Heft 
(1.1.2019) 15
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PUZ: Sie selbst haben mit Ihren Mitarbeitern Untersuchungen zur Gewaltbereitschaft Ju­gendlicher durchgeführt und einige Erkennt­nisse gewonnen, die doch deutlich gegen gängige Klischees sprechen. Welche Aussa­gen sind das?

Sturzbecher: In der Tat wird gerade in den Medien oft ein sehr undifferenziertes Bild von der Jugend im allgemeinen und von der Ge­waltbereitschaft von Jugendlichen im beson­deren gezeichnet. Hinter dem Klischee einer wenig leistungsbereiten und gewalttätigen Jugend verblaßt häufig, daß ca. 80% der Ju­gendlichen eine hohe Zukunfts- und Erfolgs­erwartung haben, prosozial und solidarisch eingestellt sind und sich durch das Anwach­sen von Rechtsextremismus und Gewalt be­droht fühlen. Aber bleiben wir bei der Ge­waltbereitschaft. Häufig wird die Gewalt­bereitschaft Jugendlicher mit politischen Motivationen oder mit einer schwierigen finanziellen und beruflichen Situation der Eltern erklärt. Diese Erklärungen sind aus unserer Sicht im statistischen Sinne nicht zutreffend, was nicht bedeutet, daß Gewalt nicht auch aus politischer Überzeugung oder einer schwierigen ökonomischen Lebenslage der Familie wachsen kann. Dertypische Gewalttäter ist jedoch politisch desinteres­siert, also auch nichtpolitikverdrossen, und seine Aktionen dienen häufig der Unterhal­tung. Werden, meist nach sinnlosen Gewalt­taten, politische Motivationen geäußert, so will er diesen Gewaltattacken durch eine rechte Etikettierung ein Ziel und etwas Würde verleihen. Oder, wie es ein Jugendli­cher äußerte:Lieber Nazi sein als jar nischt!" PUZ: Die Konferenz orientiert auf die Diskus­sion von Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebenssituation und der Chancen von Kin­dern. Da stellt sich die Frage, wie kann denn die Familie in heutiger Zeit das Kind, den Jugendlichen aufs Leben vorbereiten? Sturzbecher: Zu den wichtigsten Dingen, die eine Familie Kindern und Jugendlichen geben kann, zählen Kommunikationsmög­lichkeiten, Verläßlichkeit und Unterstützung in den Familienbeziehungen, aber auch wach­sende Entscheidungsfreiräume und sinnvol­le Aufgaben. Ein wesentliches Ergebnis der genannten Studie ist, daß gewalttätige Ju­gendliche ihre Eltern als gleichgültig und das Familienklima als konfliktär beschreiben so­wie selbst in der Familie Erniedrigungen und Prügel erfahren haben. Offensichtlich wach­sen aus derartigen Erfahrungen eben nicht die oben geforderten Fähigkeiten zum Krisen­management, sondern eine Spirale der Ge­walt, die an Schwächere, d.h. an soziale Rand­gruppen wie auch an eigene Familienange­hörige, weitergegeben wird. Um dem ent­gegenzuwirken, müssen Kinder und Jugend­liche in ihren Familien Verständnis und einen Platz finden, an dem sie auch in provokan­ter Manier ihre Wertvorstellungen diskutie­ren und die anderer in Frage stellen dürfen.

PUZ 15/94

AUS ALLEN TEILEN DER WELT

Über 400 Polymerwissenschaftler trafen sich in Potsdam

Die Fusion von Brandenburg und Berlin steht nach wie vor auf der Tagesordnung. Polymerwissenschaftler beider Länder praktizieren diese Integration bereits. Schon 1987 gründeten sie den Berliner Verband für Polymerforschung e.V., der sein Ein­zugsgebiet durch die Aufnahme von Fachkollegen aus dem damaligen Ost-Berlin und dem Teltow-Potsdamer Raum erweiterte. Der Verband veranstaltet Vorträge, Seminare und Tagungen, fördert die Lehre auf dem Gebiet der Polymer­wissenschaften und nimmt sich der Betreuung des wissenschaftlichen Nach­wuchses an. So dienen die vom Verband durchgeführten Berliner Polymeren-Tage der Präsentation neuer Erkenntnisse und dem wissenschaftlichen Meinungs- und Erfahrungsaustausch auf den Gebieten der Chemie, der Physik und der Technolo­gie der Organischen Polymere.

Die 5. Berliner Polymeren-Tage fanden kürz­lich erstmals in Brandenburg an der Univer­sität Potsdam statt, wo die Polymerforschung einen Schwerpunkt bildet. Die Vorbereitung lag in den Händen des Polymerforschungs­standortes Teltow-Seehof in Zusammenar­beit mit der Potsdamer Hochschule und den Berliner Instituten. Über 400 Teilnehmer aus Forschung und Industrie, darunter etwa 60 Studierende und Doktoranden, von Greifs­wald bis Konstanz, von Aachen bis Regens - bürg, aber auch aus Österreich, der Schweiz, den Niederlanden, Frankreich, den USA, Po­len, Rußland und anderen Ländern zeigten ihr Interesse an dieser interdisziplinären Kon­ferenz. Ein wichtiges Anliegen besteht dabei im Brückenschlag zu den östlichen Nachbar­ländern. Gerechnet hatte man mit 200 Besu­chern. Prof. Dr. Ludwig Brehmer, Inhaber des LehrstuhlsFestkörperphysik und Sprecher des ForschungszentrumsDünne Organische und Biochemische Schichten an der Univer­sität Potsdam, konnte erfreut feststellen, daß die Tagungvon der Attraktivität der Inhal­te und des Standortes über alle Erwartungen gut angenommen wurde". Der Vorsitzende des Organisationskomitees betrachtete die wissenschaftspolitischen Aspekte und die Ausstrahlung der Konferenz als ebenso wich­tig wie deren Inhalte.

Das Programm beinhaltete 12 Plenarvorträge. Weitere 72 Referate hielten Fachleute in den SektionenChemie der Polymere,Polymer­lösungen und Grenzflächenerscheinungen" undPhysik der Polymere und Polymerwerk­stoffe". Die Ausstellung von 120 Postern er­möglichte insbesondere den jungen Wissen­schaftlern, ihre Ergebnisse vorzustellen und zu diskutieren. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, daß der Verband erstmals zwei Preise für den Nachwuchs auslobte. So erhielt der Diplomchemiker Dr. Matthias Löff­ler von der HOECHST AG Frankfurt für sei­ne Arbeiten zur Synthese von Diels-Alder Leiterpolymeren denGeorg-Manecke-Preis 1994. Die Diplomphysiker Dr. Siegfried Bau­er vom Heinrich-Hertz-Institut Berlin und Martin Kröger von der TU Berlin teilen sich für ihre Arbeiten über Polymer-Elektrete bzw. Rheologie und Struktur von Polymerflüssig­keiten denKurt-Ueberreiter-Preis 1994. Die Veranstalter sahen bewußt von einer Trennung zwischen Grundlagenforschung und industrieorientierter Forschung ab. So traten sie dem Vorwurf entgegen, die Wis­senschaftler würden sich im Elfenbeinturm verkriechen.

Handelt es sich bei Polymeren doch um Stof­fe, die als Kunststoffe, Kautschuke oder als Chemiefasern zu unserem täglichen Leben gehören. Sie gewinnen sogar zunehmend an Bedeutung für die Lö­sung ökologischer Pro­bleme, z.B. in der Was­serwirtschaft, für die Realisierung von Zu­kunftstechnologien durch die Bereitstellung neuer Werkstoffe sowie für die Umsetzung neu­er Therapiekonzepte in der Medizin. Deshalb berücksichtigte die Ta­gung physikalische, chemische und techni­sche Aspekte der Poly­merwissenschaften .

B.E.

Das Vortragsprogramm der 5. Berliner Polymeren-Tage umfaßte Vorträge im Plenum und in drei Sektionen. ÜberFaserbildende Polymere. Geschichte und Geschichtchen" sprach z.B. in einer Abendveranstaltung Prof. Dr. Hermann Klare (vorne rechts) aus Dresden. Foto: Tribukeit

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