Zeitschrift 
Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
Seite
11
Einzelbild herunterladen

Hans G. Eisert: Sozial-kognitive Intervention bei aggressiven Kindern Eine Übersicht

lichen Beispielen findet sich bei Camp& Ray 1984). In fünf kontrollierten Stu­dien an zumeist von den Lehrern für ag­gressiv erachteten Kindern wurde die Denk lauf nach-Intervention u. a. mit einer nichtbehandelten Gruppe und ei­nem Programm verglichen, das die Ver­besserung der Selbsteinschätzung zum Ziel hat. Ohne hier auf die differenzier­ten Ergebnisse einzugehen(s. Camp 1980; Camp& Ray 1984) herausgegrif­fen: Es erweist sich z. B., daß mit zuneh­mendem prosozialem Verhalten im Ge­folge der Intervention nicht notwendi­gerweise, wie oft implizite angenom­men, auch eine Verminderung aggressi­ven Verhaltens einhergeht. Interventio­nen können differentielle Kurz- oder Langzeitauswirkungen auf aggressives und prosoziales Verhalten haben(Camp & Ray 1984, 340).

6. Zum Entwicklungsstand sozial-kognitiver Interventions­programme

Wenn eine solche Globalaussage erlaubt ist: Im Hinblick auf Komplexität und Intensität höchst unterschiedliche so­zial-kognitive Programme, die bei Kin­dern unterschiedlichen Alters: vom Kin­dergartenkind bis zum Jugendlichen, bei unauffälligen und psychiatrisch auffälli­gen Kindern, Kindern unterschiedlichen intellektuellen Leistungsstandes, sozia­len Hintergrundes angewendet und von Lehrern, Eltern oder Therapeuten vor­gegeben werden, bewirken verbesserte Probiemlösungsfertigkeiten. Grosso modo führen sie auch zu Verbesserun­gen im Sozialverhalten. Dennoch: Bei­spiele dafür, daß trotz des teils erhebli­chen Aufwandes sich für positiv erachte­te Veränderungen nicht immer einstel­len bzw. nicht als dauerhaft erweisen, sind zahlreich. Es wird schon der teils widersprüchlichen Ergebnisse wegen auf eine differenzierte Darstellung der Befunde zu sozial-kognitiven Trainings bei aggressiven Kindern verzichtet. Der Leser findet auch tabellarische Übersichten dazu bei Frankel& Sim­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1986

mons(1985) und Pellegrini& Urbain (1985). Um die Probleme und den Ent­wicklungstand sozial-kognitiver Trai­ningsprogramme anzudeuten, werden einige Befunde erwähnt.

Rickel et al.(1983) zeigen, daß Vorschul­kindern durchaus vermittelt werden kann, wie man alternative Lösungen für zwischenmenschliche Probleme findet. Die Auswirkungen halten jedoch nicht vor, wie ein Follow-up zeigt. Bedeutsa­me Effekte sind in der natürlichen Um­gebung der Kinder nicht auszumachen, so daß das in den Unterricht eingebette­te Vorgehen nicht durchweg erfolgreich ist. Lernen aggressive 7- bis 12-jährige Kinder durchaus unter anderem alterna­tive Lösungen für problematische Situa­tionen zu erwägen und deren mögliche Konsequenzen abzuschätzen, so wird damit ihr aggressives Verhalten noch nicht hinlänglich bzw. durchgehend ver­mindert(Kettlewell& Kausch 1983). Die Autoren eines in den Schulunter­richt von Zweit- und Drittklässlern inte­grierten Programmes äußerste Nähe zu den Problemen ist also gegeben weisen darauf hin, daß es noch mehr da­rauf ankomme, die Intervention mit dem Unterricht zu verbinden, noch mehr an den aktuellen Problemen der Kinder anzusetzen(Gesten et al. 1982). In den Ergebnissen deuten sich eine Rei­he von Problemen sowohl methodisch­technischer als auch konzeptueller Art an, die sich hier in der Diskussion in ein­zelnen Punkten sehr viel leichter fassen lassen als dies, etwa angesichts des relati­ven Fehlschlags einer Intervention, im konkreten Fall möglich ist: Dazu sind die Interventionen zu komplex, als daß sich die Ursachen für eine relative Er­folgslosigkeit eines Trainings im allge­meinen so einfach ausmachen lassen. Und wie Camp(1980) bemerkt hat: oft wirft jeder Schritt im Rahmen der Pro­grammevaluation mehr Fragen auf, als er zu beantworten in der Lage ist.

Auf einer mehr technischen Ebene ver­weisen die angedeuteten Befunde zu so­zial-kognitiven Interventionen auf die vertraute Schwierigkeit wie sicherzustel­len ist, daß das Kind das erst einmal ge­lernte außerhalb der Intervention auch

in seiner Sozialökologie einsetzt. Auch wenn hyperaktiv-aggressive Kinder u. a. im Rollenspiel die Kompetenzen erwor­ben haben, um Alltagssituationen ange­messen zu bewältigen, garantiert dies noch nicht, daß sie sich einen Augen­blick später, auf dem Heimweg nämlich, auch so verhalten(Abikoff& Gittel­mann, im Druck). Überdeutlich ist je­denfalls, daß erworbene kognitive Fer­tigkeiten sich nicht von selbst in sozial angemessenes Verhalten umsetzen. Ein von den sozial-kognitiven Trainings (u.a. Eisert& Eisert, in Vorb.; Peter­mann& Petermann 1984) genutztes Vorgehen, um Generalisierung über Ort und Zeit wahrscheinlicher zu machen, besteht darin, Eltern und Lehrer einzu­beziehen; erst einmal, indem sie, die Be­deutung der Problemlösungsfertigkeiten für sich selbst erkannt, selbst erlernen, um das Kind in problematischen Situa­tionen dazu anhalten zu können, selbst Vorbild sind, sie auch anzuwen­den. Daß die Eltern und andere Bezugs­personen tunlichst an der Intervention zu beteiligen sind, ergibt sich nicht nur aus der Notwendigkeit, Generalisierung zuprogrammieren.

Es verweist auch darauf, daß Eltern und andere schließlich eine erhebliche Rolle im Bedingungsgefüge aggressiven kind­lichen Verhaltens zukommt. Dement­sprechend sind Elterntrainings, die in­zwischen auf einem umfänglichen empi­rischen und theoretischen Fundament ruhen(Patterson 1982; Innerhofer 1977; Webster-Stratton 1985), und vor allem die Eltern-Kind-Interaktion thematisie­ren und konkret fassen und verändern, ein wichtiges Element in den Ssozial­kognitiven Interventionen. Verfehlt wä­re es demnach, sozial-kognitiven Ansät­ze vorzuwerfen, sie würden die Proble­me aus ihrem systemaren Zusammen­hang herauslösen, um sie wieder in die Köpfe der Kinder als kognitive Defizi­te oder Fertigkeiten zu projezieren. Gerade dieMultimodalität des Vorgehens macht andererseits die empi­rische Überprüfung solcher Interventio­nen schwierig.

Die grundlegendere Frage, ob ein sozial­kognitives Training den Problemen ag­

u