Heft 
(2023) 30. Sonderheft
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Kalbe und Mädlow: Zur Geschichte der brandenburgischen Ornithologie

nungen wie jahreszeitlich ungewöhnliche Daten und große Trupps. Moderne Bestimmungskrite­rien, die den damals üblichen Feldführern noch nicht zu entnehmen waren und eher in ausländi­scher Fachliteratur nachgelesen werden mussten, wurden herangezogen. BRUCH führte die End­durchsicht der Halbjahresberichte durch und sieb­te unzuverlässig erscheinende Beobachtungen aus.

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So etablierte sich eine kritische Herangehensweise bei der Auswertung von Beobachtungsdaten. Auch aus heutiger Sicht, wo wesentlich strengere Anfor­derungen an die Dokumentation ungewöhnlicher Beobachtungen üblich sind, können die damals publizierten Daten als uneingeschränkt zuverläs­sig gelten. Das ist im Wesentlichen ein Verdienst Achim BRUCHS.

Aber auch andere Artbearbeiter fragten kritisch nach. Im September 1985 beobachtete ich im elterlichen Garten ein Sommergoldhähnchen- damals eine seltene Art, Herbstbeobachtungen wurden im OB einzeln erwähnt. Auf der Meldekarte gab ich an frisst Ebereschenbeeren. Prompt folgte ein Anruf des Artbearbeiters Dieter WESTPHAL, ob das denn angesichts des Größenverhält­nisses von Beere und Vogel sein könne. Die Nachfrage war völlig berechtigt: Ich hatte den Vogel an den Beerendolden fressend gesehen, aber nicht unterschieden, ob er dort Beeren oder Insekten fraß. Die unvorsichtige Meldung erfolgte, weil ich mir der Ungewöhnlichkeit der Beobachtung nicht bewusst war. Solche Nachfragen, die allerdings sehr viel häufiger Bestimmungsmerkmale als Verhaltensweisen betrafen, erzogen viele Beobachter zu einer selbstkritischen Überprüfung ihrer eigenen Beobachtungen, bevor diese an den OB gemeldet wurden.( W. M.)

Neben der Gruppe der aktiven Feldbeobachter, die sich Zugbeobachtungen und gemeinschaftlichen Brutvogelerfassungen verschrieben, gab es immer auch Einzelkämpfer mit eigenen Projekten, meis­tens detaillierten ökologischen Untersuchungen an einzelnen Arten. Dazu gehörte immer noch

Victor WENDLAND, der in den 70er Jahren seine Populationsstudien am Waldkauz fortführte und aufsehenerregende Ergebnisse über Räuber- Beu­te- Beziehungen erzielte. Noch im Alter von 80 Jah­ren erkletterte er Greifvogelhorste, um die Jungen zu beringen( ENGEL 1976).

Ich erinnere mich an eine vogelkundliche Führung WENDLANDS im Spandauer Forst, die ange­sichts der Prominenz des Wanderleiters überaus gut besucht war- es waren wohl so an die 50 Personen. Dieser Personenkreis schmolz allerdings im Laufe der Exkursion auf nur noch sechs Teilnehmer zusammen. Grund war nicht etwa, dass die Führung nicht interessant gewesen wäre. Vielmehr waren viele der teilweise schon betagten Teilnehmer den körperlichen Anstrengungen des vielstündigen anspruchsvollen Marsches bei warmem Wetter nicht gewachsen. Das war am 10.5.1981, WENDLAND war 84 Jahre alt.( W. M.)

Victor WENDLAND stand bei seinem Tod 1990 in hohen Ehren, nicht nur als Ornithologe, sondern auch als Naturschützer( er war unter anderem 20 Jahre lang Schriftleiter der Berliner Naturschutz­blätter, WEISS 1990).

Ab Ende der 70er/ Anfang der 80er Jahre flos­sen die immer noch zahlreich durchgeführten Siedlungsdichte- Untersuchungen vermehrt in übergeordnete Fragestellungen ein. So verwendete insbesondere Hinrich ELVERS sie für stadtökologi­sche Fragestellungen im Rahmen der Arbeitsgrup­pe von Prof. Herbert SUKOPP an der TU Berlin, wo

er zeitweise tätig war( MÄDLOW& BRANDE 2010). Und es stieg die Bedeutung von Brutvogelerfas­sungen für Naturschutzzwecke, sei es zur Bewer­tung von Eingriffen oder als Grundlage für die Landschaftsplanung.

Auch wenn die Berliner Havelgewässer im Winterhalbjahr bedeutende Rastbestände von Wasservögeln beherbergen können: Insgesamt fehlte es im Westteil der Stadt an herausragenden Feuchtgebieten mit spektakulären Vogelansamm­lungen. Das führte zu einigen Besonderheiten bei der Ausübung der Vogelbeobachtung. Zunächst