PUZ: Sie selbst haben mit Ihren Mitarbeitern Untersuchungen zur Gewaltbereitschaft Jugendlicher durchgeführt und einige Erkenntnisse gewonnen, die doch deutlich gegen gängige Klischees sprechen. Welche Aussagen sind das?
Sturzbecher: In der Tat wird gerade in den Medien oft ein sehr undifferenziertes Bild von der Jugend im allgemeinen und von der Gewaltbereitschaft von Jugendlichen im besonderen gezeichnet. Hinter dem Klischee einer wenig leistungsbereiten und gewalttätigen Jugend verblaßt häufig, daß ca. 80% der Jugendlichen eine hohe Zukunfts- und Erfolgserwartung haben, prosozial und solidarisch eingestellt sind und sich durch das Anwachsen von Rechtsextremismus und Gewalt bedroht fühlen. Aber bleiben wir bei der Gewaltbereitschaft. Häufig wird die Gewaltbereitschaft Jugendlicher mit politischen Motivationen oder mit einer schwierigen finanziellen und beruflichen Situation der Eltern erklärt. Diese Erklärungen sind aus unserer Sicht im statistischen Sinne nicht zutreffend, was nicht bedeutet, daß Gewalt nicht auch aus politischer Überzeugung oder einer schwierigen ökonomischen Lebenslage der Familie wachsen kann. Der „typische“ Gewalttäter ist jedoch politisch desinteressiert, also auch nicht „politikverdrossen“, und seine Aktionen dienen häufig der Unterhaltung. Werden, meist nach sinnlosen Gewalttaten, politische Motivationen geäußert, so will er diesen Gewaltattacken durch eine „rechte Etikettierung“ ein Ziel und etwas Würde verleihen. Oder, wie es ein Jugendlicher äußerte: „Lieber Nazi sein als jar nischt!" PUZ: Die Konferenz orientiert auf die Diskussion von Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebenssituation und der Chancen von Kindern. Da stellt sich die Frage, wie kann denn die Familie in heutiger Zeit das Kind, den Jugendlichen aufs Leben vorbereiten? Sturzbecher: Zu den wichtigsten Dingen, die eine Familie Kindern und Jugendlichen geben kann, zählen Kommunikationsmöglichkeiten, Verläßlichkeit und Unterstützung in den Familienbeziehungen, aber auch wachsende Entscheidungsfreiräume und sinnvolle Aufgaben. Ein wesentliches Ergebnis der genannten Studie ist, daß gewalttätige Jugendliche ihre Eltern als gleichgültig und das Familienklima als konfliktär beschreiben sowie selbst in der Familie Erniedrigungen und Prügel erfahren haben. Offensichtlich wachsen aus derartigen Erfahrungen eben nicht die oben geforderten Fähigkeiten zum Krisenmanagement, sondern eine Spirale der Gewalt, die an Schwächere, d.h. an soziale Randgruppen wie auch an eigene Familienangehörige, weitergegeben wird. Um dem entgegenzuwirken, müssen Kinder und Jugendliche in ihren Familien Verständnis und einen Platz finden, an dem sie auch in provokanter Manier ihre Wertvorstellungen diskutieren und die anderer in Frage stellen dürfen.
PUZ 15/94
AUS ALLEN TEILEN DER WELT
Über 400 Polymerwissenschaftler trafen sich in Potsdam
Die Fusion von Brandenburg und Berlin steht nach wie vor auf der Tagesordnung. Polymerwissenschaftler beider Länder praktizieren diese Integration bereits. Schon 1987 gründeten sie den Berliner Verband für Polymerforschung e.V., der sein Einzugsgebiet durch die Aufnahme von Fachkollegen aus dem damaligen Ost-Berlin und dem Teltow-Potsdamer Raum erweiterte. Der Verband veranstaltet Vorträge, Seminare und Tagungen, fördert die Lehre auf dem Gebiet der Polymerwissenschaften und nimmt sich der Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses an. So dienen die vom Verband durchgeführten Berliner Polymeren-Tage der Präsentation neuer Erkenntnisse und dem wissenschaftlichen Meinungs- und Erfahrungsaustausch auf den Gebieten der Chemie, der Physik und der Technologie der Organischen Polymere.
Die 5. Berliner Polymeren-Tage fanden kürzlich erstmals in Brandenburg an der Universität Potsdam statt, wo die Polymerforschung einen Schwerpunkt bildet. Die Vorbereitung lag in den Händen des Polymerforschungsstandortes Teltow-Seehof in Zusammenarbeit mit der Potsdamer Hochschule und den Berliner Instituten. Über 400 Teilnehmer aus Forschung und Industrie, darunter etwa 60 Studierende und Doktoranden, von Greifswald bis Konstanz, von Aachen bis Regens - bürg, aber auch aus Österreich, der Schweiz, den Niederlanden, Frankreich, den USA, Polen, Rußland und anderen Ländern zeigten ihr Interesse an dieser interdisziplinären Konferenz. Ein wichtiges Anliegen besteht dabei im Brückenschlag zu den östlichen Nachbarländern. Gerechnet hatte man mit 200 Besuchern. Prof. Dr. Ludwig Brehmer, Inhaber des Lehrstuhls „Festkörperphysik“ und Sprecher des Forschungszentrums „Dünne Organische und Biochemische Schichten“ an der Universität Potsdam, konnte erfreut feststellen, daß die Tagung „von der Attraktivität der Inhalte und des Standortes über alle Erwartungen gut angenommen wurde". Der Vorsitzende des Organisationskomitees betrachtete die wissenschaftspolitischen Aspekte und die Ausstrahlung der Konferenz als ebenso wichtig wie deren Inhalte.
Das Programm beinhaltete 12 Plenarvorträge. Weitere 72 Referate hielten Fachleute in den Sektionen „Chemie der Polymere“, „Polymerlösungen und Grenzflächenerscheinungen" und „Physik der Polymere und Polymerwerkstoffe". Die Ausstellung von 120 Postern ermöglichte insbesondere den jungen Wissenschaftlern, ihre Ergebnisse vorzustellen und zu diskutieren. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, daß der Verband erstmals zwei Preise für den Nachwuchs auslobte. So erhielt der Diplomchemiker Dr. Matthias Löffler von der HOECHST AG Frankfurt für seine Arbeiten zur Synthese von Diels-Alder Leiterpolymeren den „Georg-Manecke-Preis 1994“. Die Diplomphysiker Dr. Siegfried Bauer vom Heinrich-Hertz-Institut Berlin und Martin Kröger von der TU Berlin teilen sich für ihre Arbeiten über Polymer-Elektrete bzw. Rheologie und Struktur von Polymerflüssigkeiten den „Kurt-Ueberreiter-Preis 1994“. Die Veranstalter sahen bewußt von einer Trennung zwischen Grundlagenforschung und industrieorientierter Forschung ab. So traten sie dem Vorwurf entgegen, die Wissenschaftler würden sich im Elfenbeinturm verkriechen.
Handelt es sich bei Polymeren doch um Stoffe, die als Kunststoffe, Kautschuke oder als Chemiefasern zu unserem täglichen Leben gehören. Sie gewinnen sogar zunehmend an Bedeutung für die Lösung ökologischer Probleme, z.B. in der Wasserwirtschaft, für die Realisierung von Zukunftstechnologien durch die Bereitstellung neuer Werkstoffe sowie für die Umsetzung neuer Therapiekonzepte in der Medizin. Deshalb berücksichtigte die Tagung physikalische, chemische und technische Aspekte der Polymerwissenschaften .
B.E.
Das Vortragsprogramm der 5. Berliner Polymeren-Tage umfaßte Vorträge im Plenum und in drei Sektionen. Über „Faserbildende Polymere. Geschichte und Geschichtchen" sprach z.B. in einer Abendveranstaltung Prof. Dr. Hermann Klare (vorne rechts) aus Dresden. Foto: Tribukeit
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