Jürgen Junglas: Training zum Abbau aggressiven Verhaltens bei Patienten einer Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik
Die Fähigkeit zur willentlichen Lenkung des eigenen Verhaltens ist eine wichtige Voraussetzung zur Verhaltensmodifikation. Durch den Ausbau der Selbstkontrolle gelingt es dem Jugendlichen, sein normales, impulsives Verhalten zu stoppen oder zumindest zu verzögern. Das bewußte Durchlaufen der Sequenz Fühlen— Denken— Handeln(Fasselt 1974) hilft dem delinquenten Jugendlichen, sein unreflektiertes und auf Sofortbefriedigung ausgerichtetes Problemlöseverhalten zu überwinden. Kooperatives, helfendes Verhalten ist mit aggressivem Verhalten nicht vereinbar und hemmt daher Aggressionspotentiale. Es bringt dem Jugendlichen auch positive Verstärker in Form positiver sozialer Zuwendung ein. Partnerschaftliche Gemeinsamkeit im Handeln mit dem Ziel der Überwindung einer problematischen Situation ist das Ergebnis der Einübung von Kooperation. Auf diesem Boden kann sich intensiveres Einfühlungsvermögen in den anderen und Sympathie für den anderen einstellen.
Angemessene Selbstbehauptung macht den Einsatz von Aggressionen unnötig, soweit man bereit ist, die Grenze in den negativen Folgen des Gegenübers zu akzeptieren.
4. Forderungen an ein aggres
sionsabbauendes Trainin
Um Aggressionen abzubauen sind einerseits die Bedingungen für die Entstehung des aggressiven Verhaltens zu beseitigen(Wahrnehmungs- und Verhaltensgewohnheiten), sowie die Hemmungspotentiale(Selbstsicherheit, Selbstkontrolle, Selbstbehauptung, Kooperationsbereitschaft) auszubauen. Die verzerrte soziale Wahrnehmung muß durch das Training korrigiert und differenziert werden, um die Bedeutung der Umweltreize, vor allem der Handlungen der anderen, genäuer erfassen zu können. Die habituierten Verhaltensweisen müssen durch alternative Verhaltensmuster ergänzt werden, die für den
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Handelnden mindestens so attraktiv erscheinen müssen, wie die ihm„normal” erscheinenden Raktionen. Angemessene Selbstbehauptung, Selbstkontrolle sowie Kooperation und Hilfeleistung sind die Schlüssel zu alternativem, aggressionshemmendem Verhalten. Diese Ziele können am besten im Zustand motorischer Ruhe und Entspannung erreicht werden.
Der Einsatz von Rollenspiel und Modellernen zur Erreichung dieser Bedingungen kann unter den zentralen Zielen der Förderung des Einfühlungsvermögens(Empathie) und der Selbstsicherheit zusammengefaßt werden und belegt so zunächst theoretisch die Brauchbarkeit dieses Ansatzes zum Abbau aggressiven Verhaltens. Die komplementären Ziele der Förderung der Empathie und der Selbstsicherheit erweisen sich aber auch in der Praxis des Trainings als die immer wieder spürbaren effektiven Richtschnüre im konkreten Vorgehen.— Iannotti(1978) definiert Einfühlungsvermögen(Empathie) als emotionales Bestreben, sich in die Perspektive eines anderen zu versetzen. Hiermit eng in Zusammenhang steht die Fähigkeit zur Rollenübernahme(role taking), die Fähigkeit, sich in den anderen hineinzuversetzen, also mit den Augen des Gegenübers ein Geschehen zu beurteilen und zu erleben. Kann man sich anstößiges Verhalten erklären, neigt man weniger zu aggressiven Reaktionen(Mallik& McCandless 1966, Kaufmann& Feshbach 1963). Es reicht jedoch nicht die bloße kognitive Fähigkeit; erst wenn der Hilfsbedürftige im Mittelpunkt des Empfindens steht und eine mitfühlende Erregung ausgelöst wird, wird Hilfeverhalten möglich, das seinerseits Aggressionen verhindert. Die Einfühlung in die Situation des Gegenübers vermittelt die Fähigkeit, selbst sicherer zu handeln und damit zu verhindern, daß man in einer Art und Weise behandelt wird, daß man aggressiv erregt wird. Einfühlungsfähige Kinder haben Eltern, die die kognitive Entwicklung durch erklärende Hinweise sowie freundliche Zuwendung fördern und Handlungsspielräume zur Selbsterprobung gewäh
ren(Feshbach 1978, Kaplan et al. 1984). Das hier vorgestellte Training entspricht dieser Haltung. Mit dem Erreichen einer gewissen Empathie wird dem Jugendlichen auch die Einsicht vermittelt, daß er bis zu einem gewissen Ausmaß das Verhalten seines_Interaktionspartners beeinflussen kann.
5. Beschreibung des praktischen Vorgehens
Es wurde ein Gruppentraining zum Ab
bau aggressiven Verhaltens in zwei
Gruppen mit drei bzw. vier männlichen
Jugendlichen im Alter von 14;4 bis 17;2
Jahren durchgeführt. Die Erfahrungen
mit der ersten Gruppe führten zu einer
Modifikation des Trainings(Vorschal
tung eines autogenen Trainings, Einsatz
von Videotechnik), wonach der Trainingsablauf sich folgendermaßen darstellte: 1. Autogenes Training(nach Petermann& Petermann 1984). 2. Vorstellen des Trainingsthemas durch den Leiter. 3. Benennen lassen von Konfliktpunkten und möglichen Schwierigkeiten durch die Jugendlichen. 4. Evtl. Ergänzen weiterer möglicher Konfliktpunkte durch den Leiter bzw. Co-Therapeuten. 5. Vorspielen der Konfliktszene(Video). 6. Beschreibung durch die Jugendlichen(Was ist passiert? Wie steht ihr dazu?) 7. Erneutes Vorspielen(Video) mit nochmaliger Erläuterung durch die Gruppenteilnehmer nach jedem Dialogschritt. 8. Spiel der Szene durch die Jugendlichen mit vertauschten Rollen, so daß jeder einmal jede Rolle einnimmt. — Im Spiel evtl. Eingreifen durch Leiter/Therapeut, um bestimmte Intentionen zu verdeutlichen bzw. Stichwort für Weiterspielen zu geben.
— Nach jedem Spiel Reflexion der eigenen Gefühle und Gedanken
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1986