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anspruch begründende Etikettierung ‘Lehrstuhl’ doch noch ihren materiellen Sinn. Dem Autor des BBHG gelang das Kunststück, mit dem Instrumentarium des Hochschulrahmengesetzes (HRG) eine Universitätsstruktur vorzugeben, die in der Praxis Formen erzeugt, wie sie das HRG abschaffen wollte. Im Gefolge der Studentenbewegung waren monokratische Struktureinheiten wie Lehrstuhl und Institut als obsolet erkannt worden, zu große, unübersichtliche, heterogen zusammengesetzte Fakultäten sollten durch Fachbereiche ersetzt werden, in denen eine fachnähere Form der Selbstverwaltung möglich sein sollte. In der Folge zeigte sich freüich, daß Fachbereiche als organisatorische Grundeinheiten der Universität gleichermaßen zu groß wie auch zu klein waren: Zu klein, weü sie fachübergreifende Aufgaben (interdisziplinäre Studiengänge, Abstimmung von Studiengängen) nicht recht zu lösen vermochten, zu groß, weü die Belange von Teilfächern oder Fächern in heterogen Zusammengesetzen Fachbereichen vor allem im Forschungsbereich nicht hinreichend artikuliert werden konnten. Gemeinsame Kommissionen und Wissenschaftliche Einrichtungen (WE) sollten hier strukturelle Entlastung bringen, wobei für die WE’s im Zuge des hochschulpolitischen Rollback die Prinzipien der Gruppenuniversität schon außer Kraft gesetzt wurden: Allein Professoren bilden hier den Vorstand als Entscheidungsgremium.
Der Autor des BBHG sah nun in der Konzession des Bundesgesetzgebers, die alte Bezeichnung ‘Fakultät’ weiterführen zu können, die Chance, die brandenburgischen Um- und Wiedergründungen mit dem Charme der Alma mater vergangener Zeiten zu versehen, und so verwandelte der Gründungssenat der Universität Potsdam die Brandenburgische Landeshochschule in ein klassisches, allerdings um die Medizin und die Theologie amputiertes Ensemble. Die fünf Potsdamer Fakultäten büden jeweils die Grundeinheiten der akademischen Selbstverwaltung, Senat und Konzil die zentralen Kollegialorgane.
Ein Labyrinth ohne Ausweg? Der Vorsitzende der Grundordnungskommission des 1. Konzils, Prof. Dr. Joachim Gessinger, hofft dies für die noch im Entstehen begriffene Grundordnung der Universität vermeiden zu können. Zeichnung: M.C.Escher
Während die Juristische Fakultät strukturell ein Fachbereich sein könnte (aber nicht so genannt werden will) und ihr Fakultätsrat ein fachnahes Entscheidungsgremium sein dürfte, liegen die Verhältnisse bei der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät und den beiden Philosophischen Fakultäten anders. Hier erreichen einzelne Fächer teüweise annähernd die Größe der Juristischen Fakultät, d.h. eine sinnvolle Bearbeitung fachspezifischer Belange durch Fakultätsrat und Dekan ist kaum mehr möglich. Folgerichtig stellten aUe Fakultäten mit Ausnahme der Juristischen und der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät (die aus nur zwei Bereichen besteht und für eine gemeinsame Fakultät votierte) Anträge auf Institutsgründungen, wobei in der Regel Fächer mit eigenen Studiengängen zu Instituten werden sollten. Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Instituten (hinzu kommen die zentralen Einrichtungen wie Sprachenzentrum und interdisziplinäre Zentren), die Zahl der Lehrenden schwankt gegenwärtig zwischen 2 (1 Hochschullehrer, 1 Mitarbeiter) und gegen 50.
Unterhalb der Fakultäten als „Grundeinheiten" haben sich reich gegliederte Untergründe entwickelt, in denen Studium, Lehre und Forschung tatsächlich ihren Ort haben.
Über ‘Institute’ schweigt sich das BBHG allerdings aus, was im Sommer dieses Jahres zu unterschiedlichen Konjekturen über den Willen des Gesetzgebers führte. Eine Lesweise, der auch die Grundordnungs- kommission folgte, ging davon aus, daß der Gesetzgeber hier Raum für verschiedene Formen der fakultätsinternen Organisation lassen wollte (und lag in dieser Einschätzung, wie sich inzwischen herausstellte, auch richtig), d.h. es sollten feinere Strukturen aus der Praxis heraus entwickelt werden, die dann u.U. bei der fälligen Novellierung des BBHG berücksichtigt hätten werden können.
Die andere Lesweise berief sich auf die bundesrepublikanische Praxis nach der Novellierung des HRG, Institute wie Wissenschaftliche Einrichtungen zu behandeln. Dies mochte andernorts vielleicht angehen, wo die Fachbereiche fachnäher waren, der Mittelbau seit den 70er Jahren kontinuierlich abgebaut worden und z.T. nur noch in Form weniger, fachbereichsunmittelbarer Qualifikationsstellen vorhanden war. In Potsdam aber bedeutet diese Interpretation, den von der Zahl wie Funktion her starken Mittelbau sowie Studenten und nicht-wissenschaftliches Personal gerade dort von der Mitwirkung an Entscheidungen auszuschließen, wo
Kompetenz zu erwarten ist und Gruppeninteressen sich unmittelbar berühren.
Nach längerer, in verschiedenen Gremien geführter kontroverser Diskussion machte sich der Senat eine Lesweise zu eigen, die den HRG-Kommentaren folgte, verwies aber durch eine Revisionsklausel auf eine spätere abschließende Regelung durch die Grundordnung und ein novelliertes BBHG, die das Prinzip der Gruppenuniversität auch für die Institute sichern solle.
Ob es zu einer solchen Revision kommt, hängt nicht nur von den politischen Vorstellungen der Landesregierung bzw. der Mehrheitsfraktion im Landtag ab. Entscheidender wüd sein, ob sich in den universitären Gremien noch eine Mehrheit finden wird, die sich energisch dafür einsetzen wird, daß Vorstände wieder aufgelöst, Institutsräte nicht mehr nur beraten dürfen, daß möglicherweise auch Institute oder Fakultäten einen anderen Zuschnitt erhalten sollten. Die Laufzeit der vorläufigen Grundordnung endet am 1. Juli 1995 und aus dem MWFK verlautet, man wolle das BBHG in dieser Legislaturperiode novellieren.
Die Erfahrungen dieses Jahres lassen allerdings eher erwarten, daß sich die jetzt gebü- deten Strukturen verfestigen werden, schon deshalb, weü sich durch die zu erwartende Verknappung der Mittel die Tendenz verstärken wird, Kontinuität der Entwicklung und Status quo zu wahren - und sei es um den Preis, daß die Fakultäten am Ende kaum noch vergleichbare Strukturen und ein sehr unterschiedliches Selbstverständnis aufweisen. Die Studenten haben sich bislang hoch- schulpolitisch nicht vernehmlich zu Wort gemeldet, die Versuche, sich die Universität Potsdam als ihre Universität anzueignen, sind (noch) zaghaft. Der verbliebene Mittelbau könnte versucht sein, sich nach Jahren existentieller Ungewißheit und erfolgter Überleitung mit Bewährungsaufstieg zu gut dotierter BAT Ib-Bezahlung dauerhaft einzurichten.
Dennoch: Viele derer, die an der Universität studieren, lehren und arbeiten, haben auf unterschiedliche Weise Erfahrungen mit unzeitgemäßen Strukturen gemacht und ihrerseits auf Kooperativität und Öffentlichkeit gesetzt. Ich kenne keine Universität, an der von den Lehrenden so nachdrücklich dafür geworben wird, über Fach- und Fakultätsgrenzen zusammenzuarbeiten (was aüer- dings auch hier fehlt, ist genügend Zeit, um über solche Projekte in Ruhe nachdenken zu können und die Infrastruktur, solche Angebote studierbar zu machen). Aus Potsdam kann, so die nicht unbegründete Hoffnung, vieüeicht ein zwar etwas altmodisch gekleideter, aber in der Praxis moderner Wissenschaftsstandort werden - was angesichts der Universitäten unmittelbar vor den Toren Potsdams eine recht aparte Konstellation wäre." Joachim Gessinger
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PUZ 15/94