Heft 
(2021) 28
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halb des Jahrs der Beringung liegen jedoch nicht vor. Daher sind zwischenzeitliche Umsiedlungen( über möglicherweise große Distanzen) nicht auszuschlie­Ben. Kiebitze( nord-) westrussischer Herkunft über­wintern in beträchtlichem Umfang in Frankreich und auf der Iberischen Halbinsel( VIKSNE& MIHEL­SONS 1985). Dabei zeigt sich ein klares Muster: Im Baltikum erbrütete Jungvögel verbrachten ihren ers­ten Winter vor allem in Westfrankreich und auf der Iberischen Halbinsel . In Mittelrussland( in einem schmalen Band von N Moskau nach SE bis Kazan) beringte Jungvögel überwinterten tendenziell etwas weiter südlich( Westfrankreich u. Italien ). Ähnliches gilt auch für Altvögel. So wurden sieben adulte Kie­bitze aus der Region Ryazan ( 200 km SE Moskau ) zwischen November und Februar in Westfrankreich gefunden( VIKSNE& MIHELSONS 1985). Ein in Süd­westsibirien erbrüteter Kiebitz wurde im Dezember in Frankreich kontrolliert( VEEN et al. 2005).

Es erscheint nicht einmal ausgeschlossen, dass Kiebitze selbst aus weit entfernt gelegenen Brutgebie­ten schon im Frühsommer hierzulande auftauchen. Nahezu alljährlich werden nämlich einzelne Step­penkiebitze Vanellus gregarius in Kiebitztrupps entdeckt( DAK 2018). Es liegt nahe, dass diese v. a. in Nordkasachstan brütende, bestandsbedrohte Art ( DEL HOYO et al. 1996, DONALD et al. 2020) gemeinsam mit in westliche Richtungen ziehenden Kiebitzen als, carrier species" nach Deutschland gelangt sind ( HEINICKE& KÖPPEN 2013). Für das Einschlagen eines falschen Zugwegs, ausgelöst oder unterstützt durch den Anschluss an eine eng verwandte Art mit sehr ähnlichen ökologischen Ansprüchen, gibt es mehrere Beispiele. Ein bekannter Fall sind auf Taimyr( Nord­sibirien) brütende Rothalsgänse Branta ruficollis, die wahrscheinlich gemeinsam mit Blässgänsen An­ ser albifrons nach Westeuropa fliegen. Im Spreewald wurden Steppenkiebitze bislang dreimal und stets in Kiebitztrupps entdeckt( 7.09.1998, DSK 2002; 6.10.­7.10.2003, DSK 2008; 10.06.- 27.06.2018, DAK 2018).

Dass westeuropäische Kiebitze durchaus bis nach Westsibirien gelangen, belegen mehrere Fern­ansiedlungen( IMBODEN 1974, BAIRLEIN et al. 2014). Hierbei handelte es sich um in Deutschland , den Niederlanden und Großbritannien beringte Küken, die in späteren Jahren in Russland ( bis 5.182 km ent­fernt, Region Krasnojarsk , Südsibirien) kontrolliert wurden. Es wird vermutet, dass die Vögel nach dem

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Verlassen des gemeinsamen Winterquartiers von öst­lichen Brutvögeln mitgerissen wurden( SHRUBB 2007).

Diese faszinierende Fernbeziehung ist mögli­cherweise wesentlich reger und vitaler, als es die Zu­fallsfunde andeuten. Unstrittig ist ein weiträumiger und lebhafter Genaustausch zwischen verschiedenen Populationen über große Distanzen. Das äußert sich darin, dass der Kiebitz als monotypische Art gilt. Über das sich von der Iberischen Halbinsel bis an den Pazifik erstreckende Verbreitungsgebiet( DEL HOYO et al. 1996) haben sich keinerlei morphologische und phänotypische Unterschiede herausgebildet.

Während der gesamten Wegzugsaison ist das Rastgeschehen im Spreewald von einer hohen Dy­namik geprägt. Das lässt auf regen Durchzug und Austausch in erheblichem Umfang schließen. Ab dem Jahr 2003 wurde der Spreewald von einem starken Bestandseinbruch erfasst, der 2009 in einem ersten Tiefpunkt mündete. Die Rastbestände im Spreewald haben seither keine überregionale Bedeutung mehr. Im Zeitraum 2016-2020 hielten sich in den drei Hauptrastgebieten von September bis November im Dekadenmittel nur 292 Kiebitze auf( n= 13.123 Ind. als Berechnungsgrundlage). Noch deutlicher lässt sich die Bestandsabnahme im Vergleich von zwei ge­samtflächigen September- Zählungen aufzeigen: Am 12.09.2004 wurden 5.683 Individuen( 22 Trupps; T. Noah, S. Weiß) gezählt, während es am 23./24.09.2020 nur noch 468 Individuen( 5 Trupps) waren.

Weiterhin zeigte sich in den letzten Jahren eine tendenzielle Verfrühung der Letztbeobachtungen. Trotz zunehmend milderer Winter sank auch die Zahl der Feststellungen im Dezember und Januar. In Baden- Württemberg wurde ebenfalls ein Rückgang der überwinternden Kiebitze registriert( HÖLZINGER & BOSCHERT 2001). Aus Brandenburg wurde bisher nur eine durchgehende Überwinterung bekannt ( DITTBERNER 1996, RYSLAVY& MÄDLOW 2001).

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Schutzmöglichkeiten und Forschungsbedarf

Der Bruterfolg beim Kiebitz hat infolge der völlig aus den Fugen geratenen Bestände einiger Prädatoren ein kaum noch messbares Niveau erreicht. Daher besteht auch im Spreewald dringender Handlungsbedarf. Dass es selbst in einem UNESCO- Schutzgebiet mit wesentlich günstigeren Rahmenbedingungen als in