Jürgen Drescher: Elternberatung bei aggressivem Kindverhalten
Umgebung der Familie eine Vielzahl wichtiger Informationen sammeln (z.B. über den Interaktionsstil der Familie und Umweltgegebenheiten). Die Teilnahme von zwei Beratern mit verteilten Aufgaben an den Sitzungen erleichtert die valide Erfassung komplexen Interationsgeschehens und kann Koalitionsbildungen zwischen Berater und einem Elternteil vorbeugen.
4.2. Kooperationsbereitschaft und Motivation der Eltern
Haisch(1980) bezeichnet mangelnde Kooperationsbereitschaft der Eltern als zentrales Problem der Familienberatung. Nach unserer Erfahrung spielt für die Motivation und Kooperationsbereitschaft der Eltern eine wesentliche Rolle, ob und inwieweit sie sich ihres eigenen Anteils an der kindlichen Verhaltensstörung bewußt sind. Folgende Maßnahmen sind nach Innerhofer(1977)— vgl. auch Petermann& Petermann(1984)— förderlich für die elterliche Therapiemotivation und Kooperationsbereitschaft:
— Durchführung der Beratung im Elternhaus(s. a. 4.1.).
— Häufiges Einüben neu aufzubauenden Elternverhaltens, um ihnen die für die praktische Ausübung notwendige Selbstsicherheit zu geben.
— Herstellung realistischer Effizienzerwartungen an das Kindertraining und die Elternberatung.
— Übertragung von Verantwortung an die Eltern, um deren Initiative zu fördern.
— Zuweisung von Kompetenz an die Eltern.
— Keine schwierigen theoretischen Erklärungen geben, sondern kurze Erläuterungen anhand von Beispielen aus dem Alltagsleben der Familie.
— Vermeiden aller für die Eltern strafenden Momente(z.B. Vorwürfe), und Aufbau beilohnender Momente, die vor allem durch die erfolgreiche Anwendung neu erworbener Verhaltensweisen entstehen.
4.3. Prinzipien der Gesprächsführung
Bei Bastine(1977) und Petermann& Pe
termann(1984) finden sich zahlreiche
Hinweise zur Gesprächsführung in der
Elternberatung:
— Zu Beginn jeder Sitzung sollten den Eltern Ziele und Vorgehensweise erläutert werden. Der Ablauf der Sitzungen soll klar strukturiert sein.
— Informationen sollen den Eltern systematisch dargebracht werden, wenn möglich mit Hilfe geeigneter Medien.
— Der Berater sollte die Eltern so oft wie möglich für geschicktes Vorgehen loben.
— Negative Kritik sollte sachlich und niemals ohne Alternativ-Vorschläge formuliert werden.
— Fehlverhalten sollte ignoriert werden, wenn dies vertretbar erscheint.
— Der Berater sollte klar umrissene, bewältigbare Probleme aufgreifen.
— Beispiele für Problemsituationen sollten dem Alltagsleben der Familie entstammen.
— Der Berater sollte den Eltern immer wieder die Perspektive des Kindes verdeutlichen.
— Problemlösungen sollten erst nach der Strukturierung des Konflikts (z.B. in Bezug auf die Standpunkte aller Beteiligten) und einer Ursachenklärung gemeinsam erarbeitet werden.
— Am Ende jeder Sitzung sind eindeutige Absprachen über Aufgaben der Eltern und das weitere Vorgehen zu treffen.
5. Inhalte der Elternberatung
Patterson und seine Mitarbeiter haben in einer Längsschnittstudie über 15 Jahre hinweg Verhaltensbeobachtungen an 600 Familien mit aggressiven Kindern durchgeführt(Patterson, 1982). Sie fanden vier Faktoren, die die wesentlichen Defizite des elterlichen Erziehungsver
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1986
haltens charakterisieren:
— Regeln wurden in den Familien nicht ausgesprochen und nicht befolgt.
— Die Eltern waren über das Verhalten ihrer Kinder gar nicht oder nur unzureichend informiert.
— Die Eltern verstärkten positives Verhalten nicht oder inkonsequent.
— Esfehlte die Fähigkeit, familiäre Probleme gemeinsam zu besprechen und zu lösen.
Elternberatung sollte in Zielsetzung und Inhalt diese vier Problembereiche abdecken. Das übergeordnete Ziel der verhaltensmodifikatorisch orientierten Elternberatung ist der Erwerb neuer Kompetenzen im Umgang mit kindlichem Problemverhalten und familiären Konflikten durch die sukzessive Übernahme von Aufgaben(vgl. Barton& Alexander 1981). Im folgenden soll über Inhalte der Elternberatung berichtet werden, die sich bei der Behebung aggressiven Kindverhaltens als effizient erwiesen haben oder deren Einsatz aufgrund neuerer Forschungsergebnisse indiziert erscheint.
Erstkontakt
Dem Erstkontakt mit den Eltern bzw.
der Familie kommt für den Verlauf und
Erfolg der gesamten Intervention ent
scheidende Bedeutung zu. Hier ent
scheidet sich, ob und in welcher Form
Kindertraining und Elternberatung zu
stande kommen. Das Erstgespräch dient
neben dem gegenseitigen Kennenlernen
primär diagnostischen Erhebungen(s.
Abschnitt 3.2.). Weitere wichtige Inhalte
sind:
— Information der Eltern über das zu ihrer Verfügung stehende Hilfsangebot.
— Abklären der elterlichen Kooperationsbereitschaft.
— Festlegen globaler Therapie- und Beratungsziele, die nach Abschluß der Diagnose-Phase spezifiziert werden können.
— Einigung über die Modalitäten des weiteren Vorgehens.
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