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Sonderheft 6, Henry H. H. Remak: Der Weg zur Weltliteratur: Fontanes Bret-Harte-Entwurf
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Über Thomas Hood habe ich außer seinem Platz in diesem Schema keine- weitere Äußerung Fotanes gefunden. Mutmaßlich hat kurz vor der Nieder­schrift des Schemas Hood auf irgendeine Art (Übersetzung? Rezension? Brieflicher oder mündlicher Hinweis?) die Aufmerksamkeit Fontanes erregt. Eine vorwärtsweisende Bedeutung für Fontane hat er nicht gehabt.

Bleibt Bret Harte. Hier ist, gegenüber dem alten britischen Westen, der neue amerikanische Westen, ja der Westen des Westens, damals und heute noch einMix von Nationalromantik und realistisch-mo­dernen Prosathemen. Hier wird, anstatt der hergebrachten, künstlichen, orientalischen Versexotik des Lalla Rookh eine neue, demokratische, pri­mitive Prosaexotik vorgelegt: die kalifornischen Goldgräber. Hier ist eine Verquickung von romantischem ,Urwald 1 , seinen urwüchsigen Bewohnern, und dem soziale Klassenfesseln sprengenden Materialismus der neuen Welt. Westward ho! Diese neue Welt, diese Zukunft, wird aber genug von der alten Welt, von der Tradition und der Konvention miterhalten, um den Übergang von einer Epoche zur nächsten zu erleichtern.

So gibt sich dieses bescheidene, fast unbekannte und nie ausgeführte Schema Fontanes, höchstwahrscheinlich aus dem Jahre 1874, an der Scheide zwischen romantischer Vergangenheit und realistischer Zukunft, überraschend als ein programmatischer Rückblick und Vorblick. Deutsch­land (Alexis, Scherenberg, Minding, Hesekiel) ist vertreten durch histo­risch-konservative Schriftsteller von regionalem Ruf, England (Moore, Hood) durch bekannte und beliebte aber ebenfalls nicht erstklassige, nicht zukunftsproduktive Romantiker. Es ist eine solide und anheimelnde Ver­gangenheit Fontanes eigene, und er wird sich nie ganz von ihr trennen, sie wird ein Stück von ihm und allen in der Disposition vertretenen Schriftstellern bleiben. Rußland (Gogol, Turgeniew, Tolstoi), Skandinavien (Björnson, teils teils) und Amerika (Harte) weisen in die Zukunft,, moralisch, thematisch, literarisch, kulturell Fontanes eigene. Sie bringen frische, unverbrauchte Kräfte in die Weltliteratur.

(Es gehört zur Sache, festzustellen, daß Fontanes unmittelbarer Erbe in der deutschen Literatur, Thomas Mann, sich ebenfalls nach der russischen und der skandinavischen Literatur ausgerichtet hat.) Wären die Essays ausgeführt worden, hätte ihre Überschrift nicht nurOst undWest sondern auch ..Mitte undNord lauten müssen: sie sind weit umfas­sender und repräsentativer als der ursprüngliche Titel.

V

Wir haben damit eine sowohl chronologische wie literaturhistorische Datierung unternommen. Es fehlt nur noch die schlüssigste Beweisführung der Datierung, die wir seit Reuters Herausgabe der meist unveröffentlich­ten Briefe Fontanes an Julius Rodenberg besitzen. 34 Am 2. Februar 1874 schrieb Fontane an den Herausgeber des Salons:

In den letzten Wochen habe ich in vorjährigenSalon-Nummern

die Bret-Harte-Novellen gelesen, von denen ich bis dahin nur eine:

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