CAMPUS
„WIR LERNEN, MIT DER VERGANGENHEIT UMZUGEHEN"
Der israelische Physiker Prof. Smilansky über israelisch-deutsche (Wissenschafts-)Beziehungen
Mitte Oktober konnten Potsdamer Wissenschaftler und Studenten den israelischen Physiker Uzi Smilansky in mehreren Veranstaltungen erleben, darunter im Kolloquium „Billiards - Inside Out". Foto: De.
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Der israelische Physiker Prof. Dr. Uzi Smilansky (geh. 1941) weilte Mitte Oktober für mehrere Tage in Potsdam. Sein besonderes Interesse galt den Arbeiten der Max-Planck-Arbeitsgruppe „Nichtlineare Dynamik“, mit deren Leiter, Prof. Dr. Jürgen Kurths, ihn wissenschaftliche Kontakte verbinden. Uzi Smilansky leitete von 1981 bis 1984 den Bereich Kernphysik am Weizmann-In- stitut und ist derzeit Direktor des 1993 gegründeten Minerva Centers für Nichtlineare Physik komplexer Systeme, die beide in Rehovot ihren Sitz haben.
Der Physiker kennt sich aus in den israelischdeutschen Wissenschaftsbeziehungen. Er war Ende der sechziger Jahre Fellow in Heidelberg, hatte später als erster den dortigen Gentner-Lehrstuhl inne, war Komiteemitglied des Minerva-Programms und arbeitet jetzt mit dem 1993 gegründeten Max-Planck-In- stitut für Physik komplexer Systeme in Dresden eng zusammen. Seine wissenschaftliche Heimat ist das Weizmann-Institut in Rehovot, das zu den Bahnbrechern der Partnerschaft zwischen Israel und Deutschland gehört.
Sechsunddreißig Jahre ist es her, daß erste Verbindungen zwischen dem Weizmann-Institut und der Max-Planck-Gesellschaft aufgenommen worden sind. Das Aufeinanderzugehen stand ganz unter den schweren Schatten des deutschen Völkermordes an den Juden und ist vor allem in seinen Anfängen dem unermüdlichen Einsatz und dem Zukunftsglauben von Persönlichkeiten beider Länder zu verdanken. Gerhard Schmidt, Josef Cohn und Amos de-Shalft auf israelischer Seite sowie Otto Hahn, Wolfgang Gentner und Feodor Lynen auf deutscher Seite zählen zu den Pionieren dieser Zusammenarbeit. Heute gehört das naturwissenschaftlich ausgerichtete Weizmann-Institut zu den vierzig weitbesten Forschungsstätten. Es umfaßt fünf Fakultäten mit 21 Abteilungen, in denen an rund 700 Projekten im Bereich der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung gearbeitet wird. Quer durch alle Abteilungen wurden Zentren für übergeordnete Themen (Research Centers) eingerichtet, z. B. für Alternsforschung, Energiefragen, Neurowissenschaften, Molekulare Genetik, Ernährungsforschung und für Industrieforschung. Am Institut existiert eine Abteilung für die Weiterentwicklung naturwissenschaftlicher Unterrichtsmethoden. Interessanterweise ist dem Institut eine Agentur angeschlossen, deren Aufgabe der Patentschutz und die Weiterentwicklung der Forschungsergebnisse bis hin zur industriellen Nutzung sind. Um einen Aufenthalt in Rehovot bewerben sich stets wesentlich mehr
Wissenschaftler, als aufgenommen werden können. Trotz exzellenter wissenschaftlicher Ergebnisse hat auch dieses Institut mit finanziellen Sorgen zu kämpfen. Der israelische Staat finanziert ein Drittel des Haushalts, der Rest muß über Forschungsaufträge und Spenden erbracht werden.
Nach den USA ist die Bundesrepublik Deutschland der wichtigste Partner des Institutes, das sich als internationale Einrichtung versteht. Von allen europäischen Ländern hat Deutschland die engste wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Israel. Beispielhaft seien die Elementarteilchenphysik, die auf die Erforschung der Lebensvorgänge zielenden Wissenschaften wie Biologie, Biochemie und Biophysik sowie der Energiebereich genannt. Nach 1989 konnten jene Deutschen einbezogen werden, denen der Zugang zur internationalen Forschung jahrzehntelang zumeist nur über die Literatur möglich war. Hier hat die Minervastiftung wichtige Hilfe gegeben. In den letzten Jahren haben sich auch in vielen Bereichen an unserer Universität Kontakte nach Israel entwickelt oder vertieft. So lernten sich Prof. Smilansky und Prof. Kurths persönlich kennen und sondieren jetzt Möglichkeiten der Zusammenarbeit. In der Person Uzi Smilanskys spiegelt sich mehr als nur die wissenschaftliche Seite der Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern wider. Smilansky, der an der Hebräischen Universität in Jerusalem Physik studiert hat, ging 1968 nach Heidelberg. Aus zwei Monaten Aufenthalt wurden letzlich drei Jahre, wobei er sich ausbedungen hatte, jederzeit abreisen zu können. Sein Bericht über diese Zeit gibt wohl stellvertretend für viele Israelis ein BUd von ihrer Befindlichkeit gegenüber Deutschland und seinen Bewohnern: „Wir hatten damals gute Freunde in Straßburg und in Basel. Ich erinnere mich, daß wir in den ersten Monaten jedes Wochenende dorthin gefahren sind. Als wir die deutsche Grenze passierten, haben wir uns körperlich entspannt. Die Situation war nie natürlich. Man pendelte zwischen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft hin und her - die Empfindsamkeiten waren sehr ausgeprägt. Ich habe mich am Anfang in Heidel
berg nicht wohlgefühlt, und wahrscheinlich hatten meine Heidelberger Bekannten in meiner Gegenwart ähnliche Gefühle. Aber Menschen wie Gentner und andere Freunde haben ihr Möglichstes getan, mir zu helfen, mir das Leben einfacher zu machen. Sie taten das aus der tiefen Überzeugung, daß etwas getan werden muß.
Was hat sich seither geändert? Vieles ist normaler geworden in dem Sinn, daß wir lernen, mit der Vergangenheit umzugehen. Die Geschichte hat sich nicht geändert, und wir dürfen nicht vergessen. Aber die Vergangenheit sollte uns nicht mit Haß erfüllen und auch nicht mit dem Gefühl persönlicher Schuld. Ein Deutscher, der die deutsche Sprache spricht und zur deutschen Kultur gehört, hat auch teil an der deutschen Geschichte. Und das ist für ihn ein Problem - ebenso wie für mich die jüdische Geschichte ein Problem ist. Und die Beziehungen zwischen Juden und Deutschen spiegeln ihre Probleme mit der eigenen Geschichte und sind daher immer delikater und schwieriger als die zwischen anderen Völkern. Das neue Element ist, daß wir jetzt offen über unsere Empfindlichkeiten reden können. Ein Modus vivendi, eine Zusammenarbeit muß sich entwickeln, allem zum Trotz. Ich habe aus diesem Grund als Komiteemitglied im Minerva- Programm mein Bestes gegeben. Für mich ist das Programm ein äußerst interessanter, von der Wissenschaft auf menschlicher Ebene unternommener Versuch, eine neue menschliche Beziehung aufzubauen.“ De.
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PUZ 15/94