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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Jürgen Drescher: Elternberatung bei aggressivem Kindverhalten

nahm. Regelmäßig anwesend waren bei­

de Eltern, Trainer und Co-Trainer.

In den Sitzungen wurden den Eltern fol­

gende Inhalte vermittelt: Beobach­

tungstraining, Lern- und Verstärkungs­prinzipien, das Bedingungsgefüge für

Klaus Verhaltensstörungen und die da­

raus abgeleiteten therapeutischen Maß­

nahmen, regelgeleitete Kommunika­tion, Familienrat, Erziehungsziele.

Aus unserer Einschätzung der bei Fami­

lie S. vorgefundenen Problematik zogen

wir den Schluß, daß entscheidende Ver­änderungen in Bezug auf Klaus Verhal­tensstörungen insbesondere durch eine

Normalisierung der Vater-Sohn-Be­

ziehung herbeigeführt werden könnten.

Wir initiierten daher gemeinsame Akti­

vitäten von Vater und Sohn, die zu­

nächst in Gegenwart des Trainers statt­fanden(Spiele, in denen beide kooperie­ren mußten, um erfolgreich zu sein), wo­bei der Trainer für Herrn S. Modellfunk­tion hatte. Später erhielt Herr S. die auf­gabe, allein mit Klaus Freizeitbeschäfti­gungen nachzugehen, über die beide ge­meinsam entschieden und die regelmä­

Big, zeitlich aber nicht zu ausgedehnt

sein sollten. Auftretende Probleme und

Veränderungen wurden jeweils mit dem

Trainer besprochen(z. B. fürchtete Herr

S. einen Autoritätsverlust, wenn er sich

zu oft spielerisch mit Klaus beschäftig­

te). Der Etablierung einer tragfähigen

Vater-Sohn-Beziehung kamen folgende

Funktionen zu:

Gemeinsame Aktivitäten von Vater und Sohn kamen dem Kontaktbe­dürfnis des Kindes entgegen, so daß es nicht mehr mit aggressiven Mit­teln Zuwendung erzwingen mußte.

Im Kontakt miteinander lernte jeder, sich in den anderen einzufühlen, so daß weniger Konflikte entstanden und diese weniger aggressiv ausge­tragen wurden.

Klaus hatte weniger Angst vor sei­nem Vater und konnte dessen Ver­haltensregeln besser akzeptieren; diese Erfahrung übertrug Klaus auf den Umgang mit anderen Erwachse­nen.

Der Vater lernte, seinen Sohn reali­stisch einzuschätzen und konnte ent­

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sprechend angemessene Verhaltens­erwartungen an ihn richten.

Herr S. wurde von Klaus weniger ne­

gativ gesehen, so daß Frau S. diese ungünstige Rollenzuschreibung nicht mehr ausnutzen konnte und zu konsequentem Erziehungsverhalten gezwungen war.

Herr S. entwickelte durch den Um­

gang mit seinem Sohn Verständnis für die Erziehungsprobleme seiner Frau. Die Folgen waren weniger Partnerkonflikte der Eltern und ver­mindertes aggressives Modellverhal­ten der Eltern. Für Frau S. bestand eine zentrale Aufga­be darin, ihr überbeschützendes Verhal­ten aufzugeben und Klaus zur Selbstän­digkeit zu erziehen. Sie sollte ihm nur wirklich notwendige Hilfen geben. Kriti­sche Erziehungssituationen sollte Frau S. allein durchstehen und auch ohne Eingreifen ihres Mannes Erziehungs­maßnahmen konsequent realisieren. Während der Elternberatung bespra­chen wir mit Frau S., wie sie Klaus suk­zessiv ein immer größeres Maß an Ei­genverantwortung übertragen konnte, z.B. beim Erledigen der Hausaufgaben oder der Lösung von Konflikten mit sei­ner Schwester. Herr S. wurde dahingehend beeinflußt, angemessenes Verhalten seines Sohnes zu belohnen und Bestrafung wenn überhaupt in angemessener und kon­trollierter Form einzusetzen. Frau S. erhielt den Rat, Klaus aggressi­ves Verhalten nicht länger zu bagatelli­sieren oderwegzuerklären, sondern ihn mit den negativen Folgen der Ag­gression zu konfrontieren. Im Laufe der Elternberatung bespra­chen wir mit Familie S. eine Vielzahl kri­tischer Situationen und erarbeiteten ge­meinsam Problemlösungen. Vielfach demonstrierten wir auch im Beisein von Klaus Modellverhalten z. B. für die Me­thode der niederlagelosen Konfliktlö­sung oder das Begründen von Erzie­hungsmaßnahmen. Klaus ältere Schwester wurde nur selten in die Familienberatung mit einbezo­gen, da in ihrem Fall eine weitergehende Einflußnahme nicht erforderlich er­

schien. Die Eltern sollten beiden Kin­dern gegenüber einheitliches Erzieher­verhalten zeigen und Geschwesterkon­flikten vor allem dadurch vorbeugen, daß beide mehr altersadäquate Sozial­kontakte knüpften. Eine Folge dieser Überlegungen war Klaus Eintritt in ei­nen Sportverein.

6.4. Ergebnisse 6.4.1. Deskriptive Auswertung

Eine direkte Erfolgskontrolle der Eltern­beratung wurde im geschilderten Fall nicht durchgeführt. Die Veränderungen im Verhalten des Kindes können jedoch als indirektes Maß für die Wirksamkeit der Elternberatung herangezogen wer­den. Der Versuchsplan dieser Einzelfall­studie bestand aus einer Kombination von interventionsfreien Beobachtungs­phasen(A, C, E) und Behandlungspha­sen(B= Einzeltraining, D= Gruppen­training), so daß ausgehend von der Ba­seline-Erhebung(A) die Effekte der ver­schiedenen Trainingseinheiten separat erfaßt werden konnten.(Zum Begriff der Baseline S. a. Petermann, 1982.) Während jeder Beobachtungsphase wurde das Kindverhalten mit Hilfe der Kategorien desBeobachtungsbogens für aggressives Verhalten(Petermann & Petermann, 1984) an 18 Meßzeitpunk­ten von einem unabhängigen, trainier­ten Beobachter eingeschätzt.

Die Mittelwerte jeder Beobachtungska­tegorie in den 3 Beobachtungsphasen sind ein statistisches Maß für die Be­schreibung der Daten und bieten die Möglichkeit einer groben Einschätzung des Trainingserfolgs. Die folgende Ab­bildung zeigt die Mittelwertänderungen in sechs trainingsrelevanten Beobach­tungskategorien(vier Kategorien aggres­siven Verhaltens, die in der Baseline den höchsten Ausprägungsgrad erreichten; zwei Kategorien sozial erwünschten Verhaltens) sowie einer Kategorie, die als Indikator eines veränderten Verhal­tens der sozialen Umwelt dem Trai­ningskind gegenüber dienen sollten. In Abbildung 2 bedeuten:

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1986