Empirische Befunde zum konkret-operatorischen
Denken und schulischen Lernen bei Schülerinnen und Schülern der Schule für Lernbehinderte
Von Franz B. Wember
Lernbehinderte Schüler sind schon in der klassischen Hilfsschulpädagogik als„entwicklungsverzögerte” Kinder beschrieben worden, in zeitgenössischen Arbeiten bezieht man sich bei der Charakterisierung vermeintlicher Entwicklungsrückstände bei lernbehinderten Schülern zunehmend auf die Entwicklungspsychologie Piagets. Bei 84 lernbehinderten Sonderschülern der Lernstufen 1 bis 4 wurden Variablen des konkretoperatorischen Denkens(TEKO), traditionelle Intelligenztestwerte(HAWIK) und die schulischen Leistungen im Lesen und Rechnen(SBL 2 bzw. informelle Schulleistungsskala) erhoben. Zwischen den Sonderschülern und den Vor- und Grundschülern der TEKOEichstichprobe zeigten sich statistisch signifikante Unterschiede in der Entwicklung operatorischen Denkens (t-Tests). Zwischen operatorischen und psychometrischen Intelligenzleistungen waren geringe bis mittlere korrelative Zusammenhänge feststellbar. Mittlere bis hohe Korrelationen waren zwischen Variablen des operatorischen Denkens und den Schulleistungsvariablen beobachtbar. Insgesamt stützen die hier vorgelegten empirischen Befunde die Ergebnisse der Literaturanabhyse: Schüler mit Lernschwierigkeiten zeigen eine oft erhebliche Verlangsamung der Entwicklung konkretoperatorischen Denkens.
Since the beginnings of special education learning disabled students have been described as being developmentally delayed. In recent research reference is made to Piaget’s theory when developmental delays are described. 84 primary grade students(1-4) in special schools for the learning disabled/educable mentally retarded were given a test battery of concrete-operatory thinking, a traditional intelligence test(German version of WISC) and achivement tests in reading and arithmetics. Significant differences(t-tests) were observed between regular and special students in terms of concrete-operatory thinking, small to medium correlations were found between traditional and operatory intelligence measures. Medium to high correlations were found between variables of operatory thinking and school achivement variables. These empirical results support the results of previous studies reported in the literature: The development of concrete operations is significantly delayed in students with learning disabilities.
Die Lernbehindertenpädagogik als wissenschaftliche Disziplin ist eine Integrationswissenschaft, d.h. sie hat die Entwicklung, theoretische Begründung und realwissenschaftliche Prüfung von pädagogischen Maßnahmen zum Gegenstand, die auf den besonderen Personenkreis lernbehinderter bzw. von Lernbehinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher zugeschnitten sind(Kanter 1977). Die Entwicklung effektiver Interventionsformen setzt jedoch die mög
lichst genaue Analyse der Lernvoraussetzungen auf seiten der Schüler voraus: Es gilt, die„besondere”,„abweichende”, „normendiskrepante” Entwicklung sonderpädagogisch zu betreuender Schüler zu beschreiben und begrifflich zu fassen. Dies geschieht immer vor dem Hintergrund einer typisierenden Beschreibung „normaler” Entwicklung, die als Vergleichsmaßstab dient, so daß der Erkenntnisstand der Sonderpädagogik immer zum Teil vom Erkenntnisstand
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIII, Heft 2, 1987
der Entwicklungspsychologie abhängig sein wird(Wendeler 1980, 167). Wissenschaftsgeschichtlich belegen läßt sich dies an Hand der klassischen Hilfsschulpädagogik, die sich als Anwendungswissenschaft der Entwicklungspsychologie mißverstand und einseitig reifungstheoretische, methodisch unzulänglich gesicherte Aussagen der sog. Schwachsinnstheorie unkritisch übernahm, um damit längst bestehende sonderschulische Praktiken im Nachhinein zu legiti
103
EEE
EEE