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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Thomas Steinke: Die Einführung verhaltenstheoretisch orientierter Behandlungsmaßnahmen in die Heimerziehung am Beispiel des

Aggressionstrainings

tingent dem Kind gegenüber zu verhal­ten. Umgekehrt kann der Therapeut aus gelungenen erzieherischen Bemühun­gen am Einzelfall Informationen ziehen und Strategien entwickeln, die er sich ohne das Wirken der Erzieher erst müh­sam hätte erarbeiten müssen. Gemein­same Reflexion über die unterschiedli­chen zu koordinierenden Maßnahmen und konkretes gemeinsames Handeln von Therapeut und Erziehern sind Be­dingungen für die Integration eines nach verhaltenstheoretischen Konzepten ar­beitenden Therapeuten in die Heimer­ziehung.

Unter diesen Voraussetzungen ergeben sich folgende Möglichkeiten, Probleme und Vorteile verhaltenstheoretischer Therapieformen in der Heimerziehung:

® Diagnostik im gegebenen Sozialfeld

Diagnostische Erhebungen(in Form teilnehmender Beobachtung oder Ex­ploration in alltäglicher Umgebung) kindlichen Verhaltens können vom The­rapeuten selbst oder von anderen ge­schulten Fachkräften(Erzieher, Sozial­pädagoge) in den jeweiligen Handlungs­und Erlebnisfeldern des Kindes durch­geführt werden. Vor der Heimaufnahme geschieht dies sinnvollerweise im Eltern­haus(vgl. Goocher/Kanfer 1977, 168). Da nach der Aufnahme ein überwiegen­der Teil der kindlichen Verhaltenspro­bleme während des Tagesablaufs im Heim in bestimmten Situationen und in Verbindung mit bestimmten Personen auf­treten, lassen sich die konkreten Be­dingungen relativ genau erheben und analysieren(z.B. Überforderungsreak­tionen des Kindes bei der Hausaufga­benerledigung; körperlich aggressives Verhalten bei sportlichen Aktivitäten; Regelverletzungen und Instruktionsver­weigerung gegenüber Erziehern). Durch die Nähe des Beobachters zum alltägli­chen Geschehen, Problemzentriertheit und direkten Zugriff auf subjektiv be­deutsame Aussagen der Kinder und Ju­gendlichen in der realen Konfliktsitua­tion erhöht sich die Treffsicherheit the­rapeutisch-diagnostischer Daten. Die

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1986

Überprüfbarkeit der Indikationsstellung und die Kontrollierbarkeit der Thera­pieeffekte verbessert sich dadurch eben­falls.

Von besonderer Bedeutung ist dabei, daß innerhalb dieses Rahmens unter­schiedliche Medien für die Datenauf­nahme benutzt werden können, die den situativen Bedingungen angepaßt sind. Fricke(1980) konnte Video-Aufnahmen von Heimkindern in Konfliktsituationen im Gruppenalltag anfertigen, in denen das betreffende ‚Trainingskind eine ag­gressive Auseinandersetzung mit einem anderen Gruppenmitglied hatte. Außer­dem gelang es ihm, standardisierte Beo­bachtungsbögen anzuwenden und Ad­hoc-Beobachtungen zu dokumentieren, die zur Analyse des symptomatischen Kindverhaltens ausreichende Informa­tionen zutage förderten. Es ist u. E. sinn­voll, unabhängige Messungen durchzu­führen(Beobachtungen in ‚natürlichen und in vorgegebenen Situationen; Ver­haltenseinschätzungen durch Erzieher; Fragebogen für Drittpersonen, wie z. B. Klassenlehrer; Tests und subjektive Äu­ßerungen des Kindes/Jugendlichen), da sich dadurch die Genauigkeit der Analy­se des Problemverhaltens erhöhen läßt.

® Problem- und Lösungstransfer in den Handlungs- und Erlebnisfeldern

Ein bedeutsamer Vorteil therapeuti­scher Bemühungen in der Heimerzie­hung ist die Nähe des Therapeuten zum Kind und seiner Lebenswirklichkeit. Dort werden für ihn direkt Probleme in den Handlungsvollzügen des Kindes und Reaktionen der Bezugspersonen ersicht­lich. So kann es dem Therapeuten gelin­gen alltägliche und erzieherische Proble­me zum Gegenstand der Therapie zu machen(vgl. Abb. 3 Problemtransfer aus ‚Alltag und ‚Erziehung in die Thera­pie), indem er gemeinsame Erlebnisse in der Therapie direkt thematisiert oder die Kinder dies von sich aus tun. Fricke be­richtet hierzu:

Darüber hinaus erzählen die Kinder in jeder

Trainingssitzung eigene Streitgeschichten, bei denen ein Bezug zu ihrer realen Alltagssi­

tuation ohnehin gegeben ist. Dadurch, daß nicht nur vom Trainer vorgegebene Konflikt­situationen bearbeitet werden, soll die Eigen­beteiligung und Motivation der Kinder zur Entwicklung von alternativen Problemlö­sungsstrategien erhöht werden. Es wird er­wartet, daß die Kinder das Training im Lau­fe der Zeit als einForum betrachten, in dem sie lernen können eigene Probleme und Konflikte sozial angemessen zu bewältigen (Fricke 1980, 202 f.).

Dies erleichtert dem Kind seine Proble­me in die Therapie und dort erarbeitete Lösungen in seinen gewohnten Lebens­raum zu transferieren(vgl. Abb. 3 Lö­sungstransfer aus ‚Therapie in den ‚All­tag). Zudem kann sich in gemeinsamen außertherapeutischen Handlungen von Therapeut und Kind überhaupt erst die Basis für Verhaltensänderungen, näm­lich zunehmendes gegenseitiges Verste­hen und Vertrauen entwickeln. Dies ist besonders bedeutsam für die Therapie mit Kindern und Jugendlichen, die häu­fig keinen ‚Leidensdruck zeigen und professionellen Helfern teils verständ­nislos, teils sogar ablehnend gegenüber­stehen. Allerdings muß der Therapeut durch seine Persönlichkeit und Aus­strahlung in der Lage sein ein ‚echtes und motivierendes Vorbild(‚Modell) für Kinder und Jugendliche darzustel­len. Zudem erscheint es ratsam ihn in den Dienstplan der übrigen Mitarbeiter einzufügen, um auch die notwendige Er­wartbarkeit seiner Präsenz in den ver­schiedenen Handlungs- und Erlebnisfel­dern sicherzustellen. Aggressive Kinder und Jugendliche arbeiten nach unseren Erfahrungen in der Therapie meistens dann engagiert mit, wenn sie dort mit möglichst realen Problemen konfron­tiert werden, die ihrer eigenen Lebens­wirklichkeit ähneln. Wenn es dem The­rapeuten gelingt sie mit Problemge­schichten zu konfrontieren, die aktuell sind und vielleicht sogar in Verbindung mit anderen Teilnehmern der Gruppe stattgefunden haben und vielleicht sogar noch ungeklärt sind, kann es in einer At­mosphäre gegenseitiger Akzeptanz ge­lingen die kognitiven und verhaltensmä­Bßigen Voraussetzungen für bessere Kon­fliktlösungen zu erarbeiten. Fricke be­nutzte hierzu Video-Aufnahmen aus all­

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