Heft 
(1.1.2019) 09
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deutlich die Intention des Herausgebers, deskriptive und analytische Wissenschaft zusammenzuführen. Das Ziel Klegers ist es, das komplexe Netzwerk städtischer Lebens­welten zu erfassen und auf der Grundlage empirischer Forschung neue theoretische Impulse zu geben. Einerseits geht es ihm umeine politische Theorie der Bürger­gesellschaft, andererseits um einen inter­nationalen Vergleich der Handlungsfähig­keit von Stadtregionen. Mit einer sogenann­tenEmpirie konkreter Problemfälle wer­den die theoretischen Thesen dem Praxis­test unterzogen. Als Beispiel dient diever­spätete Region Berlin-Brandenburg. Die Entwicklung von regionalen Normen, Insti­tutionen und Regeln sowie von strukturellen Erfordernissen wird insbesondere vor dem Hintergrund der gescheiterten Länderfu­sion und dem europäischen Wettbewerb der Regionen analysiert. Im zweiten Band der Kleger-Reihe mit dem TitelUrbanität und Stadtentwicklung untersucht Erwin Ruegg politische Entscheidungsprozesse auf den Grundlagen der veränderten,un­lesbaren Stadt. Verglichen werden die eu­ropäischen Siedlungsräume Bologna, Frankfurt/Main und Zürich. Grundlage für die Analyse sind soziologische und demo­

kratietheoretische Überlegungen sowie Er­gebnisse der Stadtforschung. ‚Vom Stadt­forum zum Forum der Stadt heißt ein weite­rer Sammelband der Reihe. Heinz Kleger, Andreas Fiedler und Holger Kuhle befassen sich mit einer neuen, kooperativen Planungs­struktur, dem Stadtforum Berlin, das nach der Wiedervereinigung entstand. Den Auto­ren geht es vor allem darum, neue Par­tizipationsmöglichkeiten unter der Prämisse politisch-theoretischer Überlegungen zu schaffen, um eine neue Qualität der Stadt­und Entwicklungsplanung zu erzielen. Nils-Eyk Zimmermann

Heinz Kleger: Metropolitane Transforma­tion durch urbane Regime: Berlin-Bran­denburg auf dem Weg zu regionaler Handlungsfähigkeit, 197 S.

Erwin Ruegg: Urbanität und Stadtent­wicklung: Politische Entscheidungspro­zesse in Bologna, 213 S.

Heinz Kleger, Andreas Fiedler, Holger Kuhle: Vom Stadtforum zum Forum der Stadt: Entwicklung und Perspektiven des Stadtforums Berlin, 235 S.

Alle drei Bände sind 1996 im G+B Verlag Fakultas erschienen und kosten im Soft­cover 39,80 DM, im Hardcover 89,- DM.

DEN ELITEN AUF DER SPUR

Studie des Potsdamer Uni-Professors Wilhelm Bürklin

Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Un­sinn. Verstand ist stets bei wen'gen nur ge­wesen. So lautete eines der Themen, wel­che mein Deutschlehrer 1961 für den Abituraufsatz meiner Klasse auswählte. An die daran angeschlossene Aufgabenstel­lung kann ich mich nicht mehr genau erin­nern. Es galt jedenfalls, im Hinblick auf die­ses Zitat aus dem(uns völlig unbekannten) Demetriusfragment Schillers zu begrün­den, daß das demokratische Mehrheitsprin­zip mit der Existenz einer politischen Elite durchaus vereinbar sei, ja daß die Demo­kratie einer Elite bedürfe.

Die Lösung dieser Aufgabe wurde uns durch unsere reichlich vagen Vorstellungen von der Elite keineswegs erschwert, sondern sogar erleichtert. Denn wie Generationen von Abitu­nenten vor uns, sollten wir ein Bekenntnis in unserem Falle also ein Bekenntnis zur Elite in der Demokratie in einemBesinnungs­aufsatz so zu Papier bringen, daß es sich wie eine Erkenntnis las. Man konnte es mit jenen Lehrern halten, die sich als ausAkademiker­familien stammendeAkademiker selbst zur Elite zählten. Man konnte statt an deutsche Studien- und Oberstudienräte allerdings auch an den von uns bewunderten jungen ameri­kanischen Präsidenten John FE Kennedy und dessen soziales Umfeld oder an die Lords im englischen Oberhaus denken. Von einer Elitenforschung wußten wir und wohl auch unser Deutschlehrer nichts. Verwunderlich

ist dies nicht. Seinerzeit hatten Sozial­wissenschaftler gerade erst begonnen, mit Mitteln empirischer Sozialforschung Eliten zu untersuchen.

Seither sind sie, wovon man sich anhand der ersten großen Publikation zurPotsdamer Elitestudie überzeugen kann, auf diesem Forschungsfeld weit vorangekommen. Die­se Studie schließt an die von Rudolf Wilden­mann, einem Pionier der empirischen politikwissenschaftlichen Forschung, initier­ten Untersuchungen der(west-)deutschen Führungsschicht, insbesondere an die von Wildenmann selbst geleiteten großen Elite­studien aus den Jahren 1968, 1972 und 1981, an. Dessen langjähriger Mitarbeiter, Wilhelm Bürklin, hat sich bald nach seiner Berufung auf die Professur Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland an der Univer­sität Potsdam an eine Fortsetzung dieser Untersuchungsreihe und damit an ein unge­wöhnlich komplexes und umfangreiches Forschungsvorhaben gewagt: Die hier wie in den Vorgängerstudien alsFunktionseliten begriffenen, durch Führungspositionen in Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft, Justiz, Verbänden, Medien etc. bestimmten Eliten mußten zunächst auch personell neu identifiziert werden: War doch seit der letz­ten großen Befragung die DDR höchst uner­wartet in der Bundesrepublik aufgegangen. Umfang und Zusammensetzung der Füh­rungsschicht haben sich damit vor allem in

den neuen Bundesländern beträchtlich ver­ändert. Die Zahl der ausgewählten Elite­positionen betrug nun 4587 und lag damit fast um 1000 über der vielfach als Ver­gleichsstudie herangezogenen Studie von 1981. Diese Positionen wurden von 4155 Personen eingenommen. 3941 dieser Per­sonen konnte ein umfangreicher Fragebo­gen zugestellt werden. 2341 Adressaten, und damit nahezu 60 Prozent, haben ihn ausgefüllt. Mittels der 1995 erhobenen Da­ten ließ sich ein sehr genaues und tiefen­scharfes Bild der Eliten im vereinigten Deutschland zeichnen, das Bürklin und sei­ne Mitarbeiter nun in zwölf Kapiteln auf gut 400 Seiten vorstellen.

Der Hinweis auf einige wenige Ergebnisse mag Appetit auf mehr machen: Es dürfte nicht überraschen, daß eine sehr große Mehrheit der Inhaber von Elitepositionen ein Studium abgeschlossen(77 Prozent) oder zumindest das Abitur hat(weitere neun Pro­zent). Auch die Tatsache, daß in den sozia­en Herkunftsklassen der Eliten die von den Autorenobere Dienstklasse genannte Gruppe im Vergleich zur Bevölkerung stark überrepräsentiert ist, entspricht geläufigen Vorstellungen. Aber wer hätte vermutet, daß mehr als die Hälfte der Befragten nicht in jenenAkademikerfamilien aufgewachsen sind, die meine Lehrer noch für denHort für Bildung und Verstand hielten? Und wer würde angesichts einer insgesamt immer noch sehr geringen Zahl von Frauen in Elite­positionen(13 Prozent) erwarten, daß sich deren Anteil seit 1981 immerhin vervierfacht hat und in der politischen Elite sogar von sechs auf 38 Prozent angestiegen ist? Auch im Hinblick auf das Ost-West-Verhältnis hat die Studie einige kaum erwartete Ergebnis­se hervorgebracht. Aber dazu lese man selbst. Günter C. Behrmann

Wilhelm Bürklin, Hilke Rebenstorf u.a.: Eliten in Deutschland. Rekrutierung und Integration, Verlag Leske+ Budrich 1997, 482 S., 78,- DM.

Ganten neuer Vorsitzender

Prof. Dr. Detlev Ganten ist neuer Vorsitzender der Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren(HGF). Mit dem 56 Jahre alten Mediziner und Vor­standsvorsitzenden des Max-Delbrück­Centrums für Molekulare Medizin(MDC) in Berlin-Buch steht erstmals ein Vertreter eines Helmholtz-Forschungszentrums aus den neuen Bundesländern an der Spitze der HGF In der Helmholtz-Gemeinschaft sind 16 Forschungszentren mit rund 22.500 Mitarbeitern zusammengeschlossen. Die HFG verfügt über ein Jahresbudget von rund vier Milliarden Mark. mt.

PUTZ 9/97

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