Wanderungen“. Auch diese Erweiterung des kritischen Interesse Fontanes ist organisch: das östliche (Polen, Rußland) und Nördlich/Angelsächsische hatte Fontane immer weit mehr interessiert als das Mittelmeer/Südliche, und die Hinweise auf Björnson und Andersen zeigen, daß sich sein Interesse — wie sein eigener Werdegang als schöpferischer Schriftsteller — vom balladesk/historischen des Nordens über das poetische Drama zur Prosa wandte, vom romantischen zum realistischen, von (in diesem Zusammenhang) Vergangenheit zu Zukunft, eine Entwicklung, der auch sein Interesse an Harte, Twain und Miller zugehört. Es ist sehr aufschlußreich, daß Osten, Westen und Norden etwa sieben Jahre später in sehr ähnlicher Nebeneinanderreihung noch einmal auf tauchen, und zwar in Fontanes Anzeige des Skandinavischen Novellenbuchs in der Vossischen Zeitung Nr. 281 vom 21. Juni 1881, 1. Beilage, Rubrik „Journal- und Bücherschau“. 30 Das Novellenbuch enthielt, nach Fontane, fünfzehn Novellen und Novel- letten, davon elf allein aus dem Norwegischen, die übrigen aus Dänemark und Schweden. Im letzten Satz der Anzeige sagt Fontane: „Der Übersetzer (W. Dange) hat sich durch seine Übertragungen Turgenjews, Gogols, Biet Hartes, Björnsons, Ibsens und anderer längst bewährt.“ 37 Wilhelm Lange, der in Berlin lebte und Redakteur der Deutschen Schriftsteller Zeitung war, hat wahrscheinlich als Übersetzer, das heißt als Vermittler zwischen den genannten Schriftstellern und Fontane und damit als indirekter Vorbereiter der „Kritischen Wanderungen in Ost und West“ eine Schlüsselrolle gespielt. Langes Übersetzungen von Turgenjews, Bret Hartes und Björnsons Werken in Reclams Universalbibliothek begannen 1871 zu erscheinen; seine Übersetzungen Gogols (ebenda) allerdings erst 1877. 38
Obwohl Björnsons Werke in Deutschland schon seit den 1860er Jahren und Andersens noch früher bekannt waren, scheint es sich in diesem Schema um die ersten uns erhaltenen Erwähnungen beider Schriftsteller durch Fontane zu handeln. Sollte das Schema der „Kritischen Wanderungen“ etwa aus dem Jahre 1875 (nicht 1874) stammen, so wäre es möglich, daß der Tod Hans Christian Andersens am 4. August 1875 seinen Einschluß in dieses Schema verursacht haben könnte. Die einzige andere mir bekannte Erwähnung Andersens durch Fontane taucht erst 1889 auf, als Fontane Andersens „Märchen“ und „Was der Mond erzählt“ in seine lange Liste von „besten Büchern“ aufnahm; 39 fünf Jahre später ersetzt er „Was der Mond erzählt“ durch „Bilderbuch ohne Bilder“. 10 Björnson wird vor 1881 nur einmal von Fontane erwähnt, und zwar in seiner Zusammenfassung des Epos’ Amljot Gelline. Die ersten Fragmente dieses Werkes waren schon 1860 und 1861 erschienen, das vollständige Opus wurde 1875 veröffentlicht. Fontanes Inhaltsangabe dieses Epos’ enthält zwei lobende Attribute: „sehr schön“ und „großartig“. Richard von Kehler hat Fontanes vornehmlich beschreibende Rezension dieses Werkes zum ersten Mal als Faksimile für einen Privatkreis von Freunden im Jahre 1936 drucken lassen. Er vermutet, daß Fontane diese Notizen zwischen 1879 und 1880 niedergeschrieben und „eine der zu jener Zeit schon vorliegenden Separatausgaben des Gedichtes oder die Gesammelten Werke des Dichters als Quelle benutzt“ hat. 11 Hermann Fricke glaubt, daß Fontane
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