Wirtschaftsaufschwung Ostdeutschlands sichern
Der Anstieg der Arbeitslosigkeit in Deutschland auf über vier Millionen war für den Präsidenten des Europäischen Institutes für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Potsdam (EIIW) und Professor für Wirtschaftspolitik mit dem Schwerpunkt Internationale Wirtschaftsbeziehungen in der Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Fakultät, Prof. Dr. Paul J.J. Welfens, Anlaß, auf einer kürzlich stattgefundenen Tägung des EIIW Forderungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland zu äußern. Vor dem Hintergrund der allgemein gültigen Bedeutung des Themas seien sie nachfolgend in Auszügen abgedruckt:
Ostdeutschland hat den Sprung in die Marktwirtschaft geschafft, aber der Aufholprozeß bei Produktivität, Vollbeschäftigungsgrad und Internationalisierung ist akut gefährdet. Eine Neubestimmung der Politikprioritäten ist - zumal angesichts von Widersprüchen zwischen Erwartungen der Bevölkerung und der Realität - dringlich. Eine verstärkte Internationalisierung der Wirtschaft der neuen Bundesländer könnte zusammen mit einer Lohnpause und einem „Beschäftigungs- und Forschungspakt Aufschwung Ost" den Aufholprozeß sichern helfen.
Im siebenten Jahr der Wiedervereinigung ist der ökonomische bzw. produktivitätsmäßige Aufholprozeß in Ostdeutschland gegenüber Westdeutschland zu immerhin mehr als einem Drittel realisiert. Denn von etwa 28% der westdeutschen Arbeitsproduktivität in 1990 ausgehend, konnte man bis Ende 1995 die Marke von 55% erreichen. Die neuen Bundesländer trugen allerdings nur etwa 2% zu den gesamtdeutschen Exporten bei, während ein Normalanteil - gemessen am Bevölkerungsanteil - zehnmal so hoch wäre. Der Anteil Ostdeutschlands an den gesamtdeutschen Direktinvestitionsbeständen beträgt weniger als 1/20, so daß die jahrzehntelang von den Weltmärkten abgeschottete ostdeutsche Wirtschaft auch unter mangelnder Präsenz von multinationalen Unternehmen leidet. Solche Unternehmen schaffen Arbeitsplätze, tragen zum Tbchnologietransfer bei und unterstützen die Einbindung in die internationale Arbeitsteilung. Der Wohlstand der Bundesrepublik Deutschland beruht wesentlich auf der Integration in die internationale Arbeitsteilung durch Außenhandel und Direktinvestitionen (Investitionszufluß von ausländischen Unternehmen). Wenn die neuen Bundesländer im Lebensstandard mit Westdeutschland gleichziehen sollen,
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dann müssen sie auch ähnlich stark internationalisiert sein. Die Integration ausländischer Arbeitnehmer und Manager wird dabei ein selbstverständlicher Bestandteil der Internationalisierung sein müssen.
Eine Expansion bestehender und neuer Unternehmen wird nur möglich sein, wenn einerseits Produktpalette und Herstellungsverfahren der Unternehmer weiter modernisiert werden und wenn gleichzeitig die übernormativen Lohnstückkosten durch Lohnzurückhaltung gesenkt werden. Andererseits sind hohe öffentliche und private Modernisierungsinvestitionen in Ostdeutschland unerläßlich, damit in- und ausländische Investoren hinreichend stark investieren und eine leistungsfähige industrielle Basis entsteht. Ostdeutschland ist im Vergleich zu Westdeutschland unterindustrialisiert, was angesichts der engen Verbindung von Dienstleistungsexpansion und industrieller Basis bzw. Forschungsintensität höchst problematisch ist. Die gegenüber Westdeutschland schmale Forschungsbasis Ostdeutschlands kann nicht allein dadurch aufgebaut werden, daß von den jeweiligen Bundesländern die hochschulbe- zogene Forschungslandschaft finanziell stark gefährdet wird. Vielmehr ist ergänzend die Stärkung der F&E -Aktivitäten inländischer Unternehmen sowie ein Zuzug von multinationalen technologieorientierten Unternehmen durch investorfreundliche regionale und kommunale Standortpolitik notwendig.
Sinnvoll wäre eine vierjährige Aussetzung der Lohnparitätsvereinbarungen, wenn im Gegenzug durch ein auf Ostdeutschland beschränktes Bundes-Sonderforschungs- programm Innovationsimpulse für das Schließen der Ost-West-Produktivitätsschere vermittelt würden. Damit nicht der falsche Eindruck entsteht, daß Westdeutsche den ostdeutschen Arbeitnehmern eine faire Lohnangleichung nicht gönnen wollen, könnte von allen Politikern ein vorbildlicher eigener Gehaltsanpassungsverzicht (abgesehen von der Inflationsrate) für vier Jahre erklärt werden.
Der Etat des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie wäre zwecks Forschungsförderung in Ostdeutschland um mindestens 1/3 für etwa zehn Jahre zu erhöhen - alternativ wäre die Errichtung einer von der Kreditanstalt für Wiederaufbau gestützten Sonderorganisation „Innovationsoffensive Ostdeutschland“ . Viele ostdeutsche Arbeitnehmer werden eine subjektive Gerechtigkeitslücke bzw. Entlohnungsdifferenz gegenüber Westdeutschland durchaus akzeptieren, wenn diese temporär und ein Garant ist für mittelfristig wesentlich höheres Wachstum und sinkende Arbeitslosenquoten dank verbesserter Forschungs- und Entwicklungsergebnisse. Paul J.J. Welfens
Lateinunterricht
vermittelt
Schlüsselqualifikationen
Im Rahmen des Brandenburgischen Sprachentages, der kürzlich an der Universität Potsdam stattfand, hatte auch der Deutsche Altphilologenverband zu einer Aussprache über Probleme des Lateinunterrichts im Land Brandenburg eingeladen. Während das Interesse am Fach Latein wächst, verhindern zahlreiche administrative Regelungen eine deutliche Ausbreitung des Unterrichtsangebotes.
So darf Latein nach wie vor nicht als
1. Fremdsprache unterrichtet werden, als
2. Fremdsprache (ab Klasse 7) scheitert es vielfach am Fehlen einer (dafür notwendigen) zweiten Fachkraft. Als 3. Fremdsprache (ab Klasse 9) schließlich ist Latein (wie auch andere Sprachen) durch die Organisation der Oberstufe bedroht, die Fächer wie Technik sprachlichen Fähigkeiten gegenüber bevorzugt. Eine Priorität für die Fortführung der 3. Fremdsprache und kleinere Mindestkursgrößen könnten hier Abhilfe schaffen.
Scharfe Kritik richtete sich gegen die Haltung des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport, trotz der hohen Zahl fehlender Lateinlehrer das Fach nicht zum Mangelfach zu erklären. Als Folge erhalten diejenigen Lehrerinnen und Lehrer, die durch ein Erweiterungsstudium Latein entsprechende Qualifikationen erwerben, keine Reduktion ihrer Lehrverpflichtung, während das Studium anderer Fächer mit bis zu fünf Wochenstunden Reduktion unterstützt wird. Enttäuscht zeigten sich die Tteilnehmer gerade deswegen über das Ausbleiben von Vertretern des Ministeriums. Schließlich vermittele der Lateinunterricht, so waren sich die Anwesenden einig, gerade in einer sich schnell verändernden Welt und einem wachsenden Europa Schlüsselqualifikationen. Von der historischen Rolle des Lateinischen ganz abgesehen, erwachsen aus dem Umgang mit einer zeitlich entfernten und übernationalen Kultur und Sprache Perspektiven gesellschaftlicher Entwicklungen und kultureller Toleranz, die heutigen Schulunterricht zur Ausbildung für morgen und nicht von gestern werden lassen.
Im Anschluß an die Aussprache stellten Vertreter der Klassischen Philologie an der Universität Potsdam, mit der eine enge Zusammenarbeit vereinbart wurde, die „Antike im Internet“ und computergestützte Lernprogramme vor. Auch hier wurde „mediale Kompetenz“, die durch den Umgang mit fremdartigen Unterrichtsgegenständen gefördert wird, als eine Schlüsselqualifikation schulischer Bildung bestimmt.
Jörg Rüpke
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