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der Opferzahlen um 78% entspricht( HIRSCHFELD& HEYD 2005). Ob der beträchtliche Rückgang der von Hobbyjäger* innen getöteten Kiebitze lediglich das Resultat des Schwundes der Zielart ist oder ob es erste Signale eines Sinneswandels der französischen Jägerschaft sind, ist unbekannt. Möglicherweise reflektiert der Rückgang auch eine zwischenzeitlich verkürzte Jagdzeit( s. HIRSCHFELD& ATTARD 2017). Frankreich und Spanien bilden das Überwinterungsgebiet der in Nordostdeutschland brütenden Kiebitze( HEINICKE & KÖPPEN 2013, BAIRLEIN et al. 2014), wobei der fran zösische Winterbestand insgesamt etwa 3,5 Millionen Vögel umfasst( DELANY et al. 2009). Die in den genannten Ländern legal vom Himmel geholten Kiebitze erreichen rezent annähernd die Größenordnung des deutschen Brutbestands( GERLACH et al. 2019).
Ob in diesem unnötigen Massenabschuss der Schlüssel für den krassen Rückgang der Durchzügler und Brutvögel hierzulande liegt, lässt sich nicht abschätzen. Angesichts dramatischer Bestandseinbrüche binnen weniger Jahrzehnte und unzureichender Reproduktionsraten dürfte die Jagd zumindest als Beschleunigungsfaktor des Rückgangs betrachtet werden können.
6.2.2 Heimzug
Der Heimzugbeginn im Spreewald hängt stark von der jeweiligen Witterung ab. Dies zeigt sich in der außergewöhnlich breiten Streuung der jährlichen Erstdaten von 48 Tagen; bei keiner anderen ziehenden Vogelart ist die Schwankungsbreite ähnlich deutlich ausgeprägt. Trotz zunehmend milderer Winter kam es nicht zu einer Verfrühung der Erstbeobachtungen. Plötzliche Kälteeinbrüche führten meist zu einem kompletten Abzug. Offenbar erfolgt ein Ausweichen nur über kurze Distanzen, denn die Rückkehr setzt gewöhnlich unmittelbar nach Wetterbesserung wieder ein( GLUTZ VON BLOTZHEIM et al. 1975). Außergewöhnlich war die Situation im Frühjahr 2018: Die erste Beobachtung gab es schon am 25.01. Nach einer Frostphase waren alle Kiebitze abgezogen und tauchten erst ab dem 6.03. wieder auf. Vom 17.- 22.03. bestimmte eine Kaltfront mit Dauerfrost, einer geschlossenen Schneedecke und kräftigen Ostwinden das Wetter. In dieser Zeit hatten sämtliche anwesenden Kiebitze das Offenland verlassen und wurden ausnahmslos an untypischen, meist windgeschützten Orten gesehen( z. B. Straßenränder,
Otis 28( 2021)
Gärten, Sportplätze, Grünflächen in Dörfern). Besonders ungewöhnlich war die Beobachtung von 20 in einem Kiefernstangenholz rastenden Kiebitzen( 19.03. bei Siegadel; S. Herold). Negative Auswirkungen der Kaltfront auf den lokalen Brutbestand waren indes nicht erkennbar( Abschnitt 4.1.1).
Der Spreewald spielt während des Heimzugs keine überregional bedeutende Rolle für den Kiebitz; es wurden nur 15 Verbände bzw. Gebietsmaxima mit mehr als 1.000 Individuen beobachtet( max. 2.450 Ind.). In Brandenburg rasten die meisten Kiebitze in den großen Niederungen der Nordhälfte( Havelniederung u. Elbaue), wo in den 1990er Jahren Gebietssummen regelmäßig bis über 10.000 Individuen umfassten( ausnahmsweise bis zu 100.000; RYSLAVY & MÄDLOW 2001). Neuerdings werden fünfstellige Rastzahlen in Brandenburg aber nur noch sehr selten festgestellt( HAUPT et al. 2019, HAUPT& MÄDLOW 2020).
Gegen Ende des Heimzugs( meist Ende MärzMitte April) tauchen nahezu alljährlich kleinere Trupps auf( n= 44 Beob., im Mittel 9 Ind.), in denen weibchenfarbige Vögel deutlich in der Mehrzahl sind. Sie zeigen eine gewisse Affinität zu Brutkolonien, nehmen aber nicht an Balzaktivitäten teil und sind üblicherweise am nächsten Tag wieder verschwunden. Keinesfalls begründen diese Vögel die sommerlichen Mauserplätze im Spreewald; diese werden erst Ende Mai gebildet( Abschnitt 5.2). Bei diesen mysteriösen Trupps könnte es sich um Nichtbrüter im zweiten Kalenderjahr handeln. Sie zeigen ganz überwiegend dem Schlichtkleid ähnliche Gefiedermerkmale( v. a. ausgedehnt weißliche Kehle und Hals, kürzerer Schopf). Die Mauser des Kleingefieders in das Prachtkleid ist auch bei Vögeln im zweiten Kalenderjahr„ normalerweise im März“ abgeschlossen ( MEISSNER et al. 2013). Danach ist ihr Alter nur an den noch nicht vermauserten juvenilen Handschwingen bestimmbar( PRATER et al. 1977), was jedoch im Gelände praktisch nicht erkennbar ist. Es ließ sich nicht klären, ob sich die im Spreewald beobachteten Vögel noch in aktiver Kleingefiedermauser befanden. Ob diese Vögel möglicherweise noch weit entfernte ( nord-) östliche Brutgebiete im Blick haben( IMBODEN 1974, SHRUBB 2007, HEINICKE& KÖPPEN 2013) oder sie vielleicht zu küstennahen Mauserplätzen verstreichen, bleibt ein Rätsel. Die kurze Rastdauer deutet eher auf ein in größerer Distanz gelegenes Reiseziel hin. Die meisten Kiebitze brüten erstmals im zweiten