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Sonderheft 6, Henry H. H. Remak: Der Weg zur Weltliteratur: Fontanes Bret-Harte-Entwurf
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er in die Fremde und suchte sich das, was ihm zu Hause hin und wieder bis jetzt noch beharrlich verweigert wird, nämlich Anerkennung. Sein allzutieffühlendes, leicht reizbares Gemüt und sein jeder Regung folgendes Herz waren seine bittersten Feinde, die ihm die Heimat zur Fremde machten.

In die Herzen des Volkes wird er nie dringen und er wird am literarischen Horizonte verschwinden, wie ein glänzendes Phänomen, das nur auf Augenblicke die Bewunderung der Masse hervorruft.

Bret Harte, seinem Landsmann, aber sonst in jeder Beziehung sein Gegenfüßler, lächelte das Glück nicht so plötzlich in vollstem Glanze; nur mit den größten Anstrengungen erklomm er die Höhen des Parnaß, aber mit jedem Schritt wuchs seine Kraft und sein Selbstvertrauen; er trotzte muthig allen ihm sich entgegen stellenden Schwierigkeiten und ging endlich siegreich als bewunderter und beneideter Liebling des Volkes hervor. Nur wenige Blumen dufteten im Garten seiner Jugend: im zarten Alter von 15 Jahren (1854) trieb ihn die bitterste Noth als Waise aus seiner Heimat in Albany, N. Y., hinaus nach dem fernen Westen, nach dem Goldlande, auf das die Blicke Aller derer gerichtet waren, die nichts mehr zu verlieren, aber die ganze Welt zu gewinnen hatten. Er grub nach Gold, wanderte ruhelos mit andern Glücksrittern zwei Jahre lang von Ort zu Ort und fand wie jene statt erwarteter Goldberge nur ungekannte Noth und bitteres Elend. Dann war er abwechselnd Lehrer, Setzer, Redac- teur eines Winkelblattes und durchzog als reitender Bote einer Expreß­compagnie die unwirtlichen Gegenden von Sandy Bar, Poker Flat und Wingdam.

1857 zog er sich aus diesem wechselvollen Leben zurück, nahm in San Francisco eine Stellung als Setzer an einer Zeitung an und verheiratete sich.

Die Ruhe seines glücklichen Familienlebens kontrastirte nun mit seinem bisherigen unstäten Dasein in der grellsten Weise und daß ihm die Erinnerungen an seine haarsträubenden Erlebnisse desto lebhafter vor die Seele traten, war eine psychologische Folge, die ihn bewog, sich als Erzähler zu versuchen.

Seine ersten Skizzen machten wenig Aufsehen; sie erschienen anonym in einem obscuren Blatte und nur wenige Leser nahmen Notiz davon. Ebenso erging es seinen poetischen Erstlingsversuchen, trotzdem dieselben eine gesunde, humoristische Färbung trugen. Da sie aber nur zeitgemäße Stoffe behandelten, so riefen sie auch nur ein schwaches vorübergehendes Interesse hervor und gingen mit dem Augenblick verloren, der sie erzeugt hatte.

1864 wurde Bret Harte Sekretär derUnited States Branch Mint zu San Francisco und 1868 gab er die erste Nummer desOverland Monthly heraus, und machte sich durch die darin veröffentlichte Erzählung,The Luck of Roaring Camp mit einem Schlage zum Liebling des Publikums.

In dieser Erzählung führt er uns in eine unheimliche Gesellschaft; der Aus­wurf der Menschheit tritt in seiner ganzen nackten Rohheit vor uns und zeigt uns, wie weit der Mensch absinken kann. Ein Jeder, der uns begegnet,

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