Heft 
(1.1.2019) 15
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IM GESPRÄCH

VON SANDHAUSEN NACH POTSDAM

Gottfried-Benn-Sammlung wird von Potsdamer Germanisten wissenschaftlich betreut

Leben und Werk des Lyrikers Gottfried Benn (1886-1956) sind in der Literatur­geschichte nicht unumstritten. Einen Beitrag zur Aufarbeitung seines Schaf­fens wollen deshalb Germanisten der Universität Potsdam leisten.

Sie erhielten den Vortrag, die wissen­schaftliche Betreuung der umfangrei­chen Gottfried-Benn-Sammlung, die der ehemalige Unternehmensberater Fritz Wüllner der Stadt- und Landesbiblio­thek schenkte, zu übernehmen. Mit Prof. Dr. Helmut John vom Institut für Germanistik sprach Dr. Barbara Eckardt für die PUZ:

PUZ: Es wird nicht wenige geben, denen der Name Gottfried Benn relativ unbe­kannt ist. Welche Ur­sachen gibt es dafür?

John: In der DDR er­hielt der Schriftsteller lange Zeit nicht die ihm zustehende Rolle.

Er galt als Beispiel für die These, daß Expres­sionismus direkt in den Faschismus mündet.

Das ist insofern, bezo­gen auf seine Person, auch durchaus richtig, weil es von ihm zwi­schen 1933 und 1935 sehr erschütternde Anbiederungen an den Faschismus gegeben hat. Später allerdings wurde er selbst ver­folgt, indem man ihn aus der Reichsschriften­kammer ausgeschlossen hat. Im Zusammen­hang mit der Herausgabe seiner Gedichte wurde er als entartet verunglimpft. Er ging dann, wie er es nannte, in die innere Emigra­tion in die Wehrmacht. Das war mit ein Grund, weshalb er nach 1945 auch im We­sten keine Publikationsmöglichkeiten erhielt. Nachdem in der Schweiz sein BandStati­sche Gedichte herauskam, spätestens je­doch seit 1949 begann sein kometenhafter Aufstieg. Der Büchner-Preisträger wurde zu einer Autorität in Sachen Lyrik. Über die Gründe dafür wird weiter nachzudenken sein. In der bürgerlichen Kulturkritik sind die Autoren Nietzsche, George und Benn ein wichtiger Entwicklungsstrang, der in der DDR vernachlässigt wurde.

PUZ: Die Gottfried-Benn-Sammlung kam auf recht ungewöhnliche Weise nach Potsdam.

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John: Ja, sie ist auf fast literarischem Wege nach Potsdam gelangt. Fritz Wüllner aus Sandhausen bei Heidelberg hat sich in den 80er Jahren für die faschistische Militärjustiz und ihre Verbrechen interessiert. In seiner Freizeit recherchierte er Todesurteile und Unrechtstaten der Militärjustiz. Dazu benö­tigte er die Hilfe des Militärhistorischen In­stituts in Potsdam. Die entsprechenden Kon­takte stellte der damalige Vertreter der Bun­desregierung in Ostberlin und heutige Mini­ster für Justiz-, Bundes- und Europaange­legenheiten des Landes Brandenburg, Dr. Hans Otto Bräutigam, her. Aus Dankbarkeit für die ihm erwiesene Unterstützung schenk­

te Fritz Wüllner, der sich ebenfalls mit Leben und Werk Benns beschäftigte, seine Samm­lung Mitte Juli der Stadt- und Landesbiblio­thek Potsdam. Die nach 1945 begonnene Sammlung enthält ca. 650 Einzelstücke wie Briefe, Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, Pla­kate, Gemälde, Sekundärliteratur.

PUZ: Der Bereich Germanistik der Universi­tät wurde beauftragt, die Sammlung wissen­schaftlich zu erschließen. Wie werden Studie­rende in dieses Vorhaben einbezogen?

John: Zwei Germanistikstudenten, Herr Pilz und Herr Krüger, haben im Sommer im Rah­men eines vierwöchigen Praktikums den In­halt derJahresmappen aufgearbeitet. Diese Mappen, von Fritz Wüllner rückwirkend bis 1912 angelegt, enthalten Materialien, die in direktem oder indirektem Bezug zu Benn ste­hen. Unser Ziel besteht darin, in der Biblio­

thek einen Arbeitsplatz für Benn-Spezialisten einzurichten, der eine schnelle Übersicht über die Materialien erlaubt.

PUZ: Der 110. Geburtstag und der 40. Todes­tag des Dichters 1996 sollen Anlaß für wei­tere Aktivitäten sein. Welche Vorhaben pla­nen Sie in diesem Zusammenhang?

John: Nach unseren ersten Aufarbeitungen planen wir im Herbst eine Veranstaltung, auf der wir der interessierten Potsdamer Öffent­lichkeit, vor allem hoffen wir dabei auf den Zuspruch von Lehrern und Schülern, die Sammlung vorstellen wollen. Wir werden Materialien so zu­sammenstellen, daß Schülergruppen da­mit in der Bibliothek arbeiten können. Wir möchten für sie Möglichkeiten schaffen, außerhalb des Schulraumes an Originalquellen Auf­gaben zu lösen. Vielleicht ist so zu erreichen, daß Schüler selbst klei­ne Sammlungen ihres Lieblings­schriftstellers anle- gen. Zu den er­wähnten Jubiläen planen wir ein Sym­posium, um dort die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der Sammlung zu präsentieren. Viel­leicht können wir in Potsdam eine gute Adresse der Benn-For- schung etablieren. Einen anderen Aspekt möchte ich noch erwähnen. Diese Sammlung gewährt uns einen Einblick in die Beziehung eines Lesers zu seinen Autor. Möglicherwei­se läßt sich daraus das Profil des Lesers her­ausarbeiten.

PUZ: Auf Grund der widersprüchlichen Per­sönlichkeit Benns gibt es ein breites Betäti­gungsfeld für Germanisten. Welche aktuellen Bezüge sehen Sie?

John: Es gibt viel aufzuarbeiten. Ich wäre froh, wenn es an diesem Beispiel gelänge, Dinge zu erklären und zu verstehen, die of­fensichtlich kaum vereinbar scheinen. Inso­fern haben wir ein unmittelbares aktuelles Interesse.

PUZ: Vielen Dank für das Gespräch.

Mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der umfangreichen Gottfried-Benn-Sammlung in der Potsdamer Stadt- und Landesbibliothek sind Germanisten der Universität beauftragt worden. Foto: Tribukeit

tt. m

PUZ 15/94