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Sonderheft 6, Henry H. H. Remak: Der Weg zur Weltliteratur: Fontanes Bret-Harte-Entwurf
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Daß Harte aus der Erstmaligkeit des Stoffes Nutzen zieht, sieht Keller sowohl wie Knortz, und den Mißton des Sensationellen spürt er so gut wie Fontane. In der Zusammenstellung der Harteschen Ingredienzien: Können und Neuartigkeit aber auch Mode und Schematik stimmen Keller und Fontane ungefähr überein.

Abschließend ist es auf Grund des Vergleichs der obigen Stichproben unsere Meinung, daß wir Fontane eine der durchdringendsten und aus­geglichensten deutschen Charakterisierungen Bret Hartes seiner Zeit verdanken, und daß sie auch mit dem amerikanischen Urteil wetteifern kann.

XIV

Ist Fontanes Beschäftigung mit Bret Harte, trotz aller eigenständigen, symptomatischen, und historischen Bedeutung, isolierte Episode geblieben ? Schließlich ist der Entwurf, zwischen dessen Entstehung und Fontanes Tod beinahe ein Vierteljahrhundert fruchtbarster Arbeit liegt, nie weiter gediehen. Wie nachhaltig das Bret-Harte-Erlebnis doch gewesen ist, beweist ein unerwartetes Nachspiel in Fontanes Romanschaffen: Quitt. Dank einer Anregung seines schlesischen Freundes Georg Friedlaender arbeitete Fontane seit dem Frühjahr 1885 an einem Kriminalstoff, der Erschießung des Revierförsters Wilhelm Frey am 2. Juli 1877 in der Nähe der Hampelbaude im Riesengebirge. Der verdächtige Täter, der Wild­schütze Knobloch, war bald darauf nach Amerika geflüchtet. y ' im Roman wurde aus Frey Opitz und aus Knobloch Lehnert Menz. Quitt erschien 1890 in der Gartenlaube, als Buch 1891. Der zweite Teil (Kapitel 17 bis 36) begibt sich in Amerika. Schon der erste Satz des ersten Kapitels, das in Amerika spielt, kehrt zu Bret Harte zurück, denn Lehnert wird eingeführt alsein schlank aufgeschossener Mann von Mitte Dreißig, der in seinem Aufzuge halb einem Cooperschen Trapper und halb einem Bret Harteschen Kalifornier aus den Diggins 35 glich ... Auf derselben Seite wird uns mitgeteilt, daß Lehnertmehrere Jahre in den Diggins verbracht hatte und noch dreimal im selben Kapitel lesen wir das WortDiggings 37 aber von Lehnerts Leben unter den Goldgräbern hören wir nichts. Man könnte das vielleicht damit rechtfertigen, daß Lehnert, der ein Verbrechen auf seinem Gewissen hat, ungern von seiner Vergangenheit spricht, aber die ehrlichere Erklärung ist wohl die, daß Kalifornien für Fontane ein rein literarisches Erlebnis gewesen war und daß er sich wohlweislich davor hütete, es als authentisch hinzustellen: er begnügte sich also kapitellang mit dem Kitzel des Wortes, das ist alles. 38 Im 25. Kapitel ist es aber so weit: es werden in Nogat-Ehre Leseabende veranstaltet, bei denen Bret Hartes Erzählungen abwechselnd mit Pestalozzis Gertrud und Lienhardt vorgetragen und besprochen werden sollen. Hier konnte Fontane ohne großes Risiko seine Bret-Harte-Erinnerungen an den Leser bringen, um seinem in einem sehr abgekapselten Amerika spielenden Roman ein Mindestmaß an Lokalfarbe zu geben. 39 Er greift also auf die beiden viel­leicht bekanntesten Erzählungen Bret Hartes,The Luck of Roaring Camp undThe Outcasts of Poker Flat, zurück. Lehnert wird gefragt, ob er seinen eigenen Erfahrungen nach Hartes Erzählungen als glaub­würdig bezeichnen könnte.

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