Heft 
(1.1.2019) 15
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FORUM

anspruch begründende EtikettierungLehr­stuhl doch noch ihren materiellen Sinn. Dem Autor des BBHG gelang das Kunst­stück, mit dem Instrumentarium des Hoch­schulrahmengesetzes (HRG) eine Universi­tätsstruktur vorzugeben, die in der Praxis Formen erzeugt, wie sie das HRG abschaf­fen wollte. Im Gefolge der Studentenbewe­gung waren monokratische Struktureinheiten wie Lehrstuhl und Institut als obsolet erkannt worden, zu große, unübersichtliche, hetero­gen zusammengesetzte Fakultäten sollten durch Fachbereiche ersetzt werden, in denen eine fachnähere Form der Selbstverwaltung möglich sein sollte. In der Folge zeigte sich freüich, daß Fachbereiche als organisatori­sche Grundeinheiten der Universität glei­chermaßen zu groß wie auch zu klein waren: Zu klein, weü sie fachübergreifende Aufga­ben (interdisziplinäre Studiengänge, Abstim­mung von Studiengängen) nicht recht zu lö­sen vermochten, zu groß, weü die Belange von Teilfächern oder Fächern in heterogen Zusammengesetzen Fachbereichen vor allem im Forschungsbereich nicht hinreichend ar­tikuliert werden konnten. Gemeinsame Kom­missionen und Wissenschaftliche Einrichtun­gen (WE) sollten hier strukturelle Entlastung bringen, wobei für die WEs im Zuge des hochschulpolitischen Rollback die Prinzipien der Gruppenuniversität schon außer Kraft gesetzt wurden: Allein Professoren bilden hier den Vorstand als Entscheidungs­gremium.

Der Autor des BBHG sah nun in der Konzes­sion des Bundesgesetzgebers, die alte Be­zeichnungFakultät weiterführen zu können, die Chance, die brandenburgischen Um- und Wiedergründungen mit dem Charme der Alma mater vergangener Zeiten zu versehen, und so verwandelte der Gründungssenat der Universität Potsdam die Brandenburgische Landeshochschule in ein klassisches, aller­dings um die Medizin und die Theologie amputiertes Ensemble. Die fünf Potsdamer Fakultäten büden jeweils die Grundeinheiten der akademischen Selbstverwaltung, Senat und Konzil die zentralen Kollegialorgane.

Ein Labyrinth ohne Ausweg? Der Vorsitzende der Grundordnungskommission des 1. Konzils, Prof. Dr. Joachim Gessinger, hofft dies für die noch im Entstehen begriffene Grundordnung der Universi­tät vermeiden zu können. Zeichnung: M.C.Escher

Während die Juristische Fakultät strukturell ein Fachbereich sein könnte (aber nicht so genannt werden will) und ihr Fakultätsrat ein fachnahes Entscheidungsgremium sein dürf­te, liegen die Verhältnisse bei der Mathema­tisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät und den beiden Philosophischen Fakultäten an­ders. Hier erreichen einzelne Fächer teüweise annähernd die Größe der Juristischen Fakul­tät, d.h. eine sinnvolle Bearbeitung fachspe­zifischer Belange durch Fakultätsrat und Dekan ist kaum mehr möglich. Folgerichtig stellten aUe Fakultäten mit Ausnahme der Juristischen und der Wirtschafts- und Sozi­alwissenschaftlichen Fakultät (die aus nur zwei Bereichen besteht und für eine gemein­same Fakultät votierte) Anträge auf Instituts­gründungen, wobei in der Regel Fächer mit eigenen Studiengängen zu Instituten werden sollten. Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Instituten (hinzu kommen die zentralen Ein­richtungen wie Sprachenzentrum und inter­disziplinäre Zentren), die Zahl der Lehrenden schwankt gegenwärtig zwischen 2 (1 Hoch­schullehrer, 1 Mitarbeiter) und gegen 50.

Unterhalb der Fakultäten als Grundeinheiten" haben sich reich gegliederte Untergründe entwickelt, in denen Studium, Lehre und Forschung tatsäch­lich ihren Ort haben.

ÜberInstitute schweigt sich das BBHG al­lerdings aus, was im Sommer dieses Jahres zu unterschiedlichen Konjekturen über den Willen des Gesetzgebers führte. Eine Les­weise, der auch die Grundordnungs- kommission folgte, ging davon aus, daß der Gesetzgeber hier Raum für verschiedene Formen der fakultätsinternen Organisation lassen wollte (und lag in dieser Einschät­zung, wie sich inzwischen herausstellte, auch richtig), d.h. es sollten feinere Struktu­ren aus der Praxis heraus entwickelt werden, die dann u.U. bei der fälligen Novellierung des BBHG berücksichtigt hätten werden kön­nen.

Die andere Lesweise berief sich auf die bun­desrepublikanische Praxis nach der Novellie­rung des HRG, Institute wie Wissenschaftli­che Einrichtungen zu behandeln. Dies moch­te andernorts vielleicht angehen, wo die Fachbereiche fachnäher waren, der Mittel­bau seit den 70er Jahren kontinuierlich ab­gebaut worden und z.T. nur noch in Form weniger, fachbereichsunmittelbarer Qualifi­kationsstellen vorhanden war. In Potsdam aber bedeutet diese Interpretation, den von der Zahl wie Funktion her starken Mittelbau sowie Studenten und nicht-wissenschaftli­ches Personal gerade dort von der Mitwir­kung an Entscheidungen auszuschließen, wo

Kompetenz zu erwarten ist und Gruppenin­teressen sich unmittelbar berühren.

Nach längerer, in verschiedenen Gremien ge­führter kontroverser Diskussion machte sich der Senat eine Lesweise zu eigen, die den HRG-Kommentaren folgte, verwies aber durch eine Revisionsklausel auf eine späte­re abschließende Regelung durch die Grund­ordnung und ein novelliertes BBHG, die das Prinzip der Gruppenuniversität auch für die Institute sichern solle.

Ob es zu einer solchen Revision kommt, hängt nicht nur von den politischen Vorstel­lungen der Landesregierung bzw. der Mehr­heitsfraktion im Landtag ab. Entscheidender wüd sein, ob sich in den universitären Gre­mien noch eine Mehrheit finden wird, die sich energisch dafür einsetzen wird, daß Vor­stände wieder aufgelöst, Institutsräte nicht mehr nur beraten dürfen, daß möglicherwei­se auch Institute oder Fakultäten einen an­deren Zuschnitt erhalten sollten. Die Laufzeit der vorläufigen Grundordnung endet am 1. Juli 1995 und aus dem MWFK verlautet, man wolle das BBHG in dieser Legislaturperiode novellieren.

Die Erfahrungen dieses Jahres lassen aller­dings eher erwarten, daß sich die jetzt gebü- deten Strukturen verfestigen werden, schon deshalb, weü sich durch die zu erwartende Verknappung der Mittel die Tendenz verstär­ken wird, Kontinuität der Entwicklung und Status quo zu wahren - und sei es um den Preis, daß die Fakultäten am Ende kaum noch vergleichbare Strukturen und ein sehr unterschiedliches Selbstverständnis aufwei­sen. Die Studenten haben sich bislang hoch- schulpolitisch nicht vernehmlich zu Wort gemeldet, die Versuche, sich die Universität Potsdam als ihre Universität anzueignen, sind (noch) zaghaft. Der verbliebene Mittelbau könnte versucht sein, sich nach Jahren exi­stentieller Ungewißheit und erfolgter Überlei­tung mit Bewährungsaufstieg zu gut dotier­ter BAT Ib-Bezahlung dauerhaft einzurich­ten.

Dennoch: Viele derer, die an der Universität studieren, lehren und arbeiten, haben auf unterschiedliche Weise Erfahrungen mit un­zeitgemäßen Strukturen gemacht und ihrer­seits auf Kooperativität und Öffentlichkeit gesetzt. Ich kenne keine Universität, an der von den Lehrenden so nachdrücklich dafür geworben wird, über Fach- und Fakultäts­grenzen zusammenzuarbeiten (was aüer- dings auch hier fehlt, ist genügend Zeit, um über solche Projekte in Ruhe nachdenken zu können und die Infrastruktur, solche Ange­bote studierbar zu machen). Aus Potsdam kann, so die nicht unbegründete Hoffnung, vieüeicht ein zwar etwas altmodisch geklei­deter, aber in der Praxis moderner Wissen­schaftsstandort werden - was angesichts der Universitäten unmittelbar vor den Toren Potsdams eine recht aparte Konstellation wäre." Joachim Gessinger

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