Was in der Disposition auffällt, ist das unverblümt kritische: er unterscheidet klipp und klar zwischen den „gelungen Gefühlvollen“ und den „mißlungen Gefühlvollen“. Fontane wußte von Anfang an, daß er, um sich seiner eigenen Worte im Brief an Rodenberg vom 2. Februar 1874 zu bedienen, ,kein unbedingter Verehrer des Californiers 1 war und die im selben Brief geäußerte Absicht, ,eine kritische Beleuchtung dieser in Vers wie Prosa gleich interessanten Erscheinung 1 vorzunehmen, durchzuführen gewillt war. Während er in dem Brief an Rodenberg Vers und Prosa noch gleichstellt, weist das Schema der Prosa schon einen weit bedeutenderen Platz als den Gedichten an. Wenn man bedenkt, daß Fontane zur Zeit der Abfassung weder seinen ersten Roman noch kürzere belletristische Prosa von Rang veröffentlicht hatte und lediglich als Balladendichter und Reiseschriftsteller bekannt war, deutet diese Verschiebung eine Wendung zur Prosazukunft der Literatur im allgemeinen und seiner eigenen Produktion im besonderen (wenn auch nicht exklusiv) an. Und er hatte damit bei Bret Harte literarisch auch vollkommen Recht: denn obwohl Hartes Verse (besonders „Plain Language from Truthful James“ oder „Dickens in Camp“) in Amerika wohlbekannt waren, hat es sich sehr bald herausgestellt, daß seine Pionierleistung auf dem Gebiet der Prosa und ganz besonders der ebenfalls in die literarische Zukunft des 20. Jahrhunderts weisenden Kurzgeschichte lag, nicht in seiner Poesie.
Und am Ende des Schemas steht, gradlinig und konsequent, die Frage, „ob die Weltliteratur etwas Neues, Fördersames“ durch Bret Harte erhalten hat. Ist es überhörbar, daß an diesem Wendepunkt Fontane die Frage der Bewertung auch an sich selbst stellt?
Das auf Blatt 1 aufgestellte Schema wird auf Blatt 8 in ähnlichen Worten wiederholt. Danach sollte Bret Harte, wie bereits im Titel (Blatt 1) angegeben, das 1. Kapitel der „Amerikanischen Dichter und Erzähler“ darstellen. Zwei Unterschiede zwischen den beiden Schemen müssen vermerkt werden: 1) das kritische Moment wird noch mehr unterstrichen, es taucht jetzt schon im zweiten Abschnitt („[Allgemeine] Charakterisirung seiner Vorzüge und Schwächen“) auf, ohne aus dem vierten („gelungen“), fünften („mißlungen“), und siebten (Weltliteraturrang,) verdrängt zu werden; 2) die höchst auffallenden, hinzugefügten möglichen Parallelen zwischen der neuen amerikanischen und der neuen russischen Literatur: beide, bemerkt Fontane, bauen sich zwar auf den (mittel- und west-) europäischen Literaturen (Deutschland, England, Frankreich) auf, seien aber „viel eigenartiger, viel sorgfältiger, künstlerischer, unjournalistischer, ungründerhafter“. Die stark profilierten Eigenschaften, die Fontane hier aufführt, verdienen es, etwas näher betrachtet zu werden.
Sie beziehen sich in erster Linie auf die russische Literatur und man darf annehmen, daß die Parallele mit der amerikanischen nicht lückenlos ausgeführt worden wäre. „Eigenartiger“: die russische Literatur wurde bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts stark durch die deutsche (Schiller, Goethe), die französische (die Klassiker von Racine und Moliere bis Diderot und Voltaire) und die englische (Byron) beeinflußt, entfaltete aber schon mit Puschkin, Gogol und Lermontow, und dann, in einem drama tischen Durch-
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