Heft 
(2023) 30. Sonderheft
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Kalbe und Mädlow: Zur Geschichte der brandenburgischen Ornithologie

3.11.2 Steiler Aufstieg: die 1960er Jahre

Inzwischen hatte die städtische Feldornithologie aber einen mächtigen Aufschwung erlebt. Mit dem Mauerbau 1961 konzentrierten sich die Aktivitä­ten der West- Berliner Ornithologen notgedrungen auf das Gebiet ihrer Teilstadt.

Die Zahl aktiver Vogelbeobachter stieg nun schnell an. Stellvertretend seien zwei genannt, die Ende der 50er/ Anfang der 60er Jahre aktiv wurden: Kai LÜDDECKE war bis zu seinem Tod 2020 einer der aktivsten und kenntnisreichsten Feldornitho­logen der Stadt und damit einer der am längsten hier tätigen Feldbeobachter( BESCHOW& POHL 2020). Breit aufgestellt waren die Interessen von Michael LENZ, der sich nicht nur für Vorkommen und Phänologie der Arten interessierte, sondern auch systematische Brutvogelerfassungen und die Vogelberingung in Berlin voranbrachte, darüber hinaus auch bereit war, organisatorische Aufgaben

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zu übernehmen. Er gehörte bald zu den führenden Köpfen der West- Berliner Ornithologie.

Bereits 1965 war die Zahl der Beobachter und der Beobachtungen so stark angestiegen, dass es wün­schenswert war, die Beobachtungen zu sammeln, zu archivieren und zum Austausch untereinander bekannt zu geben. Sechs junge Beobachter( Achim BRUCH, Bernd KRÜGER, Michael LENZ, Martin LÖSCHAU, Kai Lüddecke und Henning VIERHAUS) taten sich zusammen und gaben den ersten Orni­thologischen Bericht für Berlin( West)" in Form ei­nes vervielfältigten Rundschreibens heraus. Dabei beriefen sie sich ausdrücklich auf die Bemühun­gen um eine Avifauna der Mark Brandenburg bzw. Berlins , für die es Material zu sammeln gelte. Der OB", wie er im Folgenden von den Beobachtern ge­nannt wurde, erschien nun halbjährlich, stellte in einem Sammelbericht jeweils die interessantesten

Martin LÖSCHAU( briefl.) berichtet: Abends am 12.8.1961 teilte mir Achim BRUCH die Beob­achtung des Rotkopfwürgers mit und beschrieb mir die genaue Stelle. Am 13.8.1961, dem Tag der historischen Grenzschließung in Berlin zwischen Ost und West, fuhr ich morgens mit dem Moped nichtsahnend in Richtung Falkenberg. Am Grenzübergang wunderte ich mich nur über eine Menschengruppe, die diskutierend auf der Ostseite stand und nicht in den Westteil der Stadt gelassen wurde. Die West- Berliner Polizei informierte mich an der Grenze nicht über die eingelei­tete Schließung der Grenze. Ich konnte unbehelligt meine Fahrt nach Falkenberg fortsetzen, stellte dort mein Moped mit dem West- Berliner Kennzeichen in der Feldmark ab. Kurz darauf fand ich Dank Achim BRUCHS präziser Beschreibung auch den Rotkopfwürger. Kurz darauf sprach mich ein Einheimischer, der das westliche Nummernschild erkannte, an: Nun, jetzt musst Du wohl für immer hierblieben., Ein Verrückter, dachte ich, nickte nur kurz und fuhr dann, um einem weiteren Gespräch aus dem Weg zu gehen, nach Blankenfelde , einem interessanten Limikolenge­biet. Dort stellte ich wieder mein Moped ab, als ein Ortsansässiger erschien, auf mein westliches Fahrzeug blickte und dann mitfühlend fragte: Wissen Sie denn schon, wo Sie hier in Zukunft wohnen werden?", Noch ein Dorftrottel, dachte ich befremdet, bekam dann aber Zweifel und auf meine Nachfrage erfuhr ich, dass die Grenze zwischen Ost und West geschlossen sei. Eilig ratterte ich zu einem nahen Grenzübergang, wurde dort aber nicht mehr in meinen heimatlichen Westen gelassen. Auf mein Jammern hin, in das ich auch meine arme Mutter gefühlswirksam mit einbe­zog, schaute ein Grenzbeamter auf seine Uhr und meinte dann, dass ich zur Bornholmer Brücke fahren solle. An dieser einzigen Stelle wäre die Grenze für Westrückkehrer noch etwa eine Stunde geöffnet. Dort rechtzeitig angekommen, durfte ich nach kurzer Kontrolle ohne Mühe die Grenze passieren. Auf der Westseite erblickte ich am Straßenrand eine große Menschenmenge. Sie schrien mir zu, klatschten und jubelten. Einer hielt eine Sektflasche in die Höhe. Sie bejubelten mich aber nicht als den Glücksritter, der gerade einen Rotkopfwürger gesehen hatte. Sondern sie unterlagen dem Irrtum, dass ich mit meinem hinfälligen Moped und der Höchstgeschwindigkeit von 25 km/ h ein Grenzbrecher sei, der soeben die Grenzbarrikaden tollkühn überwunden hatte."