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(2023) 30. Sonderheft
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Otis 30( 2023) Sonderheft

LÖSCHAU( 2000) erinnert sich: Während mehrwöchigen Stubenarrests wegen schlechter schu­lischer Leistungen flatterte eine Postkarte von Erich ENGEL ins Haus: Ruderente im Osthafen. Führung 4. März 1956". Nachdem ich anhand des PETERSON et al.( 1954), der damaligen Bibel " der neuen aufstrebenden Feldornithologen- Generation, meine gestrengen Eltern von der Wich­tigkeit der Beobachtung eines solchen Vogels und der sicherlich damit verbundenen Steigerung meiner Lernfreude in schulischen Angelegenheiten zu überzeugen vermochte, erhielt ich von ih­nen eine halbtägige Ausnahmegenehmigung und konnte den Irrgast ausgiebig beobachten."

ELVERS( 1976) gab die Zahl der wichtigsten Beob­achter" in den 1950er Jahren mit ca. vier an, die bis 1961 vielfach auch im Ostteil der Stadt unterwegs waren, wo mit den Rieselfeldern, den Karower Tei­chen, dem Müggelsee und dem Wernsdorfer See attraktive Beobachtungsgebiete lockten. Veröffent­lichte Mitteilungen aus dieser Zeit sind spärlich und betreffen überwiegend bemerkenswerte Einzelbe­obachtungen. Systematische Studien beschränkten sich auf wenige Einzelprojekte, so beispielsweise eine brutbiologische Studie an Zwergdommeln, die damals an der Berliner Unterhavel noch häufig brü­teten( GROSSKOPF& GRASZYNSKI 1958).

Eine Ausnahme bildeten die feldbiologischen Untersuchungen von Victor WENDLAND, der zu den ganz wenigen Ornithologen gehörte, die so­wohl vor als auch nach dem Zweiten Weltkrieg in der Region aktiv waren. Sein Interesse lag nicht im Sammeln phänologischer Daten oder außerge­wöhnlicher Beobachtungen, sondern er wollte der Biologie der Arten auf den Grund gehen. Haupt­zielgruppe waren für ihn Greifvögel und vor allem Eulen, deren Bestandsdynamik, Brutbiologie und Ernährung er akribisch über Jahrzehnte hinweg untersuchte. Auf diesem Gebiet zog er sich Schü­ler heran, so vor allem Klaus Dietrich FIUCZYNSKI, der ab den 1950er Jahren Baumfalken, aber auch Milane untersuchte und zum überregional aner­kannten Spezialisten wurde( HASTÄDT& SÖM­MER 2014). Aber WENDLAND war auch Mentor für weniger spezialisierte Ornithologen, denn seine Interessen waren breit gestreut. Durch seine zahlreichen Exkursionen und akribischen Auf­zeichnungen gewann er einen hervorragenden Überblick über die Vogelwelt der Stadt und pu­blizierte 1971 in seinem Buch Die Wirbeltiere Westberlins" die erste Gesamtübersicht über die

VICTOR WENDLAND

Die Wirbeltiere Westberlins

DUNCKER& HUMBLOT / BERLIN

Abb. 57: Die Wirbeltiere Westberlins" von Victor WENDLAND 1971: eine erste Übersicht über die Brutvö­gel der Halbstadt.

Brutvögel( WENDLAND 1971). Das Buch ist vor allem auch deshalb wertvoll, weil es die sonst nur wenig dokumentierten Veränderungen der Vogel­welt in der Nachkriegszeit beschreibt, so etwa die Besiedlung der ausgedehnten Trümmerflächen in der Stadt oder die Folgen der Kahlschläge in Wäl­dern und Parks auf Greif- und andere Brutvögel.