Heft 
(2021) 28
Seite
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Noah: Das Vorkommen des Kiebitzes Vanellus vanellus im Spreewald 1995-2020

der Normallandschaft" nicht gelang, dem Kiebitz sichere Räume für eine erfolgreiche Reproduktion zu bieten, ist umso bedauerlicher. Gleichwohl be­legt der seit mindestens 25 Jahren gleichbleibende Brutbestand das Potenzial der Flussniederung für den Kiebitz als Lebensraum zur Brutzeit. Vermutlich führen die zu Beginn der Brutsaison geeigneten Le­bensräume zu einer permanenten Zuwanderung von in anderen Regionen erbrüteten Vögeln, so dass der lokale Brutbestand derzeit nicht weiter absinkt. In Anbetracht der miserablen Nachwuchsraten erweist sich der Spreewald jedoch als ökologische Falle" für den im Bestand gefährdeten Kiebitz. Eine jagdliche Dezimierung der Prädatoren mit dem Ziel, die Be­stände dauerhaft und großflächig auf ein vertretbares Maß zu reduzieren, hat sich außerhalb von Inseln als aussichtsloses Vorhaben herausgestellt( LANGGEMACH & BELLEBAUM 2005). Es wäre illusorisch zu erwarten, dass sich die Bestände der Prädatoren, etwa durch natürliche Regulative, von selbst verringern. Eine grundsätzliche und großflächige Umstellung der Landwirtschaft auf bodenbrüterfreundliche" Be­wirtschaftungsweisen ist ebenfalls nicht erkennbar ( LANGGEMACH et al. 2019). Die Maßnahmen im Rahmen gewässerunterhaltender ,, Pflege führen üblicherwei­se nicht zu einem Anstieg der Grundwasserstände; sie erreichen meist das Gegenteil. Hinzu kommen die Auswirkungen des Klimawandels mit anhaltenden Niederschlagsdefiziten etc. Die Bestände des Kiebitzes werden daher voraussichtlich weiter schrumpfen.

Es gibt derzeit eine besonders praktikable Möglichkeit, den Bruterfolg beim Kiebitz auf den bestandserhaltenden Wert und darüber hinaus an­zuheben: das Fernhalten vor allem der mittelgroßen Raubsäuger von den Brutkolonien. Hierbei hat sich der Einsatz von Elektrozäunen als einfache und ef­fektive Maßnahme erwiesen( KUBE 2005, LITZBARS­KI& LITZBARSKI 2008, SHRUBB 2007, RICKENBACH et al. 2011, PLARD et al. 2019). Dies führte beispielsweise in hessischen Projektgebieten nicht nur zu einer enor­men Steigerung des Bruterfolgs( bis zu 1,8 Juv./BP), auch der Brutbestand nahm deutlich zu( STÜBING& BAUSCHMANN 2020; mit Angaben zu Logistik, Kosten etc.). Zusätzlich zur Schaffung von Reproduktionsin­seln wird eine Verbesserung der Bruthabitate für die Jungenaufzucht empfohlen( PLARD et al. 2019).

Von beiden Maßnahmen würde neben dem Kie­bitz auch der Rotschenkel Tringa totanus profitie­

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ren. Sein unregelmäßiges Vorkommen im Spreewald ( 1990-2020: 57 Rev.) ist stets an den Schutz von Kiebitzkolonien gebunden. Ob die stark bestandsbe­drohte Bekassine Gallinago gallinago mittlerweile ebenfalls auf den Ausschluss von Bodenprädatoren angewiesen wäre, um sich erfolgreich reproduzieren zu können, ist angesichts ihrer verborgenen Lebens­weise zur Brutzeit gänzlich unbekannt. Seit einigen Jahren jedenfalls ist es sogar in Optimalhabitaten zur Ausnahme geworden, dass man im Juni die cha­rakteristischen Warnrufe Junge führender Altvögel vernimmt. Das Brutvorkommen der Bekassine im Spreewald ist innerhalb von weniger als zwei Jahr­zehnten praktisch zusammengebrochen: 2002 noch 230-240 Reviere( NOAH et al. 2003), 2013 110-130 Reviere( MÄDLOW et al. 2018), 2020 14 Reviere( nach Daten der Naturwacht Brandenburg).

Der Spreewald böte alle erforderlichen Voraus­setzungen für die Verwirklichung eines entsprechen­den Projekts.

Ob diese nur auf lokaler Ebene realisierbaren Maßnahmen schließlich dazu führen könnten, den Kiebitz dauerhaft als Brutvogel in der Fläche zu erhalten, kann nur der praktische Versuch zeigen. Solange keine alternativen Lösungen bekannt oder umsetzbar sind, um die bedrohliche Lage beim Kie­bitz zu entschärfen, muss der Aufbau eines Netzes von solchen besonders gesicherten Refugien im Mit­telpunkt der Artenschutzaktivitäten stehen. Aktuell brütet etwa ein Drittel des deutschen Bestands in den EU - Vogelschutzgebieten( GERLACH et al. 2019). Unsere Bemühungen sollten sich darauf konzent­rieren, vor allem in diesen Gebieten die Rahmen­bedingungen für eine erfolgreiche Reproduktion zu schaffen. Die Einstellung der Jagd auf den Kiebitz in der Europäischen Union endlich zu verwirklichen, das wäre ein weiterer wichtiger Schritt.

Das komplexe Raum- Zeit- Verhalten des Kiebit­zes wäre ein spannendes Forschungsthema( HEINICKE & KÖPPEN 2013). Fang und Besenderung einer gewis­sen Anzahl brütender Vögel ließen sich im Spreewald vergleichsweise einfach durchführen; Kosten für Sender und Datenempfang haben inzwischen einen überschaubaren Rahmen erreicht. Im Mittelpunkt der lokalen Untersuchungen stünden Fragen zum frühen Abzug erfolgloser Brutvögel, ihren Reisezielen und späteren Schicksalen. Sollte es tatsächlich einen regen Austausch mit weiter nordöstlich beheimateten