrstuhlHistorische Päd­agogik aus Anlaß des 200. Todestages von Heinrich Julius Bruns am 24. September 1994 in Reckahn zu einem wissenschaftlichen Kolloquium ein. Rund 50 Lehrer und Wissen­schaftler aus Brandenburg und Berlin, sogar ein Professor aus Japan reiste an, nahmen teil. Die Beiträge der Fachwissenschaftler beschäftigten sich sowohl mit Leben und Werk von Bruns als auch mit seinem Verhält­nis zu Rochow sowie mit der praktischen Arbeit des Lehrers. Zu Inhalten der Konferenz und der zukünftigen Arbeit des Lehrstuhls Historische Pädagogik unterhielt sich für PUZ Dr. Barbara Eckardt mit dessen Leiter, Prof. Dr. Hanno Schmitt:

PUZ: In Ihrem Beitrag auf der KonferenzDas Lehramt war ihm eine wirkliche Herzensan­gelegenheit zeigten Sie die Bedeutung von Bruns auf. Warum wurden ihm nach seinem Tode bleibende Verdienste bescheinigt? Schmitt: Es war eine große Auszeichnung, daß erstmals ein Lehrer mit einem Denkmal geehrt wurde. Bruns steht für die Bedeutung einer kontinuierlichen Reformarbeit im Klas­senzimmer und die unspektakuläre Überwin­dung der alltäglichen Schwierigkeiten im Unterricht. Ohne eine derartige erfolgreiche Unterrichtspraxis kann keine Bildungsreform zum Erfolg führen. Die gesellschaftliche und

pädagogische Prominenz des späten 18. Jahrhunderts gab sich die Türklinke zu Bruns Schulstube in die Hand. Fürstliche Familien, preußische Minister, das gesamte Berliner Oberkonsistorium, der Verleger Nicolai, alle Lehrer der damals berühmten Reformschule, des Dessauer Philanthropins, Erziehungsschriftsteller und Schulreformer besuchten seinen Unterricht. Vor 200 Jahren war der Pädagoge schon von der Wichtigkeit des ersten Unterrichts und seinem Einfluß auf das ganze Leben überzeugt. Bruns wußte bereits um die Schlüsselstellung eines ge­glückten Anfangsunterrichts für den indivi­duellen Bildungsgang eines Menschen. Freundlichkeit und Liebe zu den Kindern waren die wichtigsten pädagogischen Mittel in der Reckahner Schule. Das alles ist aus heutiger schulpädagogischer Sicht geradezu modern. Bruns hat als Lehrer die kindlichen Bedürfnisse und die Motivationsstruktur zu­treffend beobachtet und in den Unterricht integriert. Er entwickelte eine reformpädago­gische Unterrichtsmethode, die den Unter­richtsablauf am individuellen Erkenntnisver­mögen der Schülerinnen und Schüler orien­tiert. Beispielgebend bis heute ist auch die Tatsache, daß sich der Reformer ebenso wie um seine Schüler um die Lehrerausbildung bemühte. Bei meinen historischen Forschun­gen geht es mir immer auch um jene, die wie Bruns durch eine erfolgreiche Unterrichts­praxis Schule reformieren. Das hat einen sehr aktuellen Bezug. Reformen spielen sich in den Schulen ab, vor 200 Jahren ebenso wie heute. Deshalb ist die Frage nach der Anzie­hung von Bruns eine spannende Forschungs­aufgabe.

PUZ: Weshalb war es Ihnen so wichtig, Ihre Konferenz vor Ort, in Reckahn, durchzuführen? Schmitt: Die Universität muß meiner Mei­nung nach in allen Bereichen kooperieren. Deshalb gingen wir nach Reckahn. Die Re­ferenten und Gäste haben ihre Freude dar­über zum Ausdruck gebracht. Diese Art der Veranstaltung war auch für sie etwas Neu­es. Nach meiner festen Überzeugung hat die Universität die Verpflichtung, die in der Re­gion vorhandenen historischen Bildungsstät­ten im Rahmen eigener guter Lehrveranstal­tungen wieder stärker für zukünftige Lehre­rinnen und Lehrer ins Bewußtsein zu rücken. Unser Kolloquium ist sicher ein richtiger Schritt in diese Richtung.

PUZ: Sie sind dabei, eine Forschungsstelle für Brandenburg-Berlinische Bildungsge­schichte aufzubauen. Welches Ziel verfolgen Sie damit?

Schmitt: Das Kolloquium in Reckahn war eine Eröffnungsveranstaltung auch für diese Forschungsstelle. Eine derartige Einrichtung

Kritische Blicke warfen heutige Schülerinnen auf diese historische Schulbank. Sie wurde gemeinsam mit anderen Exponaten im Reckahner Schloß aus Anlaß des 200. Todestages des Lehrers Heinrich JuUus Bruns ausgestellt. Foto: Eckardt

gibt es bisher im Raum Berlin-Brandenburg nicht. Als Forschungsabteilung dient diese der Innovation von bildungs-, erziehungs- und schulgeschichtlichen Forschungspro­jekten. Natürlich bildet sie auch den Rahmen für den Erwerb von Drittmitteln. Sie bemüht sich ebenso um die interdisziplinäre Koope­ration mit den an der Universität bestehen­den Forschungseinrichtungen.

PUZ: Welche Kooperationspartner haben sie darüber hinaus?

Schmitt: Wir kooperieren bereits mit der Bi­bliothek für Bildungsgeschichtliche For­schungen, die u.a. die Bibliothek des ehema­ligen Hauses des Lehrers Berlin beherbergt, und mit dem LehrstuhlHistorische Erzie­hungswissenschaften" der Humboldt-Univer­sität zu Berlin. Wir suchen Kontakte zu für die Brandenburg-Berlinische Bildungsgeschichte wichtigen Institutionen wie Landeshaupt­archiv, Kirchen-, Stadt- und Privatarchive, Museen, zu wissenschaftlichen Gesellschaf­ten wie Historische Kommission in der Deut­schen Gesellschaft für Erziehungswissen­schaft sowie zu den bereits forschenden er- ziehungsgeschichtl. Forschungsprojekten. PUZ: Das heißt, daß sich die Forschung auch an den in der Region wichtigen historisch­pädagogischen Zusammenhängen orientiert. Schmitt: Ja, das hängt mit der preußischen Geschichte, mit der Vielfalt des Bildungs­und Schulsystems des Berlin-Brandenburger Raums zusammen. Wir wollen u.a. die enor­me Vielfalt der reformpädagogischen Schu­len erforschen. Für den 5. Dezember 1994 haben wir zu einem ganztägigen Arbeitsge­sprächBestandsaufnahme und Forschungs­perspektiven zur Berlin-Brandenburgischen Bildungsgeschichte eingeladen. Bisher wur­den regionale historisch-pädagogische For­schungen oftmals von Einzelpersonen voran­getrieben. Das soll nun koordiniert werden. PUZ: Prof. Schmitt, herzlichen Dank für die­ses Gespräch.

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