Journal 
Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
Page
27
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image

Jürgen Drescher: Elternberatung bei aggressivem Kindverhalten

zur Entstehung und Aufrechterhaltung

von Verhaltensstörungen beitragen

(Caesar, 1972). Erziehungsziele sollten,

nachdem jeder Elternteil seine Vorstel­

lung schriftlich niederlegt hat, in den Be­ratungsgesprächen anhand folgender

Fragen diskutiert und abgestimmt wer­

den:

Sind die Erziehungsziele den indivi­duellen Fähigkeiten und Eigenschaf­ten des Kindes angemessen?

Sind die Erziehungsziele eher an äu­ßeren Zwängen oder am Kind selbst orientiert?

Dienen die Erziehungsziele mehr den Bedürfnissen der Eltern oder de­nen des Kindes?

Können die Erziehungsziele dem Kind helfen, seine Probleme selb­ständig zu lösen?

Stimmen die Erziehungsziele mit dem tatsächlichen Elternverhalten überein und sind die Eltern Modell für das angestrebte Kindverhalten?

(vgl. Müller& Moskau, 1978).

Weitere Inhalte der Elternberatung er­

geben sich aus den Erfordernissen des

jeweiligen Einzelfalles. Hier sind auch externe, nicht direkt der Eltern-Kind-In­teraktion zuzurechnende Einflußfakto­ren auf das kindliche Problemverhalten

zu berücksichtigen(vgl. Abschnitt 2).

Das in Abschnitt 6 vorgestellte Fallbei­

spiel demonstriert die Umsetzung eines

verhaltensmodifikatorisch orientierten

Konzepts zur Elternberatung.

6. Fallbeispiel 6.1. Problemlage

Klaus war bei Trainingsbeginn 8;3 Jahre alt. Die wichtigsten auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen für sein aggressives Verhalten in der Familie fanden sich in folgenden Zusammen­hängen:

Klaus widersetzte sich ständig den Verhaltensvorschriften seines Va­ters. Auslöser und Konsequenzen zugleich waren gegenseitige Be­

schimpfungen und körperliche Züchtigungen des Jungen.

Klaus konnte die Aufmerksamkeit seines Vaters fast nur durch Provoka­tionen und Fehlverhalten erregen.

Herr S. lobte seinen Sohn niemals, da er erwünschtes Verhalten für selbstverständlich hielt. Bestrafun­gen hingegen erfolgten in unkon­trollierter Weise und waren über­hart.

die 12;3 Jahre alte Schwester bevor­mundete Klaus, der sich gegen sie nur mit aggressiven Mitteln durch­setzen konnte.

Klaus war sehr starr an familiäre Kontakte fixiert, da er außerhalb der Familie aufgrund seiner Verhaltens­störungen abgelehnt wurde und kaum über notwendige Fertigkeiten verfügte, Sozialkontakte mit friedli­chen Mitteln aufzunehmen und aus­zugestalten.

Die Mutter, Klaus wichtigste Be­zugsperson, verhielt sich oft überbe­schützend. Damit verhinderte sie, daß Klaus Einsicht in die Eigen­verantwortlichkeit seines Handelns gewinnen konnte. Insbesondere er­schwerte Frau S. Klaus eine realisti­che Einschätzung der negativen Fol­gen seines aggressiven Verhaltens.

Die Eltern widersprachen sich häufig in ihren Verhaltensvorschriften, so daß sie den Anschein von Beliebig­keit hatten und es beiden Geschwi­stern außerdem ermöglichten, die Eltern gegeneinander auszuspielen.

Die Eltern trugen Meinungsver­schiedenheiten mit aggressiven Mit­teln aus und boten somit aggressives Modellverhalten.

Frau S. versuchte in Streitsituatio­nen, die Kinder gegen ihren Mann aufzubringen und benutzte ihn als Buhmann, wenn sie sich den Kin­dern nicht mehr gewachsen fühlte.

Im Erfassungsbogen für aggressives Ver­

halten in konkreten Situationen(Peter­

mann& Petermann, 1980) reagierte

Klaus überwiegend sozial erwünscht,

während beide Eltern das erwartete Ver­

halten ihres Sohnes in den hypotheti­schen EAS-Situationen in einer Weise

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1986

einschätzten, die dem vom Trainer be­obachteten realen Kindverhalten ent­sprach. Die Werte imBeobachtungsbo­gen für aggressives Verhalten(Peter­mann& Petermann, 1984) werden im Ergebnisteil besprochen. Die IESkala nach Schneewind(1973) zeigte ein deut­liches Überwiegen externaler Kontroll­überzeugungen bei Klaus an.

6.2. Kindertraining

Das Kindertraining umfaßte 6 Einzel­trainings- und 6 Gruppentrainings-Sit­zungen, denen jeweils längere Ken­nenlern-Phasen vorgeschaltet wurden. Aufbau und Inhalte der Intervention so­wie die eingesetzten Materialien entsprachen weitestgehend dem von Pe­termann& Petermann(1978, 19842) beschriebenen Trainingsprogramm. An dieser Stelle sollen nur die Trainingszie­le genannt werden, die sich aus Klaus individueller Problematik ergaben und die die Gestaltung insbesondere des mit ihm durchgeführten Einzeltrainings be­stimmten:

Lernen, Angriffe mit angemessenen Mitteln abzuwehren und das eigene Verhalten zu kontrollieren.

Lernen, selbstverschuldete Konflikte angemessen zu lösen.

Lernen, die eigenen Interessen zu vertreten ohne wütend zu werden und dabei auch die Bedürfnisse des anderen zu berücksichtigen.

Lernen, Kontakte zu knüpfen und sich an die notwendigen Bedingun­gen zu halten Toleranz, Nachgie­bigkeit, sich an die Regeln halten.

Lernen, sich an die Regeln der Er­wachsenen zu halten und motorisch ruhiger zu werden.

Lernen, nicht hinterhältig aggressiv zu sein und die Verantwortung für das eigene Handeln zu tragen.

6.3. Elternberatung

Die Elternberatung bestand aus 8 ca. zweistündigen Sitzungen. Sie wurde in der Wohnung von Familie S. durchge­führt, wobei zeitweilig auch Klaus teil­

27