PERSONENKULT UM STALIN HATTE AUCH IN POTSDAM BODEN
Ulrich Bernhardt zur Geschichte der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft„Walter Ulbricht“
Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam ging mittelbar aus der Deutschen Akademie-für Staats- und Rechtswissenschaft„Walter Ulbricht“(DASR) hervor, die ihrerseits wiederum aus der Deutschen Verwaltungsakademie(DVA) entstanden war. Im Gefüge der rechtswissenschaftlichen Bildungseinrichtungen hatte die SED dem Standort Babelsberg eine exponierte Stellung zugedacht: So setzte die für Rechtsfragen zuständige Abteilung im Zentralkomitee(ZK) der SED seit Mitte der fünfziger Jahre alles daran, die rechtswissenschaftliche Forschung an der Akademie in Babelsberg zu monopolisieren und auf diesem Weg Einfluß auf die Arbeit der übrigen juristischen Fakultäten zu gewinnen. Eine im Februar 1997 im Peter Lang Verlag erschienene Dissertation von Ulrich Bernhardt über„Die Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft Walter Ulbricht‘ 1948— 1971“ untersucht nun das schwierige Verhältnis zwischen Hochschule und Partei. Ein darin enthaltenes Kapitel ist dem Personenkult um Stalin gewidmet. PUTZ veröffentlicht einen Auszug der Arbeit:
Die letzten Schriften des Generalissimus über Sprachwissenschaft und die Probleme der Ökonomie im Sozialismus sowie seine Äußerungen in Interviews galten für die Arbeit der DVA wie für die gesamte DDR-Wissenschaft als verbindlich. An der staats- und rechtswissenschaftlichen Fakultät der DVA fand Anfang Dezember 1951 eine theoretische Konferenz statt, die das letzte Werk Stalins für die einzelnen Fachgebiete der Akademie fruchtbar machen sollte. Staats- und Rechtswissenschaft, Staat und Verwaltung wurden im Lichte von Stalins Arbeit„Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft“ ausgewertet. Stalin hatte darin dem Recht eine aktive Rolle beim Aufbau des marxistischen Staates zugewiesen. Wichtig war deshalb, daß sich die Auswertung auch in der Arbeit der Institute niederschlug. Akademieintern verfolgte der Rektor, inwieweit die Ergebnisse der Konferenz in der Arbeit der Fakultäten berücksichtigt wurden. Folgsam teilte die rechtswissenschaftliche Fakultät'dem ZK der SED konkrete Resultate als Folge der Konferenz mit, indem sie die stalinistischen Postulate bemühte:
„Bisher fand eine Teilung der Vorlesung über den bürgerlichen Staat statt, indem erst der Staat in der vormonopolistischen Epoche und dann der Staat im Imperialismus behandelt wurde. Aufgrund der Auswertung der Arbeit Stalins-hat sich diese Teilung als falsch erwiesen und wird nicht mehr durchgeführt(...) Im Institut für Verwaltungsrecht wurde daraufhin die ganze Vorlesungssystematik umgestellt. Es erfolgte die konkrete Herausarbeitung des Gegenstandes des Verwaltungsrechts, insbesondere der Prinzipien der Verwaltung in der antifaschistisch-demokratischen Ordnung.“
Auch an der außenpolitischen Fakultät strengten sich die Mitarbeiter an, ein geschäftiges Bild abzugeben. Die Vorlesung „Begriff und Wesen des Völkerrechts“ wurde„nach den Hinweisen Stalins neu aufgebaut“, die Vorlesungsreihe„Geschichte der
Diplomatie“ wurde„überprüft bzw. korrigiert“. Zugleich wurde ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fakultät zur Kontrolle der„Prawda“,„Iswestija“,„Literaturzeitung“ und„Nachrichten der Akademie der Wissenschaften der UdSSR“ auf Beiträge, die zu Stalins Arbeit Bezug nahmen, abgestellt. Merkmale des stalinistischen Systems waren aber-auch dieBeschwörung der Freundschaft‘mit dem sowjetischen Volk und die pseudoreligiöse Verehrung der Person Stalins. Dieser Personenkult trieb auch an der Akademie zuweilen groteske Blüten. Zum 73. Geburtstag des„genialsten Wissenschaftlers und Staatsmannes unserer Zeit“ am 21. Dezember 1952 rief das„Komitee für die Durchführung des Monats der deutschsowjetischen Freundschaft“ unter dem Vorsitz des Rektors Kleyer alle Kolleginnen und Kollegen auf, durch die Ausschmückung der Wohnhäuser und Dienstgebäude zur „festlichen Gestaltung“ des Tages beizutragen:„Entfaltet Eure Inıtiative, damit unsere Akademie zu Ehren Stalins am 21. Dezember in einem noch nie gekannten Festkleid erstrahlt.“...
Die Geburtstagsfeier begann um 9.00 Uhr morgens mit einem Festakt im Festsaal des Kulturhauses der Eisenbahner und endete mit„Tanz in allen Sälen“ ab 21.30 Uhr. Zwischen den Festansprachen sorgte das Kulturensemble der DVA durch Darbietungen wie „Du hast die Welt befreit“,„Die Flamme lodert“ oder„Mächtig steigt aus Schächten und Fabriken(Stalinlied)“ für die festliche Untermalung. Höhepunkte der Feier stellten die Wahl eines Ehrenpräsidiums und ein nächtlicher Fackelzug dar. An dem Fackelzug nahmen ungefähr 2000 Personen teil, die sich aus den Studierenden, den Angehörigen des Lehrkörpers und den Belegschaftsangehörigen einschließlich deren Frauen und Familienangehörigen sowie den Angehörigen der Hochschule der Justiz zusammensetzten. An der Spitze des Zuges wurde ein Stalin-Portrait getragen. Dahinter eine Losung mit dem Text:„Lang lebe der große
Stalin, der Führer und weise Lehrer aller Werktätigen der Welt“.
Bereits zehn Wochen nach dem Festakt mußten die Studenten Stalins Krankheit zur Kenntnis nehmen.„In aufrichtiger Sorge“ und ihren„besten Freund“ telegrafierten die Studenten der Seminargruppe IX der DASR an den Ministerrat der UdSSR:„Ihm als dem Führer der Friedenskräfte der Welt gelten unsere tiefsten und herzlichsten Wünsche für seine baldige Genesung, damit der Welt ihr größter Sohn noch lange erhalten bleibe. Unsere Freundschaft zum großen Sowjetvolke ist unerschütterlich.“ Als Stalin am 6. März starb, kondolierte die DASR ‚Walter Ulbricht“ den„teuren Genossen“ vom ZK der KPdSU noch am selben Tag:
„Das sowjetische Volk, die Kommunistische Partei der Sowjetunion, die internationale Arbeiterklasse und ihre Parteien sowie die ganze fortschrittliche friedliebende Menschheit haben in Stalin ihren großen Führer im Kampf um Frieden, nationale Unabhängigkeit, Demokratie und Sozialismus verloren, dessen ganzes Denken und Leben der Befreiung der Werktätigen in alJer Welt gewidmet war(...) In tiefer Trauer um unseren geliebten Genossen Stalin geloben wir, die Freundschaft zum mächtigen Sowjetvolk der Partei Lenins und Stalins zu festigen, unseren Kampf um Frieden, Einheit, Demokratie und Sozialismus zu verstärken, unsere Verteidigungsbereitschaft und Wachsamkeit zu erhöhen und uns noch enger um unsere Sozialistische Einheitspartei zusammenzuschließen. Es lebe der unsterbliche Name und das unsterbliche Werk des Genossen Stalin!"
Zwei Monate später, zum achten Jahrestag der deutschen Kapitulation, bekräftigten Parteileitung und Senat, daß sie die Erinnerung an Stalin an der Akademie wachhalten wollten:„Heilig ist uns das Vermächtnis unseres unvergeßlichen Josef Wissarionowitsch Stalin, des besten Freundes des deutschen Volkes, die Freundschaft zu den Völkern der Sowjetunion zu festigen und zu vertiefen. Wir sind bereit, die Sowjetunion bis zu unserem letzten Blutstropfen zu verteidigen, wenn die Imperialisten es wagen Sollten, sie zu überfallen.“ Daß es der Akademieleitung ernst war mit der kämpferischen Vermächtnispflege, bewies sie mit der Veranstaltung zu Stalins Todestag im folgenden Jahr. Der erste Sekretär der Betriebsparteiorganisation hielt eine Ansprache, Die Organisationen sowie die Akademieleitung legten Kränze nieder. Die FDJ stellte in der Zeit von 17 bis 18 Uhr(„Zwei Mann, die alle 30 Minuten abgelöst werden“) eine Sonderwache in FDJ-Kleidung und mit Gewehr ausgestattet.
Seite 22
PUTZ 4/97