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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Thomas Steinke: Die Einführung verhaltenstheoretisch orientierter Behandlungsmaßnahmen in die Heimerziehung am Beispiel des

Aggressionstrainings

nen. Bei einem zwölfstündigen Dienst ist aller Wahrscheinlichkeit nach weder ein ‚gelungener Alltag ohne chronische Verschleißerscheinungen auf Seiten der Erzieher möglich und erst recht nicht überdauernde Aufmerksamkeit, die zur Durchführung von Erziehung und The­rapie(mit der Notwendigkeit kontingen­ter Reaktionen) unabdingbar ist. Letzt­lich stellt eine solche Erzieher-Kind-Re­lation und der daraus resultierende Dienstplan eine Überforderung des Er­ziehers dar, da er auf Dauer mit den komplexen Aufgaben nicht mehr zu­rechtkommen kann. Diese Unterbeset­zung und mangelnde gemeinsame Tä­tigkeit, d.h. auch Mangel an Erfahrun­gen in der Zusammenarbeit, die auch nicht durch intensive Kommunikation ersetzbar sind, führten zu starken Span­nungen zwischen den Mitarbeitern, die in den 14tägigen Dienstbesprechungen nicht bereinigt werden konnten. Asyn­chrones und widersprüchliches Erzie­hungsverhalten als Folge der Auseinan­dersetzungen förderte die Probleme der Kinder und hemmte die Bemühungen zur Umgestaltung der aggressionsför­dernden Umwelt(z.B. konzentrations­störende Bedingungen bei der Hausauf­gabenerledigung, in der die Kinder mangels erzieherischer Aktivitäten eine ‚Hackordnung entwickelten. vgl. Fricke 1980, 328 ff.). An diesem Beispiel wird deutlich, wie ein zu kleiner Personal­schlüssel zu mangelnden gemeinsamen Erfahrungen der Erzieher und schlechte Koordination zu asynchronem Erzieher­verhalten, d.h. letztlich zur Fixierung von Verhaltensproblemen der Kinder führen kann. Dies erschwert therapeuti­sche Bemühungen bzw. macht sie völlig unmöglich.

Junglas(1985) schildert die für die Ein­führung desselben Trainingsprogramms relevanten Rahmenbedingungen von 11 bis 13 männlichen Jugendlichen in einer Abteilung für Kinder- und Jugendpsy­chiatrie. Da nur ein einziges Einzelzim­mer zur Verfügung stand, gab es für die Patienten keine Möglichkeit zur Ent­wicklung einer ‚Privatsphäre in ihrem Alltag auf der Station. Häufige Zerstö­rungen der Gemeinschaftsräume(Toi­

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letten, Bäder) mußten festgestellt wer­den(vgl. Junglas 1985, 73). Solche ag­gressionsfördernden Bedingungen im All­tag der Klienten sind bei der Durchfüh­rung therapeutischer Maßnahmen mit­zuberücksichtigen, da sie die Behand­lungserfolge nicht unbeträchtlich verzö­gern oder überhaupt blockieren können. Erfahrene Therapeuten verweisen im Zusammenhang mit der Realisierung ei­nes ‚gelungenen Alltages auf die Not­wendigkeit der Öffnung der stationären Einrichtungen zu Erlebnisfeldern außer­halb des Heimes oder der Klinik und zur Herstellung von Rahmenbedingungen in­nerhalb der Einrichtungen, die der Le­benswirklichkeit ‚außerhalb ähnlich sind, und zwar,... um den Kindern Ge­legenheit zu geben, ihre in der Behand­lungsumgebung erworbenen Fertigkei­ten in ihrer natürlichen Umgebung zu praktizieren.(Goocher/Kanfer 1977, 184). Hierzu bemerkt Liberman:

Wenn der Patient Verhaltensweisen lernen soll, die ihn dazu befähigen, angemessen in der Gemeinde zu leben, dann muß er die Möglichkeit haben, diese Verhaltensweisen in einer Umgebung zu praktizieren, die der Gemeinde vergleichbar ist. Dazu müssen die Verhältnisse im Krankenhaus grundlegend geändert werden(Liberman 1977, 210).

Fröhlich berichtet über die konzeptio­nellen Voraussetzungen eines Heimes, welches diesen Anforderungen bereits Rechnung trägt.

Die Station soll nicht nur eine ‚therapeuti­sche Insel sein. Aus diesem Grund wird gro­ßer Wert auf eine Öffnung des Heimes nach außen gelegt. So besuchen die Kinder öffent­liche Schulen aller Art, sie gehen in öffentli­che Einrichtungen(z.B. Schwimmbäder, Spielplätze, Bibliotheken u. ä. oder kaufen in der Stadt ein. Andererseits kommen Kinder von außerhalb zu Besuch oder spielen auf dem Spielplatz des Heimes(Fröhlich 1980, 124).

Nur diejenigen Einrichtungen, die sich der besonderen Dynamik der verschie­denen Erlebnis- und Handlungsfelder Therapie, Erziehung und Alltag und ihres komplementären Wirkungsgefü­ges bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen hinreichend bewußt sind, werden erkennbare Chancen ha­

ben bei der Einführung komplexer Trai­ningsprogramme und der Integration der unterschiedlichen Maßnahmen. Wenn man einer Organisation aus gutem Grunde zumutet, neben ‚organi­siertem, d.h. in diesem Fall stark me­thodisierten, zielorientierten und kon­trollierten Handeln in seinen Grenzen auch noch Handlungen und Erlebnissen Platz zu bieten, die alle Eigenarten na­türlicher Situationen haben sollen, müs­sen besondere Koordinationsleistungen vollbracht werden. Die eher program­mierbar ablaufenden pädagogischen und therapeutischen Handlungen müs­sen mit den schwer berechenbaren, impulsiven Handlungen und Erlebnis­sen unter einen Hut gebracht werden, ohne daß daraus Konflikte oder Wider­sprüche zwischen Personen oder Res­sorts einerseits oder totale Verplanung andererseits resultieren. Beides hätte unübersehbare Folgen für die Entwick­lung des Kindes.

2.2 Informationswesen und Koordination

Jede Binnendifferenzierung einer Ein­

richtung erfordert ein gewisses Maß an

Koordination der Teilaktivitäten(z.B.

Abstimmung von Therapie und Erzie­

hung), wie sie üblicherweise in Heimen

in Gruppenbesprechungen, Team- und

Hauskonferenzen stattfinden kann. Da­

zu gehört, daß in ausreichendem Maße

Schriftlichkeit gepflegt wird. Auf dieser

Grundlage läßt sich ein Informationswe­

sen schaffen, welches folgenden Zwek­

ken dient:

Hilfen zur Zielsetzung,, Planung, Koordination der Durchführung und Evaluation pädagogisch-therapeuti­scher Maßnahmen;

Informationssammlung zur Refle­xion pädagogisch-therapeutischer Handlungen;

Sammlung von handlungsregulie­render Information zur Vermeidung von Fehlhandlungen im pädago­gisch-therapeutischen Problemlö­sungsprozeß;

Sammlung von Dokumenten zur

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1986