PUTZ 3/99
Rektorwahl
„Totenstille wäre das Schlimmste...”
Prof. Dr. Julius H. Schoeps
PUTZ: Sie stellen sich zur Wahl für das Amt des Rektors der Universität Potsdam. Was bewog Sie zu kandidieren?
Julius H. Schoeps: Sorgen, und zwar die Zukunft der Universität betreffend. Als einstiges Mitglied des Gründungssenats nehme ich verständlicherweise starken Anteil an den Entwicklungen, die inzwischen vom ursprünglichen Gründungskonzept der Universität fortgeführt haben. Das allein sehe ich zwar noch nicht als d a s Problem an, meine aber, daß Gefahr in Verzug ist. Es ist notwendig, Weichen zu stellen.
PUTZ: Die finanzielle Situation des Landes wird die Universität zwingen, das Gründungskonzept von 1993 nicht vollständig umsetzen zu können. Wie gedenken Sie, die langfristige Entwicklung der Potsdamer Universität zu steuern?
Julius H. Schoeps: In der Tat schafft die finanzielle Situation Probleme. Das ursprüngliche Aufbaukonzept ist nicht mehr zu halten. Das heißt aber nicht, daß auf jedwedes Konzept vollständig verzichtet werden muß. Notwendig scheint es mir zu sein, das Profil der Universität zu schärfen. Wir können ja einiges vorweisen. Insbesondere in den Naturwissenschaften ist bereits etwas angeschoben worden. Auch in den Geistes-, Sozial- und Rechtswissenschaften hat sich die Universität inzwischen einen Namen gemacht. Das ändert aber nichts daran, daß es unumgänglich ist, mittelfristig Planungssicherheit zu schaffen. Zielvereinbarungen zwischen Universität und Ministerium existieren. Es fragt sich nur, ob sie ohne weiteres umgesetzt werden können.
PUTZ: Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur hat eine Novelle des Brandenburgischen Hochschulgesetzes vorgelegt, das in den nächsten Wochen vom Landtag gebilligt werden soll. Wissen
schaftsminister Steffen Reiche hat in der PUTZ-Ausgabe vom Januar geäußert, daß mit diesem Gesetz eine Erhöhung der Autonomie der Hochschulen verbunden sei. Welche grundsätzlichen Auswirkungen sehen Sie mit den veränderten Leitungsstrukturen?
Foto: Fritze
Lebensdaten
Geburt 1. Juni 1942 in Djursholm/ Schweden
1948 Rückkehr mit den Eltern aus dem Exil
1963 Abitur
Studium der Geschichte, Geistesgeschichte, Politik- und Theaterwissenschaft in Erlangen und Berlin 1969 Promotion
1973 Habilitation
1974-1991 Professor für Politische Wissenschaft und Direktor des Salomon Ludwig SteinheimInstituts für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität/ Gesamthochschule Duisburg
ab 1991 Ordentlicher Professor für Neuere Geschichte und Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam
1993 bis 1997 nebenamtlich Gründungsdirektor des Jüdischen Museums der Stadt Wien Gastprofessuren in New York, Oxford, Seattle, Tel Aviv und Budapest
seit 1984 Vorsitzender der Gesellschaft für Geistesgeschichte Mitglied des P.E.N.- Zentrums West und Ost
zahlreiche Publikationen
Julius H. Schoeps: Das neue Hochschulgesetz ist kein Brandenburger Alleingang, sondern entspricht in der Tendenz den Entwicklungen in den anderen Bundesländern. Das neue Gesetz und die damit entstehenden neuen Leitungsstrukturen können helfen, die Universitä
ten und Hochschulen des Landes effektiver zu führen als bisher. Andererseits wird die Autonomie meines Erachtens jedoch durch die neue Hochschulgesetzgebung nicht erhöht, sondern eingeschränkt. Ob das sinnvoll ist, darüber kann man streiten. Ich meine, daß die Partizipation und das Funktionieren des Kollegialprinzips die notwendigen Voraussetzungen sind, damit in einer Hochschule geistige Auseinandersetzung stattfindet. Totenstille wäre das Schlimmste, was einer Universität widerfahren kann.
PUTZ: Derzeit sind an der Uni
versität Potsdam etwa 12000|
Studierende immatrikuliert. Dieser Zahl steht die vom Land Brandenburg finanzierte Anzahl von 5334 Studienplätzen gegenüber. Wird es angesichts der auseinanderklaffenden Zahl von Studierenden gegenüber ausfinanzierten Studienplätzen weiterhin möglich sein, günstige Studienbedingungen anzubieten, die das Studieren in der Regelstudienzeit garantieren?
Julius H. Schoeps: Die Zahl der Studenten ist sehr viel schneller gewachsen, als wir seinerzeit im Gründungssenat angenommen haben. Keiner konnte jedoch voraussehen, daß die Finanzlage des Landes Brandenburg sich derart verschlechtern würde, daß nicht einmal den studierwilligen Landeskindern die notwendigen Studienplätze angeboten werden können. Es bedarf deshalb einiger Aufklärungsarbeit. Ich hoffe sehr, daß es gelingt, die Politiker des Landes zu überzeugen, daß Investitionen in Bildung und Wissenschaft nicht pure Verschwendung, sondern Investitionen in die Zukunft des Landes sind.
PUTZ: In ihrem Gründungskonzept setzte sich die Universität Potsdam das Ziel, Studiengänge zu entwickeln, die‘ sich durch Interdisziplinarität, Internationalität und ein spezifisch fachliches Profil auszeich
nen und damit auch im Umfeld Berlins attraktiv sind. Auf eine Reihe solcher innovativen Studiengänge kann die Universität inzwischen stolz verweisen. Welche weiteren Entwicklungsmöglichkeiten sehen Sie hier für die Universität Potsdam?
Julius H. Schoeps: Der Studiengang„Jüdische Studien“ zum Beispiel hat sich zu einem Selbstläufer an der Universität Potsdam gemausert. Rund 130 Studenten haben sich in diesem interdisziplinären, von zehn Lehrstühlen der Universität getragenen Studiengang eingeschrieben. Dieser Studiengang, an dem auch eine ganze Reihe ausländischer Studenten Gefallen gefunden haben, ist ein Beleg dafür, daß es sehr wohl möglich ist, ohne größere finanzielle Aufwendungen neuartige und attraktive Studiengänge zu entwickeln. Ich bin davon überzeugt, es ist möglich, aus den bestehenden Strukturen und vorhandenen Ressourcen heraus weitere interdisziplinäre Studiengänge zu entwickeln. Daran sollte künftig gearbeitet werden.
PUTZ: Die Universität Potsdam zeichnet sich durch vielfältige inner- und außeruniversitäre Forschungskooperationen aus. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Interdisziplinären Zentren und die Zusammenarbeit mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Welche Reserven sehen Sie im Bereich der Forschung?
Julius H. Schoeps: Die Potsdamer Universität hat zweifellos Modellcharakter, was die Zusammenarbeit mit den Zentren und den außeruniversitären Forschungseinrichtungen angeht. Es gibt kaum eine Universität in Deutschland, wo den Studierenden und den Dozenten bzw. Forschern solche Möglichkeiten wie in Potsdam geboten werden. Das gilt es, weiter auszubauen.
Die Gespräche führte PUTZRedakteurin Janny Glaesmer.
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