Heft 
(1.1.2019) 15
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CAMPUS

WIR LERNEN, MIT DER VERGANGENHEIT UMZUGEHEN"

Der israelische Physiker Prof. Smilansky über israelisch-deutsche (Wissenschafts-)Beziehungen

Mitte Oktober konnten Potsdamer Wissenschaftler und Studenten den israelischen Physiker Uzi Smilansky in mehreren Veranstaltungen erleben, darunter im KolloquiumBilliards - Inside Out". Foto: De.

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Der israelische Physiker Prof. Dr. Uzi Smilansky (geh. 1941) weilte Mitte Ok­tober für mehrere Tage in Potsdam. Sein besonderes Interesse galt den Arbeiten der Max-Planck-ArbeitsgruppeNicht­lineare Dynamik, mit deren Leiter, Prof. Dr. Jürgen Kurths, ihn wissen­schaftliche Kontakte verbinden. Uzi Smilansky leitete von 1981 bis 1984 den Bereich Kernphysik am Weizmann-In- stitut und ist derzeit Direktor des 1993 gegründeten Minerva Centers für Nicht­lineare Physik komplexer Systeme, die beide in Rehovot ihren Sitz haben.

Der Physiker kennt sich aus in den israelisch­deutschen Wissenschaftsbeziehungen. Er war Ende der sechziger Jahre Fellow in Hei­delberg, hatte später als erster den dortigen Gentner-Lehrstuhl inne, war Komiteemitglied des Minerva-Programms und arbeitet jetzt mit dem 1993 gegründeten Max-Planck-In- stitut für Physik komplexer Systeme in Dres­den eng zusammen. Seine wissenschaftliche Heimat ist das Weizmann-Institut in Reho­vot, das zu den Bahnbrechern der Partner­schaft zwischen Israel und Deutschland ge­hört.

Sechsunddreißig Jahre ist es her, daß erste Verbindungen zwischen dem Weizmann-In­stitut und der Max-Planck-Gesellschaft auf­genommen worden sind. Das Aufeinanderzu­gehen stand ganz unter den schweren Schat­ten des deutschen Völkermordes an den Ju­den und ist vor allem in seinen Anfängen dem unermüdlichen Einsatz und dem Zu­kunftsglauben von Persönlichkeiten beider Länder zu verdanken. Gerhard Schmidt, Jo­sef Cohn und Amos de-Shalft auf israelischer Seite sowie Otto Hahn, Wolfgang Gentner und Feodor Lynen auf deutscher Seite zäh­len zu den Pionieren dieser Zusammenarbeit. Heute gehört das naturwissenschaftlich aus­gerichtete Weizmann-Institut zu den vierzig weitbesten Forschungsstätten. Es umfaßt fünf Fakultäten mit 21 Abteilungen, in denen an rund 700 Projekten im Bereich der Grund­lagenforschung und der angewandten For­schung gearbeitet wird. Quer durch alle Ab­teilungen wurden Zentren für übergeordne­te Themen (Research Centers) eingerichtet, z. B. für Alternsforschung, Energiefragen, Neurowissenschaften, Molekulare Genetik, Ernährungsforschung und für Industrie­forschung. Am Institut existiert eine Abtei­lung für die Weiterentwicklung naturwissen­schaftlicher Unterrichtsmethoden. Interes­santerweise ist dem Institut eine Agentur angeschlossen, deren Aufgabe der Patent­schutz und die Weiterentwicklung der For­schungsergebnisse bis hin zur industriellen Nutzung sind. Um einen Aufenthalt in Reho­vot bewerben sich stets wesentlich mehr

Wissenschaftler, als auf­genommen werden kön­nen. Trotz exzellenter wissenschaftlicher Er­gebnisse hat auch dieses Institut mit finanziellen Sorgen zu kämpfen. Der israelische Staat finan­ziert ein Drittel des Haus­halts, der Rest muß über Forschungsaufträge und Spenden erbracht wer­den.

Nach den USA ist die Bundesrepublik Deutsch­land der wichtigste Part­ner des Institutes, das sich als internationale Einrichtung versteht. Von allen europäischen Län­dern hat Deutschland die engste wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Isra­el. Beispielhaft seien die Elementarteilchenphysik, die auf die Erforschung der Lebensvorgänge zie­lenden Wissenschaften wie Biologie, Bioche­mie und Biophysik sowie der Energiebereich genannt. Nach 1989 konnten jene Deutschen einbezogen werden, denen der Zugang zur internationalen Forschung jahrzehntelang zumeist nur über die Literatur möglich war. Hier hat die Minervastiftung wichtige Hilfe gegeben. In den letzten Jahren haben sich auch in vielen Bereichen an unserer Univer­sität Kontakte nach Israel entwickelt oder vertieft. So lernten sich Prof. Smilansky und Prof. Kurths persönlich kennen und sondie­ren jetzt Möglichkeiten der Zusammenarbeit. In der Person Uzi Smilanskys spiegelt sich mehr als nur die wissenschaftliche Seite der Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern wider. Smilansky, der an der Hebräischen Universität in Jerusalem Physik studiert hat, ging 1968 nach Heidelberg. Aus zwei Mona­ten Aufenthalt wurden letzlich drei Jahre, wobei er sich ausbedungen hatte, jederzeit abreisen zu können. Sein Bericht über die­se Zeit gibt wohl stellvertretend für viele Is­raelis ein BUd von ihrer Befindlichkeit gegen­über Deutschland und seinen Bewohnern: Wir hatten damals gute Freunde in Straß­burg und in Basel. Ich erinnere mich, daß wir in den ersten Monaten jedes Wochenende dorthin gefahren sind. Als wir die deutsche Grenze passierten, haben wir uns körperlich entspannt. Die Situation war nie natürlich. Man pendelte zwischen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft hin und her - die Empfindsamkeiten waren sehr ausge­prägt. Ich habe mich am Anfang in Heidel­

berg nicht wohlgefühlt, und wahrscheinlich hatten meine Heidelberger Bekannten in meiner Gegenwart ähnliche Gefühle. Aber Menschen wie Gentner und andere Freunde haben ihr Möglichstes getan, mir zu helfen, mir das Leben einfacher zu machen. Sie ta­ten das aus der tiefen Überzeugung, daß et­was getan werden muß.

Was hat sich seither geändert? Vieles ist normaler geworden in dem Sinn, daß wir ler­nen, mit der Vergangenheit umzugehen. Die Geschichte hat sich nicht geändert, und wir dürfen nicht vergessen. Aber die Vergangen­heit sollte uns nicht mit Haß erfüllen und auch nicht mit dem Gefühl persönlicher Schuld. Ein Deutscher, der die deutsche Sprache spricht und zur deutschen Kultur gehört, hat auch teil an der deutschen Ge­schichte. Und das ist für ihn ein Problem - ebenso wie für mich die jüdische Geschich­te ein Problem ist. Und die Beziehungen zwi­schen Juden und Deutschen spiegeln ihre Probleme mit der eigenen Geschichte und sind daher immer delikater und schwieriger als die zwischen anderen Völkern. Das neue Element ist, daß wir jetzt offen über unsere Empfindlichkeiten reden können. Ein Modus vivendi, eine Zusammenarbeit muß sich ent­wickeln, allem zum Trotz. Ich habe aus die­sem Grund als Komiteemitglied im Minerva- Programm mein Bestes gegeben. Für mich ist das Programm ein äußerst interessanter, von der Wissenschaft auf menschlicher Ebene unternommener Versuch, eine neue mensch­liche Beziehung aufzubauen. De.

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PUZ 15/94