SPRACHEN IM 17. UND 18. JAHRHUNDERT
X. Internationales Kolloquium des Studienkreises Geschichte der Sprachwissenschaft
Welcher Ort der Welt wäre wohl geeigneter, um über Sprachdiskussionen— insbesondere des 18. Jahrhunderts— nachzudenken als das friderizianische Potsdam? Bewußt wurde daher Potsdam als Tagungsstätte für das X. Kolloquium des Studienkreises Geschichte der Sprachwissenschaft und des Institutes für Romanistik der Universität Potsdam auserkoren. Bewußt entschied man sich dazu, in den Räumen des Forschungszentrums Europäische Aufklärung, die Prof. Dr. Martin Fontius dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hatte, 2.000 Meter von Schloß Sanssouci entfernt auf den Spuren der Aufklärer zu wandeln. Prof. Dr. Gerda Haßler vom Romanistischen Institut hatte dieses Kolloquium organisiert. 60 Gelehrte und solche, die es noch werden wollen, waren bereitwillig und neugierig dem Ruf ins Mekka der europäischen Aufklärung gefolgt: Wissenschaftler aus aller Herren Länder, nämlich aus Deutschland, Belgien, Niederlande, Frankreich, England, Österreich, Italien, Ukraine, Rußland, Korea, Japan und USA. Sie alle hatten ihre heimischen Universitäten verlassen und für einige Tage gegen das aufgeklärte Potsdam eingetauscht. Obgleich über den ganzen Globus verteilt, vereinte sie ein gemeinsames Band: die Leidenschaft für das Thema Sprache.
Faszinierend war das Themenspektrum, welches die 38 Referate der 60 Teilnehmer im Rahmen des Schwerpunktes Sprachdiskussion und Sprachbeschreibung im 17. und 18. Jahrhundert darboten. Während einige Vorträge insbesondere anthropologische Problemstellungen ins Visier nahmen, wenn etwa nach sprachlichen Universalien, der Relation von Sprache und Denken oder dem Ursprung der SpraChe gefragt wurde, verschrieben sich andere Referenten empirischen UntersuChungen wie etwa der Bestandsaufnahme des lexikologischen Repertoires exotischer Völker.
Bald reiste man unter der Führung von PD Dr. Elke Nowak(Stuttgart) mit halb analphabetischen Missionaren, die aber unbedingt ein Wörterbuch schreiben mußten, zu den Eskimos, um etwas über „Grammatik und Kolonialisierung in der Östlichen Arktis 1721 bis 1891“ zu erfahren, bald spürte man mit Prof. Dr. Marijke Van der Wal(Leiden/Niederlande) dem abenteuerlichen Fall eines Wolfskindes und seiner Versuche, nach erfolgter Integration in die menschliche Gesellschaft, Sprache zu erlernen, nach. Überhaupt waren
mehrere Referenten dem Ursprung der menschlichen Sprache und dessen Darstellung in Zeugnissen des 18. Jahrhunderts nachgegangen. So entzündete zum Beispiel die These einer Paderborner Doktorandin, Johann Peter Süßmilch dürfe nicht als Vertreter des göttlichen Sprachursprungs rezipiert werden, eine lebhafte Diskussion, die selbst in Weisheit gealterte Wissenschaftler zu zügellosen Polemiken hinriß. Süßmilch hatte es auch dem Potsdamer Germanisten Prof. Dr. Joachim Gessinger angetan, der im Vergleich zu der juvenilen Polemik seiner Vorreferentin in seinem kurzweiligen Vortrag moderatere Töne anschlug.
Für großes Interesse unter den Anwesenden sorgten die Bemühungen von Angehö6rigen der Potsdamer Romanistik, bisher noch kaum erforschte Berliner Archivalien zum Ursprung der Sprache ans Licht zu bringen und vor dem Hintergrund der gängigen Diskussion der europäischen Aufklärung zu analysieren.
An anderer Stelle bemühte sich die Potsdamer Anglistin Dr. habil. Ilse Wischer, „Englisch noch zu retten“ und behandelte Versuche des 17. und 18. Jahrhunderts, die englische Sprache zu normieren. Aspekte der deutschen Aufklärung kamen im Vortrag der Romanistin Christine Damis(Potsdam) zum Tragen, die die Metapher als Element des Diskurses über Sprache am Beispiel von Johann David Michaelis analysierte. Beiträge zur russischen Sprachdiskussion sollten ebenso zur Erleuchtung des geschätzten Auditoriums beitragen wie die Auseinandersetzung mit der französischen, englischen und italienischen Aufklärung. Auch dem Spanischen(Prof. Dr. Daniel Droixhe/Liege/Belgien) und Portugiesischen in Brasilien(Dr. Sybille Große/Potsdam) waren Beiträge gewidmet, und somit war das geographische Spektrum der Konferenzvorträge nicht minder breit gestreut als das der Teilnehmer. Neben einzelsprachlichen Beiträgen konnte man auch allgemein-sprachwissenschaftliche Lesungen goutieren: etwa die „Beschreibung der Verschiedenheit der Sprachen und die Suche nach universellen Prinzipien der menschlichen Sprachfähigkeit“. In diesem Vortrag spürte Prof, Dr. Gerda Haßler der Frage nach, ob uns die Verschiedenheit der menschlichen Sprachen zur Lust oder zur Last sei, und ob es Elemente der menschlichen Sprachfähigkeit gäbe, die allen Sprachen ge
meinsam- sogenannte Universalien—
seien. Eine allgemeinsprachliche Problematik behandelte auch ein Vortrag zum sprachli
Chen Relativitätsprinzip. Hier wurde die Frage aufgeworfen, ob es eine sprachspezifische Form des Denkens gäbe, das heißt, ob der Charakter der Sprache eines Volkes dessen Denken in besonderer Weise präge.
Eine besondere Würde kam diesem X. Internationalen Kolloquium— ganz abgesehen von der hohen Teilnehmerfreqguenz aus mehreren Kontinenten- noch aus einem anderen Grunde zu, bot doch der Kongreß die passende Gelegenheit, mit Prof. Dr. Werner Bahner einen hochverdienten und prominenten Romanisten zu ehren, der in jenen Tagen seinen 70. Geburtstag beging und—- man staune—- selbst noch wissenschaftlich aktiv ist.
Die Internationalität, die dieses Kolloquium auszeichnete, bot allerdings auch Grund zum Amüsement: Ein temperamentvoller neapoletanischer Beitrag zu Positionen italienischer Sprachtheoretiker des 18. Jahrhunderts über Sprachproduktion und-rezeption mündete in ein heilloses Sprachengewirr der polyglotten Gemeinde, die in Deutsch Fragen stellte, welche in Italienisch beantwortet wurden, wobei manche das Gesagte ins Englische übersetzten, während die französische Diskussionsleiterin nach Grund suchte—eine heillose babylonische Sprachverwirrung!
„Confusio linguarum“, dachte der besonnene aufklärerische Sprachphilosoph und sann voller Vorfreude über die bevorstehende Promenade ins königliche Sanssouci und zu erwartenden Gaumenfreuden vor sich hin. Bei dieser Gelegenheit erfuhren wir, daß der karnivore König Friedrich II. Berge von Fleisch und Fett verzehrte und nur einem besonderen Gast eine Extrawurst braten ließ: Sein Intimus Voltaire war reiner Vegetarier.
Die Potsdamer Romanistik hat allen Grund, mit diesem Kongreß hochzufrieden zu sein. Vertreter der Universität aus den Fachrichtungen Romanistik, Germanistik und Anglistik haben gezeigt, daß eine kompetente Auseinandersetzung mit sprachtheoretischen Problemen des 17./ 18. Jahrhunderts stattfindet, die auch internationales Interesse und Anerkennung evoziert. Gleichzeitig waren die zum Teil sehr originellen Beiträge— speziell auch der ausländischen Gäste—- ein Signal dafür, daß Kooperationsvorhaben mit anderen Universitäten und dem Forschungszentrum Europäische Aufklärung intensiviert werden beziehungsweise überhaupt erst entstehen sollten, um eine größere Effizienz im Bemühen um wissenschaftliche Erkenntnis zu erzielen. Cordula Neis
PUTZ 7/97
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