Noah: Das Vorkommen des Kiebitzes Vanellus vanellus im Spreewald 1995-2020
land in diesem Zeitraum jährlich um 5,9% an und machte den Verlust in den zuvor genannten Ländern wett. Die Gründe für die gegensätzlichen Trends in Fennoskandien lassen sich nicht erklären( LINDSTRÖM et al. 2019). In Finnland brüteten zwischen 2006 und 2010 70.000-20.000 Paare( VALKAMA et al. 2011). Aus dem Baltikum und Belarus , einer Region mit Vorkommen von beträchtlichem Umfang( PAKKALA et al. 1997) und offenbar signifikanter Bedeutung ( GREGORY 2020), liegen leider keine belastbaren Bestandszahlen vor. Im europäischen Teil Russlands brüten 500.000- 800.000 Paare, der kurz- und mittelfristige Trend wird als negativ angesehen( MISCHENKO 2020). Der europäische Bestand wird auf 1.590.000-2.580.000 Brutpaare geschätzt( BIRDLIFE INTERNATIONAL 2021), in 28 im„ European Breeding Atlas 2" betrachteten Ländern hat er sich von 1980 bis 2016 um 58% verringert( GREGORY 2020).
6.1.2 Geschlechterverhältnisse
Der alljährlich festgestellte leichte Überschuss an Männchen war über fast alle untersuchten Jahre hinweg ziemlich konstant. Aber es gab auch Jahre, in denen er deutlich vom Mittelwert( 86,7%) abwich, z. B. 2004 mit nur 76%. Ob dieser geringe Anteil methodisch bedingt war, ist unklar. KOOIKER& BUCKOW ( 1997) registrierten zu Beginn der Brutzeit häufig einen Überschuss an Männchen. Sie empfehlen daher, das Geschlechterverhältnis„ nicht vor Mitte April“ zu erfassen, weil einige Weibchen oft deutlich später als Männchen am Brutplatz eintreffen. In der Tat fanden die meisten entsprechenden Erfassungen im Spreewald zu einem recht frühen Zeitpunkt statt. Bei Folgekontrollen in einzelnen Kolonien konnte ich jedoch keine höheren Anteile an Weibchen feststellen. Aus meiner Sicht wird es im Verlauf der Brutsaison immer schwieriger, die Anzahl der Weibchen( v. a. in größeren Kolonien) vollständig zu ermitteln. Sie übernehmen zu großen Teilen die Bebrütung, während Männchen mit Wach- und Territorialverhalten beschäftigt sind( LIKER 1994, SHRUBB 2007). Die Entdeckungswahrscheinlichkeit dicht auf dem Boden sitzender Vögel, zumal in rasch aufwachsender Vegetation, ist naturgemäß erheblich geringer als bei exponiert herumstehenden bzw. balzenden Männchen.
Andere Studien zum Anteil der Geschlechter zeigten ebenfalls ein leicht unausgewogenes Ver
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hältnis zugunsten der Männchen( ONNEN 1989, ONNEN& ZANG 1995). Er dürfte für eine Art mit starken Bestandsabnahmen und in der Fläche seit langem ausdünnenden Beständen vor allem abseits der Dichtezentren typisch sein. So stellten STÜBING& BAUSCHMANN( 2020) im hessischen Kernbrutgebiet, das durch einen Schutzzaun gesichert ist und eine Zunahme aufweist, einen deutlichen Überschuss an Weibchen fest. Unverpaart gebliebene Männchen wandern oft als Erste ab.
Andererseits ist Polygynie eine regelmäßig vorkommende Erscheinung beim Kiebitz( z. B. LIKER & SZEKELY 1999, PARISH et al. 1997, SHRUBB 2007). Im Spreewald wurde diese Form der Verpaarung nur sieben Mal nachgewiesen, dürfte in der Realität aber etwas häufiger vorgekommen sein( vgl. Abschnitt 4.1.2). In einem Fall( 2001, bei Krieschow) bebrüteten zwei Männchen und vier Weibchen gleichzeitig sechs Gelege. Tendenziell entstand der Eindruck, dass diese Verpaarungsform vor allem in isolierteren Kolonien( also meist in den Randbereichen) auftrat.
6.1.3 Räumliche Verteilung und
Koloniegrößen
Die Verbreitung des Kiebitzes zur Brutzeit zeigte ein gewisses räumliches Muster, das über den gesamten Erfassungszeitraum keine merklichen Veränderungen aufwies( Abb. 1). Die Kernvorkommen im Spreewald befinden sich alle in den offensten und flachsten Gebietsteilen. Typischerweise beträgt die Distanz der Brutplätze zum nächsten Flussarm selten mehr als einen Kilometer. Im Raum Byhleguhre- Burg- Werben wurden nahezu alljährlich kleine Dichtezentren mit bis zu vier Kolonien festgestellt; die benachbarten Kolonien waren mitunter weniger als einen Kilometer voneinander entfernt.
Über die Größe und Struktur der einzelnen Brutgemeinschaften, selbst in gut untersuchten Populationen, etwa Nordwestdeutschlands, liegen kaum Daten vor. Dies dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass angesichts der großflächig hohen Dichten und weiten Verbreitung( z. B. 1.188 Paare auf 56 km² im Dümmer- Gebiet, LUDWIG et al. 1990) einzelne Vorkommen kaum oder nicht voneinander abgrenzbar sind. Für eine Darstellung der Dichte in diesem Großraum werden daher meist kleinflächige Abundanzwerte( n Rev./10 ha) verwendet.