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(1.1.2019) 07
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SPRACHEN IM 17. UND 18. JAHRHUNDERT

X. Internationales Kolloquium des Studienkreises Geschichte der Sprachwissenschaft

Welcher Ort der Welt wäre wohl geeig­neter, um über Sprachdiskussionen insbesondere des 18. Jahrhunderts nachzudenken als das friderizianische Potsdam? Bewußt wurde daher Potsdam als Tagungsstätte für das X. Kolloquium des Studienkreises Geschichte der Sprachwissenschaft und des Institutes für Romanistik der Universität Potsdam auserkoren. Bewußt entschied man sich dazu, in den Räumen des Forschungs­zentrums Europäische Aufklärung, die Prof. Dr. Martin Fontius dankenswerter­weise zur Verfügung gestellt hatte, 2.000 Meter von Schloß Sanssouci entfernt auf den Spuren der Aufklärer zu wandeln. Prof. Dr. Gerda Haßler vom Romanisti­schen Institut hatte dieses Kolloquium organisiert. 60 Gelehrte und solche, die es noch werden wollen, waren bereitwil­lig und neugierig dem Ruf ins Mekka der europäischen Aufklärung gefolgt: Wis­senschaftler aus aller Herren Länder, nämlich aus Deutschland, Belgien, Nie­derlande, Frankreich, England, Öster­reich, Italien, Ukraine, Rußland, Korea, Japan und USA. Sie alle hatten ihre hei­mischen Universitäten verlassen und für einige Tage gegen das aufgeklärte Pots­dam eingetauscht. Obgleich über den ganzen Globus verteilt, vereinte sie ein gemeinsames Band: die Leidenschaft für das Thema Sprache.

Faszinierend war das Themenspektrum, welches die 38 Referate der 60 Teilnehmer im Rahmen des Schwerpunktes Sprach­diskussion und Sprachbeschreibung im 17. und 18. Jahrhundert darboten. Wäh­rend einige Vorträge insbesondere anthro­pologische Problemstellungen ins Visier nahmen, wenn etwa nach sprachlichen Universalien, der Relation von Sprache und Denken oder dem Ursprung der Spra­Che gefragt wurde, verschrieben sich an­dere Referenten empirischen Untersu­Chungen wie etwa der Bestandsaufnahme des lexikologischen Repertoires exoti­scher Völker.

Bald reiste man unter der Führung von PD Dr. Elke Nowak(Stuttgart) mit halb an­alphabetischen Missionaren, die aber un­bedingt ein Wörterbuch schreiben muß­ten, zu den Eskimos, um etwas über Grammatik und Kolonialisierung in der Östlichen Arktis 1721 bis 1891 zu erfahren, bald spürte man mit Prof. Dr. Marijke Van der Wal(Leiden/Niederlande) dem aben­teuerlichen Fall eines Wolfskindes und seiner Versuche, nach erfolgter Integrati­on in die menschliche Gesellschaft, Spra­che zu erlernen, nach. Überhaupt waren

mehrere Referenten dem Ursprung der menschlichen Sprache und dessen Dar­stellung in Zeugnissen des 18. Jahrhun­derts nachgegangen. So entzündete zum Beispiel die These einer Paderborner Dok­torandin, Johann Peter Süßmilch dürfe nicht als Vertreter des göttlichen Sprach­ursprungs rezipiert werden, eine lebhafte Diskussion, die selbst in Weisheit gealter­te Wissenschaftler zu zügellosen Pole­miken hinriß. Süßmilch hatte es auch dem Potsdamer Germanisten Prof. Dr. Joachim Gessinger angetan, der im Vergleich zu der juvenilen Polemik seiner Vorreferentin in seinem kurzweiligen Vortrag mode­ratere Töne anschlug.

Für großes Interesse unter den Anwesen­den sorgten die Bemühungen von Angehö6­rigen der Potsdamer Romanistik, bisher noch kaum erforschte Berliner Archivalien zum Ursprung der Sprache ans Licht zu bringen und vor dem Hintergrund der gän­gigen Diskussion der europäischen Aufklä­rung zu analysieren.

An anderer Stelle bemühte sich die Pots­damer Anglistin Dr. habil. Ilse Wischer, Englisch noch zu retten und behandelte Versuche des 17. und 18. Jahrhunderts, die englische Sprache zu normieren. Aspekte der deutschen Aufklärung kamen im Vor­trag der Romanistin Christine Damis(Pots­dam) zum Tragen, die die Metapher als Element des Diskurses über Sprache am Beispiel von Johann David Michaelis ana­lysierte. Beiträge zur russischen Sprach­diskussion sollten ebenso zur Erleuchtung des geschätzten Auditoriums beitragen wie die Auseinandersetzung mit der fran­zösischen, englischen und italienischen Aufklärung. Auch dem Spanischen(Prof. Dr. Daniel Droixhe/Liege/Belgien) und Por­tugiesischen in Brasilien(Dr. Sybille Gro­ße/Potsdam) waren Beiträge gewidmet, und somit war das geographische Spek­trum der Konferenzvorträge nicht minder breit gestreut als das der Teilnehmer. Neben einzelsprachlichen Beiträgen konn­te man auch allgemein-sprachwissen­schaftliche Lesungen goutieren: etwa die Beschreibung der Verschiedenheit der Sprachen und die Suche nach universellen Prinzipien der menschlichen Sprach­fähigkeit. In diesem Vortrag spürte Prof, Dr. Gerda Haßler der Frage nach, ob uns die Verschiedenheit der menschlichen Sprachen zur Lust oder zur Last sei, und ob es Elemente der menschlichen Sprach­fähigkeit gäbe, die allen Sprachen ge­

meinsam- sogenannte Universalien

seien. Eine allgemeinsprachliche Problematik behandelte auch ein Vortrag zum sprachli­

Chen Relativitätsprinzip. Hier wurde die Fra­ge aufgeworfen, ob es eine sprach­spezifische Form des Denkens gäbe, das heißt, ob der Charakter der Sprache eines Volkes dessen Denken in besonderer Wei­se präge.

Eine besondere Würde kam diesem X. In­ternationalen Kolloquium ganz abgese­hen von der hohen Teilnehmerfreqguenz aus mehreren Kontinenten- noch aus einem anderen Grunde zu, bot doch der Kongreß die passende Gelegenheit, mit Prof. Dr. Werner Bahner einen hochverdienten und prominenten Romanisten zu ehren, der in jenen Tagen seinen 70. Geburtstag beging und- man staune- selbst noch wissen­schaftlich aktiv ist.

Die Internationalität, die dieses Kolloqui­um auszeichnete, bot allerdings auch Grund zum Amüsement: Ein tempera­mentvoller neapoletanischer Beitrag zu Positionen italienischer Sprachtheoretiker des 18. Jahrhunderts über Sprachpro­duktion und-rezeption mündete in ein heil­loses Sprachengewirr der polyglotten Ge­meinde, die in Deutsch Fragen stellte, welche in Italienisch beantwortet wurden, wobei manche das Gesagte ins Englische übersetzten, während die französische Diskussionsleiterin nach Grund suchte­eine heillose babylonische Sprachver­wirrung!

Confusio linguarum, dachte der besonne­ne aufklärerische Sprachphilosoph und sann voller Vorfreude über die bevorstehen­de Promenade ins königliche Sanssouci und zu erwartenden Gaumenfreuden vor sich hin. Bei dieser Gelegenheit erfuhren wir, daß der karnivore König Friedrich II. Berge von Fleisch und Fett verzehrte und nur einem besonderen Gast eine Extra­wurst braten ließ: Sein Intimus Voltaire war reiner Vegetarier.

Die Potsdamer Romanistik hat allen Grund, mit diesem Kongreß hochzufrieden zu sein. Vertreter der Universität aus den Fachrichtungen Romanistik, Germanistik und Anglistik haben gezeigt, daß eine kompetente Auseinandersetzung mit sprachtheoretischen Problemen des 17./ 18. Jahrhunderts stattfindet, die auch inter­nationales Interesse und Anerkennung evoziert. Gleichzeitig waren die zum Teil sehr originellen Beiträge speziell auch der ausländischen Gäste- ein Signal da­für, daß Kooperationsvorhaben mit ande­ren Universitäten und dem Forschungszen­trum Europäische Aufklärung intensiviert werden beziehungsweise überhaupt erst entstehen sollten, um eine größere Effizi­enz im Bemühen um wissenschaftliche Erkenntnis zu erzielen. Cordula Neis

PUTZ 7/97

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