IM GESPRÄCH
VON SANDHAUSEN NACH POTSDAM
Gottfried-Benn-Sammlung wird von Potsdamer Germanisten wissenschaftlich betreut
Leben und Werk des Lyrikers Gottfried Benn (1886-1956) sind in der Literaturgeschichte nicht unumstritten. Einen Beitrag zur Aufarbeitung seines Schaffens wollen deshalb Germanisten der Universität Potsdam leisten.
Sie erhielten den Vortrag, die wissenschaftliche Betreuung der umfangreichen Gottfried-Benn-Sammlung, die der ehemalige Unternehmensberater Fritz Wüllner der Stadt- und Landesbibliothek schenkte, zu übernehmen. Mit Prof. Dr. Helmut John vom Institut für Germanistik sprach Dr. Barbara Eckardt für die PUZ:
PUZ: Es wird nicht wenige geben, denen der Name Gottfried Benn relativ unbekannt ist. Welche Ursachen gibt es dafür?
John: In der DDR erhielt der Schriftsteller lange Zeit nicht die ihm zustehende Rolle.
Er galt als Beispiel für die These, daß Expressionismus direkt in den Faschismus mündet.
Das ist insofern, bezogen auf seine Person, auch durchaus richtig, weil es von ihm zwischen 1933 und 1935 sehr erschütternde Anbiederungen an den Faschismus gegeben hat. Später allerdings wurde er selbst verfolgt, indem man ihn aus der Reichsschriftenkammer ausgeschlossen hat. Im Zusammenhang mit der Herausgabe seiner Gedichte wurde er als entartet verunglimpft. Er ging dann, wie er es nannte, in die innere Emigration in die Wehrmacht. Das war mit ein Grund, weshalb er nach 1945 auch im Westen keine Publikationsmöglichkeiten erhielt. Nachdem in der Schweiz sein Band „Statische Gedichte“ herauskam, spätestens jedoch seit 1949 begann sein kometenhafter Aufstieg. Der Büchner-Preisträger wurde zu einer Autorität in Sachen Lyrik. Über die Gründe dafür wird weiter nachzudenken sein. In der bürgerlichen Kulturkritik sind die Autoren Nietzsche, George und Benn ein wichtiger Entwicklungsstrang, der in der DDR vernachlässigt wurde.
PUZ: Die Gottfried-Benn-Sammlung kam auf recht ungewöhnliche Weise nach Potsdam.
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John: Ja, sie ist auf fast literarischem Wege nach Potsdam gelangt. Fritz Wüllner aus Sandhausen bei Heidelberg hat sich in den 80er Jahren für die faschistische Militärjustiz und ihre Verbrechen interessiert. In seiner Freizeit recherchierte er Todesurteile und Unrechtstaten der Militärjustiz. Dazu benötigte er die Hilfe des Militärhistorischen Instituts in Potsdam. Die entsprechenden Kontakte stellte der damalige Vertreter der Bundesregierung in Ostberlin und heutige Minister für Justiz-, Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Brandenburg, Dr. Hans Otto Bräutigam, her. Aus Dankbarkeit für die ihm erwiesene Unterstützung schenk
te Fritz Wüllner, der sich ebenfalls mit Leben und Werk Benns beschäftigte, seine Sammlung Mitte Juli der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam. Die nach 1945 begonnene Sammlung enthält ca. 650 Einzelstücke wie Briefe, Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, Plakate, Gemälde, Sekundärliteratur.
PUZ: Der Bereich Germanistik der Universität wurde beauftragt, die Sammlung wissenschaftlich zu erschließen. Wie werden Studierende in dieses Vorhaben einbezogen?
John: Zwei Germanistikstudenten, Herr Pilz und Herr Krüger, haben im Sommer im Rahmen eines vierwöchigen Praktikums den Inhalt der „Jahresmappen“ aufgearbeitet. Diese Mappen, von Fritz Wüllner rückwirkend bis 1912 angelegt, enthalten Materialien, die in direktem oder indirektem Bezug zu Benn stehen. Unser Ziel besteht darin, in der Biblio
thek einen Arbeitsplatz für Benn-Spezialisten einzurichten, der eine schnelle Übersicht über die Materialien erlaubt.
PUZ: Der 110. Geburtstag und der 40. Todestag des Dichters 1996 sollen Anlaß für weitere Aktivitäten sein. Welche Vorhaben planen Sie in diesem Zusammenhang?
John: Nach unseren ersten Aufarbeitungen planen wir im Herbst eine Veranstaltung, auf der wir der interessierten Potsdamer Öffentlichkeit, vor allem hoffen wir dabei auf den Zuspruch von Lehrern und Schülern, die Sammlung vorstellen wollen. Wir werden Materialien so zusammenstellen, daß Schülergruppen damit in der Bibliothek arbeiten können. Wir möchten für sie Möglichkeiten schaffen, außerhalb des Schulraumes an Originalquellen Aufgaben zu lösen. Vielleicht ist so zu erreichen, daß Schüler selbst kleine Sammlungen ihres Lieblingsschriftstellers anle- gen. Zu den erwähnten Jubiläen planen wir ein Symposium, um dort die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der Sammlung zu präsentieren. Vielleicht können wir in Potsdam eine gute Adresse der Benn-For- schung etablieren. Einen anderen Aspekt möchte ich noch erwähnen. Diese Sammlung gewährt uns einen Einblick in die Beziehung eines Lesers zu seinen Autor. Möglicherweise läßt sich daraus das Profil des Lesers herausarbeiten.
PUZ: Auf Grund der widersprüchlichen Persönlichkeit Benns gibt es ein breites Betätigungsfeld für Germanisten. Welche aktuellen Bezüge sehen Sie?
John: Es gibt viel aufzuarbeiten. Ich wäre froh, wenn es an diesem Beispiel gelänge, Dinge zu erklären und zu verstehen, die offensichtlich kaum vereinbar scheinen. Insofern haben wir ein unmittelbares aktuelles Interesse.
PUZ: Vielen Dank für das Gespräch.
Mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der umfangreichen Gottfried-Benn-Sammlung in der Potsdamer Stadt- und Landesbibliothek sind Germanisten der Universität beauftragt worden. Foto: Tribukeit
tt. m
PUZ 15/94