Schließlich wurde eine Klassifikation in 4 Cluster vorgenommen. Das Kapitel„Aspekte der Begutachtung” erfaßt empirische Einzelheiten, die wichtig erscheinen. So wird z. B. aus dem Aspekt„Art der Begutachtung” ersehbar, daß im durchmusterten Aktenmaterial nur 63%(N= 59) der Gutachten schriftlich, aber immerhin 37%(N= 35) nur mündlich abgegeben wurden. Außerdem frappiert auch die angegebene Länge der Gutachten, die— gemessen an der Problematik— im Durchschnitt überaus kurz ist. Der Autor bringt weiterhin hinsichtlich der Bedeutungsfaktoren forensischer Gutachten(Kap. 5) und des Entscheidungsverhaltens der Gutachter und Verwertung des Sachverständigenbeweises durch die Jugendrichter(Kap. 6) eine große Anzahl von Einzelerkenntnissen, die er empirisch aufgearbeitet hat. Schließlich bietet er in Kap. 7:„Zur Qualität schriftlicher Gutachten” eine sehr genaue Durchforstung der schriftlich vorliegenden Äußerungen, bei der nicht nur die vorgefundenen sondern auch die vermißten Aspekte aufgearbeitet werden, wie etwa„Prognostische Überlegungen im Hinblick auf den Täter fehlen in 63% der Gutachten”. Wer diese Aspekte gründlich liest, wird zukünftig nicht in der Lage sein, ein kurzes schriftliches Gutachten in schneller Zeit zu erstellen, geschweige denn, sich nur mündlich zu äußern. Das Resümee, das auf der Grundlage der dargestellten empirischen Befunde formulierte Anforderungen an das forensische Sachverständigen-Gutachten im Jugendstrafverfahren darstellt, sollte jeder Sachverständige bei der Abfassung eines Gutachtens vor Augen bzw. im Kopfe haben.
Elsbeth Fend-Engelmann
Hartmut Schulze und Helga S. Johannsen: Stottern bei Kindern im Vorschulalter. Theorie, Diagnostik, Therapie. 264 Seiten mit 38 Abbildungen. 1986. DM 38,-. Hrsg. von der phoniatrischen Ambulanz der Universität Ulm, Frauensteige 14 a, D-7900 Ulm.
Die Autoren befassen sich mit einem äußerst vernachlässigten Thema, mit dem Stottern bei Kindern im Vorschulalter. Nach einem Vorwort, in dem sie den defizitären Stand von Forschung und Praxis- vor allem auch im deutschsprachigen Raum- belegen, gehen sie in drei Kapiteln auf Theorie, Therapie und Diagnostik ein. Sie wählen diese Reihenfolge, da Therapie und Diagnostik einen einheitlichen Bezugsrahmen benötigen. Mit fast ausschließlichem Bezug auf anglo-amerikanische Literatur behandeln die Autoren in den drei Kapiteln zahlreiche Gesichtspunkte, von denen nur einige erwähnt seien. Im Kapitel „Theorie” stellen sie Hypothesen und neue Forschungsergebnisse zur psychosozialen, physiologisch-organischen und psycholinguistischen Sichtweise zum frühkindlichen Stottern dar und beenden diese Thematik mit der Darstellung dreier theoretischer Modelle. Das Kapitel„Therapie” wird mit einer für das frühkindliche Stottern zentralen Frage, der indirekten oder direkten Intervention, begonnen. Mit verschiedenen Argumenten und mit Bezug auf Forschungsergebnisse wird die im deutschsprachigen Raum immer noch vorherrschende„Hände-weg-vom-Kind-Politik” problematisiert und als unhaltbar dargestellt. Danach werden in einem umfangreichen Abschnitt„Direkte”,„Indirekte” sowie„Gemischte” Therapieansätze anhand verschiedener Gesichtspunkte beschrieben und bewertet. Wichtige Ergebnisse der Betrachtung sind, daß- unter der Kontroverse direkte vs. indirekte Intervention-„Elternarbeit nicht alternativ zur unmittelbaren Arbeit mit dem Kind begriffen wird”(S. 156), und daß ein Trend zur Berücksichtigung physiologischer und linguistischer Variablen in der Behandlung zu beobachten ist. Auch das Kapitel„Diagnostik” enthält neben grundsätzlichen Ausführungen die Dar
stellung mehrerer Konzeptionen zur Differentialdiagnose und Indikationsstellung. Wie zuvor geht es den Autoren auch hier darum, die Komplexität des Gegenstandes, soweit sie in den diagnostischen Konzeptionen bereits berücksichtigt wird, herauszuarbeiten. Frühkindliches Stottern hat sich als ein sehr komplexes Phänomen herausgestellt; dementsprechend vielschichtig und umfangreich ist die zu berücksichtigende Forschungs- und Therapieliteratur geworden. Nach meiner Kenntnis der Thematik beweisen die Autoren einen erschöpfenden Einblick in die vorhandene Literatur. Sie stellen sie gründlich und kenntnisreich dar und kommentieren sie mit stichhaltigen Argumenten. - Frühkindliches Stottern ist ein kontroverses Thema, das zu wertenden Stellungnahmen geradezu herausfordert. Die Autoren scheuen diese dankenswerterweise nicht, bemühen sich jedoch erfolgreich, ihre beschreibende Darstellung von ihren Wertungen zu trennen. Die Gliederung und ihre Differenziertheit spiegeln den Gegenstand adäquat wider. Die Erblichkeit des Stotterns sowie die zentralen Prozesse des Stotterns (in ihrer Bestimmung der auffälligen peripheren Prozesse) hätten ausführlicher dargestellt und problematisiert werden können.- Das vorgelegte Material bietet einen guten Einblick, in welche Richtung Theorie- und Therapieentwicklung verlaufen und- anhand der kurzgefaßten Darstellungen- aus welchen Quellen ein Praktiker Anregungen entnehmen kann. Die Lektüre dieses Buches bietet einen schnellen und guten Überblick über die vielschichtigen und komplizierten Gesichtspunkte des frühkindlichen Stotterns; sie zeigt Lösungsmöglichkeiten auf und verweist auf ungeklärte Fragen. Peter Jehle, Frankfurt
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIII, Heft 2, 1987