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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Jürgen Junglas: Training zum Abbau aggressiven Verhaltens bei Patienten einer Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik

berichtet Gittleman(1965), der alltägli­che, irritierende Situationen, die zu ag­gressivem Verhalten provozierten, nach steigendem Schwierigkeitsgrad von älte­ren Kindern gewaltlos durchspielen ließ. Ostrom et al.(1971) konfrontier­ten unter Bewährungsaufsicht stehende Jugendliche mit konkreten Problemen der Lebensbewältigung, erarbeiteten mit ihnen Lösungsstrategien und übten diese dann im Rollenspiel ein. Einzel­ne Trainingsprogramme wurden in klei­nen, familienähnlich strukturierten Ein­richtungen zur Behandlung delinquenz­gefährdeter Jugendlicher mit gutem Erfolg durchgeführt. So ist z.B. das Verhalten in der Situation als Bewerber um eine Arbeitsstelle(Braukmann et al. 1974), bei der Begegnung mit der Polizei (Werner et al. 1975) und im Umgang mit den Eltern(Lysaght& Burchard 1975) eingeübt worden. Sarason& Ganzer (1973) haben in einer ArtBeobach­tungsstation und Diagnosezentrum für straffällige Jugendliche ein Trainings­programm sozialer Verhaltensweisen entwickelt. Das auf die Defizite im So­zialverhalten der trainierten Jugendli­chen zugeschnittene Programm war in szenischer Form ausgearbeitet und in Gruppengespräche eingebettet. Die Sze­_ nen wurden vorgespielt und das Nach­spielverhalten der Jugendlichen mit Vi­deo kontrolliert. Die Rückfälligkeit der trainierten Jugendlichen konnte signifi­kant verringert werden. Steller et al. (1978) haben in der Justizvollzugsanstalt Neumünster einModellunterstütztes Rollentraining(MURT) zur Entlas­sungsvorbereitung durchgeführt. Das Verhaltenstraining verbindet im wesent­lichen Rollenspiel- und Modellern­Techniken und wird durch operantes Konditionieren, gruppendynamische Selbsterfahrung und Lernhilfen unter­stützt. Pielmaier et al.(1980) haben ein Training sozialer Verhaltensweisen vorgestellt, wobei sie betonen, daß es zunehmend nicht mehr nur um Verän­derungen von außen beobachtbarer Verhaltensweisen(z. B. aggressive Akte, zwanghafte Handlungen) gehe, sondern auch um den Abbau von unangemesse­nen Emotionen(z.B. Ängste, Ärger)

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und die Korrektur von verhaltens­steuernden Einstellungen(z.B. Selbst­bild, Vorurteile). Sie entwickelten 24 Trainingseinheiten aus den Problembe­reichen, in denen junge Menschen mit sozialen Defiziten erfahrungsgemäß häufig Schwierigkeiten haben und führ­ten das Training mit 14- bis 20-jährigen Untersuchungsgefangenen durch. Stärker auf die individuellen Defizite ab­gestellt ist dasTraining mit aggressiven Kindern von Petermann& Petermann (1978, 19842). Das empirisch gut über­prüfte Konzept verbindet Einzel- und strukturiertes Gruppentraining auf der Basis einer detaillierten Verhaltensdia­gnostik.

2. Lerntheoretische Grundlagen

Daß Menschen in der Lage sind, die Ver­haltensweisen anderer Menschen zu übernehmen ist allseits bekannt und spiegelt sich in dem Begriff des Vorbildes wider. Bandura hat die Bedingungen dieser Lernprozesse in der sozialen Interaktion näher untersucht und beschrieben. Die Modellierungsein­flüsse rufen nach Bandura(1979) drei Arten von Wirkungen hervor: 1. Erwer­ben die Beobachter neue Verhaltensmu­ster, 2. werden Hemmungen von Ver­haltensweisen, welche die Beobachter vorher gelernt haben, verstärkt oder ge­schwächt und 3. dienen die Verhaltens­weisen andere als soziale Anreize, die ähnliches Verhalten bei den Beobach­tern fördern.

Die Bereitschaft, auf Modellierungsein­flüsse zu reagieren, ist nach Bandura (1979) durch folgende Faktoren determi­niert: 1. den assoziativen Bekräftigungs­kontingenzen, 2. den Eigenschaften der Modelle und 3. den Charakteristika der Beobachter. Wird das Modell belohnt, ist sein Verhalten nachahmenswerter als wenn es bestraft wird. Das Verhalten des Modells wird umso eher nachgeahmt, je höher der Status des Modells ist, je hö­her seine Kompetenz eingeschätzt wird, je ähnlicher es dem Beobachter ist und je sympathischer es ist. Der Beobachter ist

umso eher bereit, auf Modellierungsein­flüsse einzugehen, je inkompetenter er sich erlebt und je gespannter er ist. Die Regulation der Aufrechterhaltung und Äußerung erlernter Reaktionsmu­ster hängt nach Bandura(1979) von den vorausgehenden Verhaltensanlässen (Stimuli), den auf das Verhalten folgen­den Feedbackwirkungen(Bekräftigung) und von kognitiven Prozessen, die Akti­vitäten steuern und regulieren, ab. Zu den wichtigsten Umweltreizen, die Ver­haltensanlässe darstellen, gehören ver­bale Hinweisreize in Form von Bitten, Andeutungen, Befehlen etc., sowie die Aktivität der anderen. Der Druck der ak­tivierenden Umweltverhältnisse kann ei­ne Person gelegentlich dazu bringen, sich aggressiv zu verhalten, ohne den möglichen Konsequenzen viel Auf­merksamkeit zu schenken. Menschliches Vehalten wird wesentlich durch symbolische Verstärker(soziale Reaktionen: verbale Anerkennung, Rü­gen, Aufmerksamkeit, Zuneigung und Ablehnung) modifiziert und in Gang ge­setzt. Die bei anderen beobachteten Verhaltensfolgen liefern Bezugsnor­men, die bestimmen, ob bestimmte Er­gebnisse eigenen Verhaltens einen posi­tiven oder einen negativen Wert haben. Menschen können sich selbst bestimmte Maßstäbe für ihr Verhalten setzen und auf ihr eigenes Verhalten gemäß ihren selbst auferlegten Forderungen reagie­ren. Ist so ein selbstkontrollierendes Be­kräftigungssystem etabliert, liefert ein Verhalten zwei Verstärkerquellen, die selbstbewertende Reaktion und ein äu­ßeres Ereignis, die in unterschiedlicher Weise miteinander interferieren. Solange die Verbindung zwischen Sti­mulus und Reaktion dem Handelnden oder dem Beobachter unbemerkt bleibt, ändert sich auch das Verhalten nicht. Erst die Kenntnis der Bekräfti­gungsbedingungen ermöglicht eine An­tizipation der Verhaltenskonsequenzen und hat eine rasche Verhaltensänderung zur Folge.

Nach Bandura kann man folgende Sub­prozesse des Lernvorgangs unterschei­den:

1. Aufmerksamkeit: Der Beobachter

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1986