deutlich die Intention des Herausgebers, deskriptive und analytische Wissenschaft zusammenzuführen. Das Ziel Klegers ist es, das komplexe Netzwerk städtischer Lebenswelten zu erfassen und auf der Grundlage empirischer Forschung neue theoretische Impulse zu geben. Einerseits geht es ihm um„eine politische Theorie der Bürgergesellschaft“, andererseits um einen internationalen Vergleich der Handlungsfähigkeit von Stadtregionen. Mit einer sogenannten„Empirie konkreter Problemfälle“ werden die theoretischen Thesen dem Praxistest unterzogen. Als Beispiel dient die„verspätete Region“ Berlin-Brandenburg. Die Entwicklung von regionalen Normen, Institutionen und Regeln sowie von strukturellen Erfordernissen wird insbesondere vor dem Hintergrund der gescheiterten Länderfusion und dem europäischen Wettbewerb der Regionen analysiert. Im zweiten Band der Kleger-Reihe mit dem Titel„Urbanität und Stadtentwicklung“ untersucht Erwin Ruegg politische Entscheidungsprozesse auf den Grundlagen der veränderten,„unlesbaren“ Stadt. Verglichen werden die europäischen Siedlungsräume Bologna, Frankfurt/Main und Zürich. Grundlage für die Analyse sind soziologische und demo
kratietheoretische Überlegungen sowie Ergebnisse der Stadtforschung. ‚Vom Stadtforum zum Forum der Stadt“ heißt ein weiterer Sammelband der Reihe. Heinz Kleger, Andreas Fiedler und Holger Kuhle befassen sich mit einer neuen, kooperativen Planungsstruktur, dem Stadtforum Berlin, das nach der Wiedervereinigung entstand. Den Autoren geht es vor allem darum, neue Partizipationsmöglichkeiten unter der Prämisse politisch-theoretischer Überlegungen zu schaffen, um eine neue Qualität der Stadtund Entwicklungsplanung zu erzielen. Nils-Eyk Zimmermann
Heinz Kleger: Metropolitane Transformation durch urbane Regime: Berlin-Brandenburg auf dem Weg zu regionaler Handlungsfähigkeit, 197 S.
Erwin Ruegg: Urbanität und Stadtentwicklung: Politische Entscheidungsprozesse in Bologna, 213 S.
Heinz Kleger, Andreas Fiedler, Holger Kuhle: Vom Stadtforum zum Forum der Stadt: Entwicklung und Perspektiven des Stadtforums Berlin, 235 S.
Alle drei Bände sind 1996 im G+B Verlag Fakultas erschienen und kosten im Softcover 39,80 DM, im Hardcover 89,- DM.
DEN ELITEN AUF DER SPUR
Studie des Potsdamer Uni-Professors Wilhelm Bürklin
„Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn. Verstand ist stets bei wen'gen nur gewesen.“ So lautete eines der Themen, welche mein Deutschlehrer 1961 für den Abituraufsatz meiner Klasse auswählte. An die daran angeschlossene Aufgabenstellung kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Es galt jedenfalls, im Hinblick auf dieses Zitat aus dem(uns völlig unbekannten) Demetriusfragment Schillers zu begründen, daß das demokratische Mehrheitsprinzip mit der Existenz einer politischen Elite durchaus vereinbar sei, ja daß die Demokratie einer Elite bedürfe.
Die Lösung dieser Aufgabe wurde uns durch unsere reichlich vagen Vorstellungen von der „Elite“ keineswegs erschwert, sondern sogar erleichtert. Denn wie Generationen von Abitunenten vor uns, sollten wir ein Bekenntnis— in unserem Falle also ein Bekenntnis zur Elite in der Demokratie— in einem„Besinnungsaufsatz“ so zu Papier bringen, daß es sich wie eine Erkenntnis las. Man konnte es mit jenen Lehrern halten, die sich als aus„Akademikerfamilien“ stammende„Akademiker“ selbst zur Elite zählten. Man konnte statt an deutsche Studien- und Oberstudienräte allerdings auch an den von uns bewunderten jungen amerikanischen Präsidenten John FE Kennedy und dessen soziales Umfeld oder an die Lords im englischen Oberhaus denken. Von einer Elitenforschung wußten wir— und wohl auch unser Deutschlehrer— nichts. Verwunderlich
ist dies nicht. Seinerzeit hatten Sozialwissenschaftler gerade erst begonnen, mit Mitteln empirischer Sozialforschung Eliten zu untersuchen.
Seither sind sie, wovon man sich anhand der ersten großen Publikation zur„Potsdamer Elitestudie“ überzeugen kann, auf diesem Forschungsfeld weit vorangekommen. Diese Studie schließt an die von Rudolf Wildenmann, einem Pionier der empirischen politikwissenschaftlichen Forschung, initierten Untersuchungen der(west-)deutschen Führungsschicht, insbesondere an die von Wildenmann selbst geleiteten großen Elitestudien aus den Jahren 1968, 1972 und 1981, an. Dessen langjähriger Mitarbeiter, Wilhelm Bürklin, hat sich bald nach seiner Berufung auf die Professur Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland an der Universität Potsdam an eine Fortsetzung dieser Untersuchungsreihe und damit an ein ungewöhnlich komplexes und umfangreiches Forschungsvorhaben gewagt: Die hier wie in den Vorgängerstudien als„Funktionseliten“ begriffenen, durch Führungspositionen in Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft, Justiz, Verbänden, Medien etc. bestimmten Eliten mußten zunächst auch personell neu identifiziert werden: War doch seit der letzten großen Befragung die DDR höchst unerwartet in der Bundesrepublik aufgegangen. Umfang und Zusammensetzung der Führungsschicht haben sich damit vor allem in
den neuen Bundesländern beträchtlich verändert. Die Zahl der ausgewählten Elitepositionen betrug nun 4587 und lag damit fast um 1000 über der vielfach als Vergleichsstudie herangezogenen Studie von 1981. Diese Positionen wurden von 4155 Personen eingenommen. 3941 dieser Personen konnte ein umfangreicher Fragebogen zugestellt werden. 2341 Adressaten, und damit nahezu 60 Prozent, haben ihn ausgefüllt. Mittels der 1995 erhobenen Daten ließ sich ein sehr genaues und tiefenscharfes Bild der Eliten im vereinigten Deutschland zeichnen, das Bürklin und seine Mitarbeiter nun in zwölf Kapiteln auf gut 400 Seiten vorstellen.
Der Hinweis auf einige wenige Ergebnisse mag Appetit auf mehr machen: Es dürfte nicht überraschen, daß eine sehr große Mehrheit der Inhaber von Elitepositionen ein Studium abgeschlossen(77 Prozent) oder zumindest das Abitur hat(weitere neun Prozent). Auch die Tatsache, daß in den soziaen Herkunftsklassen der Eliten die von den Autoren„obere Dienstklasse“ genannte Gruppe im Vergleich zur Bevölkerung stark überrepräsentiert ist, entspricht geläufigen Vorstellungen. Aber wer hätte vermutet, daß mehr als die Hälfte der Befragten nicht in jenen„Akademikerfamilien“ aufgewachsen sind, die meine Lehrer noch für den„Hort für Bildung und Verstand“ hielten? Und wer würde angesichts einer insgesamt immer noch sehr geringen Zahl von Frauen in Elitepositionen(13 Prozent) erwarten, daß sich deren Anteil seit 1981 immerhin vervierfacht hat und in der politischen Elite sogar von sechs auf 38 Prozent angestiegen ist? Auch im Hinblick auf das Ost-West-Verhältnis hat die Studie einige kaum erwartete Ergebnisse hervorgebracht. Aber dazu lese man selbst. Günter C. Behrmann
Wilhelm Bürklin, Hilke Rebenstorf u.a.: Eliten in Deutschland. Rekrutierung und Integration, Verlag Leske+ Budrich 1997, 482 S., 78,- DM.
Ganten neuer Vorsitzender
Prof. Dr. Detlev Ganten ist neuer Vorsitzender der Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren(HGF). Mit dem 56 Jahre alten Mediziner und Vorstandsvorsitzenden des Max-DelbrückCentrums für Molekulare Medizin(MDC) in Berlin-Buch steht erstmals ein Vertreter eines Helmholtz-Forschungszentrums aus den neuen Bundesländern an der Spitze der HGF In der Helmholtz-Gemeinschaft sind 16 Forschungszentren mit rund 22.500 Mitarbeitern zusammengeschlossen. Die HFG verfügt über ein Jahresbudget von rund vier Milliarden Mark. mt.
PUTZ 9/97
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