Thomas Steinke: Die Einführung verhaltenstheoretisch orientierter Behandlungsmaßnahmen in die Heimerziehung— am Beispiel des
Aggressionstrainings
unter anderem die Befriedigung von Bedürfnissen wie Hunger und Durst, ein Dach über dem Kopf, insbesondere aber die emotionale Zuwendung ohne instrumentelle Funktion. Fehlende oder nur positiv motivierend oder strafend(also erzieherisch oder therapeutisch) eingesetzte Gefühlsäußerungen hätten emotionale Verarmung und Bindungslosigkeit zur Folge.
Um der Abhängigkeit von Betreuern,
Therapeuten und Erziehern und der dar
aus resultierenden Unselbständigkeit
entgegenzuwirken müssen Erlebnisse und Handlungen gezielt ermöglicht werden, die der zunehmenden Selbständigkeit und Identitätsbildung des Kindes oder
Jugendlichen förderlich sind. Bestimmte
Bereiche der Alltagswelt von Kindern
und Jugendlichen im Heim weisen hier
zu geeignete Strukturen auf. Voraussetzung dafür ist
1. die pädagogisch-therapeutische Zurückhaltung, d. h., daß Erzieher und Therapeuten in der Lage sind, Kinder und Jugendliche zeitweise ohne zielgerichtete und fremdbestimmte Vorgaben handeln und erleben zu lassen.
2. In bestimmten Situationen müssen die Kinder und Jugendlichen symmetrische Beziehungen erleben können, wie z.B. mit Erwachsenen beim Spiel wo man sich spaßeshalber trifft
und das Endresultat tatsächlich offen ist; bei Gefühlsäußerungen von Erwachsenen zu Kindern und Jugendlichen und vice versa, ohne daß die Beziehung Erzieher-Erzogener oder Therapeut-Klient die Gefühlslage bestimmt(d.h. Gefühlsäußerungen als ‚Privatmensch’ ohne instrumentelle Funktion, wie z.B. ‚Verstärkung’); mit anderen Kindern, ohne Beschützung oder Regelung durch Erwachsene. Sofern diese beiden Bedingungen gegeben sind, besteht die Möglichkeit selbstgesteuerter Erfahrungsbildung. Jedes Heim verfügt neben diesem ‚AWNtagsbereich’ auch noch über die Möglichkeit Kinder und Jugendliche p/anvoll zu erziehen, d.h. allgemeinbildende und entwicklungsfördernde Maßnahmen anzuwenden und— sofern dies nötig ist— Defizite der in ihrer Entwicklung gestörten Kinder und Jugendliche durch 7herapie aufzuarbeiten. Wir vertreten die Ansicht, daß der ‚gelungene Alltag’ und angemessene Erziehungsbemühungen notwendige(jedoch nicht hinreichende) Bedingungen für eine effekive therapeutische Arbeit sind. Dazu müssen Organisationsleistungen erbracht werden, die die Kooperation der unterschiedlichen Betreuer sicherstellt(z.B. Möglichkeiten gemeinsamer Reflexion, klare Zuordnungen von Kompetenz und Wei
Komplexität der Probleme/Aufgaben der Heimerziehung
Konzepte/ Theorien/ Erfahrungen/ Traditionen
Behördenkontakte
Eltern-"Gelungener arbeit Alltag»
A
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1986
sungsbefugnis) und Stabilität der notwendigen Rahmenbedingungen(wie z.B. Finanzen, Räumlichkeiten, Personalschlüssel, Dienstplan etc. vgl. Abbildung 1).
2. Das Heim als alternative Lebenswelt— die Integration von Therapie, Erziehung und
Alltag
2.1. Die Differenzierung der Handlungs- und Erlebnisfelder
Eine Notwendigkeit für die Einführung eines komplexen verhaltenstheoretischen Ansatzes in ein Heim ist die Existenz der unterschiedlichen Handlungsund Erlebnisfelder ‚Therapie’, ‚Erziehung’ und ein ‚gelungener Alltag’. Dazu wird eine ausreichende Anzahl Mitarbeiter(personales Wachstum) und unterschiedlich qualifiziertes Personal(Professionalisierung durch Lehrer, Erzieher, Sozialpädagogen und Psychologen) benötigt.
Fricke(1980) berichtet, daß bei der von ihm durchgeführten Implementation des ‚Trainings mit aggressiven Kindern’ (nach Petermann/Petermann 1978) in ein Heim, die insgesamt 64 dort lebenden Kinder und Jugendliche in sechs Wohngruppen mit bis zu zwölf Zöglingen aufgeteilt wurden, denen jeweils vier Erzieher meist weiblichen Geschlechts zugeteilt waren. Dort wurde versucht das Miteinanderleben den Verhältnissen in der Familie entsprechend zu gestalten. Der Dienst war so eingeteilt, daß jeweils ein Erzieher von morgens 7.00 Uhr bis abends 19.00 Uhr in der Gruppe tätig war. Zunächst muß hier bezweifelt werden, ob mit einer solchen Aufgliederung in Gruppen tatsächlich familienanaloge Bedingungen hergestellt werden kön
Abb. 1: Aufgaben der Heimerziehung und Reaktionsformen.
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