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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Hans G. Eisert: Sozial-kognitive Intervention bei aggressiven Kindern Eine Übersicht

Sozialverhaltens einen erheblichen Teil bei den zur Behandlung kommenden Kinder aus: zwischen 20 und 50%. Dabei werden etwa dreimal mehr Jungen so diagnostiziert als Mädchen. Die Nütz­lichkeit einer diagnostischen Kategorie ergibt sich nicht zuletzt daraus, ob ihr prognostische Validität zukommt. Er­laubt die Zuweisung zu der Kategorie Störungen des Sozialverhaltens Wahr­scheinlichkeitsaussagen über spätere Verhaltensauffälligkeiten? Spezifischer: ist mit einer Stabilität vor allem des ag­gressiven Verhaltens über die Zeit zu rechnen? Habituell aggressives Ver­halten gegenüber Gileichaltrigen, zwi­schen 8 und 12 Jahren an den Tag gelegt, ist ein Prädiktor für späteres antisoziales Verhalten(Robins 1966; vgl. Klicpera 1980). Neuere Untersuchungen, die Quay(im Druck) zusammenfaßt, bele­gen überdeutlich das Persistieren aggres­siven Verhaltens vom Vorschulalter, den Schuljahren und darüber hinaus. Ol­weus(1979) kommt bei seiner Übersicht über 16 Langzeitstudien zu dem Schluß, daß aggressive Verhaltensmuster kaum weniger zeitlich stabil sind als ansonsten das Merkmal Intelligenz. Huesmann et al.(1984), die in ihrer Langzeitstudie Kinder zuerst mit 8 und dann zuletzt als Erwachsene mit 30 Jahren untersuchten, fanden u. a., daß die Stabilität aggressi­ven Verhaltens mit dem Lebensalter zu­nimmt und Generationen überspannt. Andererseits sollte die generell schlech­te Prognose, die mit Störungen des So­zialverhaltens einhergeht, nicht zu zu­sätzlicher Stigmatisierung von Kindern mit aggressiven Verhalten führen, be­deutet Stabilität doch nocht nicht, daß die meisten von ihnen als Jugendliche delinquent oder als Erwachsene krimi­nell werden(Farrington, im Druck; Ro­bins 1966).

Behandlungsbedürftigkeit ist allemal ge­geben, die relative Erfolglosigkeit tradi­tioneller therapeutischer Interventionen oft konstatiert(z. B. Herbert 1982). Auch wenn Interventionen dort ansetzen, wo die Probleme auftreten: in der Schule, im Elternhaus bleiben die bewirkten Verhaltensänderungen hinsichtlich Aus­maß und Dauerhaftigkeit häufig hinter

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den Erwartungen zurück. So berichten Safer et al.(1981), die ein 4-Jahres­follow-up zu einem verhaltenstherapeu­tischen Programm vorlegen, daß die In­tervention zu besserem Unterrichtsver­halten, häufigerem Schulbesuch und längerem Verbleib in der Schule geführt habe, dies bei niedrigen Programmko­sten. Nicht reduziert werden konnten je­doch die Delinquenzraten. Eine Inter­vention im Unterricht erweist sich als erfolgreich. Probleme treten jedoch bei den zuvor schulauffälligen Kindern ver­mehrt zuhause auf(Kolvin et al. 1981). Eltern lernen, ihr Verhalten dem Kind gegenüber zu ändern. Hochgradig oppo­sitionelles Verhalten beachten sie nicht mehr, Ansätze positiven Verhaltens ver­stärken sie. Erwartungswidrig ist ihnen mit differentieller Verstärkung jedoch kein Erfolg beschieden, verhalten sich doch die Kinder eher noch unangemes­sener(Wahler 1969; Herbert et al. 1973) wohl weil den Eltern im Gefolge lang­dauernder Interaktionsstörungen gar keine Verstärkerfunktion bei ihrem Kind zukommt: Was sie auch anstellen, wird als negativ, eben aversiv erlebt. Die­se Beispiele verweisen auf die Notwen­digkeit, den theoretischen Rahmen und das pädagogisch-therapeutische Vorge­hen zu erweitern.

3. Aggressivität als Folge feh­lender sozial-kognitiver Fertig­keiten?

Kognitiv-verhaltenstherapeutische In­terventionen oder sozial-kognitive Inter­ventionen erweitern das verhaltensthe­rapeutische Repertoire, indem sie kogni­tive Prozesse in den Mittelpunkt rücken. Zielt Verhaltensmodifikation darauf ab, spezifische Fertigkeiten und umschrie­bene Verhaltensweisen zu vermitteln, so sollen hier Denkprozesse verändert, Strategien vermittelt werden, die es dem Kind erlauben sollen, sein Verhalten in unterschiedlichen Situationen selbst zu steuern. Beim Erwerb dieser Fertigkei­ten spielen verhaltenstherapeutische Techniken eine erhebliche Rolle, wer­

den doch spezifische Anwendungen der kognitiven Strategien, deren Verhaltens­resultate in ganz bestimmten Situatio­nen systematisch verstärkt, auch wenn von vornherein auf eine generellere An­wendung in unterschiedlichen Situatio­nen abgezielt wird. Zu den sozial-kogni­tiven Interventionen im Kindesalter lie­gen eine Reihe von differenzierten Übersichten vor(u. a. Hobbs et al. 1980). Den in der Folge angedeuteten Vorge­hensweisen ist gemeinsam, daß sie Spra­che als Mittler einsetzen: kognitive Fer­tigkeiten oder Strategien, um Befindlich­keit und Verhalten zu ändern. Um das Kind in die Lage zu versetzen, dank ko­gnitiver Strategien sein Verhalten in pro­blematischen Situationen selbst regulie­ren zu können, muß es lernen, für es schwierige Situationen erst einmal zu er­kennen, unangemessenes Verhalten und einschießende, störende Affekte zu reduzieren, unter Umständen seine Sichtweise und Glaubenssätze über die von ihm anderen zugeschriebenen In­tentionen und Handlungen in bestimm­ten Situationen zu überprüfen und evtl. zu revidieren, alternative Handlungsplä­ne abzuwägen, die für deren Ausfüh­rung notwendigen Fertigkeiten zu er­werben. Dem aggressiven Kind fehlt es, so die Annahme, an sozialen Fertigkei­ten, es fehlt ihm an Problemlösungsfer­tigkeiten.

Kognitive Defizite zum Ziel der Inter­vention zu machen, hat die Plausibilität für sich, werden doch schon bei der Be­schreibung aggressiver Kinder u.a. Im­pulsivität, mangelnde Selbstkontrolle, schulische Leistungsschwächen, vor al­lem beim Lesen, Mangel an logischem Denken, gelegentlich hervorgehoben. Sprachentwicklungsstörungen und man­gelnde Sprachperformanz werden mit Störungen des Sozialverhaltens in Ver­bindung gebracht(Hogan& Quay 1984) Störungen, die ursächlich dafür sein könnten, daß Situationen falsch etiket­tiert und mögliche Alternativen gar nicht erst ins Kalkül gezogen werden. Aber er­mangelt es denn wirklich den meisten aggressiven Kindern an diesen Problem­lösungsfertigkeiten? Doch ganz offen­sichtlich nicht allen, folgt man seinem

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