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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Sozial unsichere Kinder

Konzeption und Evaluation eines

Behandlungspaketes

Von Ulrike Petermann und Birgit Röttgen

Der Artikel behandelt die lerntheoretischen Grundla­gen der Entwicklung von sozialer Unsicherheit im Kin­desalter. Es wird gezeigt, in welcher Form das Konzept von Martin Seligman(erlernte Hilflosigkeit) die viel­fältigen Erscheinungsformen von sozialer Unsicherheit erklären und einen verhaltensmodifikatorischen An­satz im Umgang mit Unsicherheit begründen kann. Die Interventionsschritte mit den Kindern werden beschrie­ben, und die Bemühungen der Elternarbeit werden aus­geklammert. Im Blickpunkt des Artikels stehen Überle­gungen zur Effektkontrolle komplexer Behandlungs­programme. Am Beispiel von sechs Kindern wird die einzelfallbezogene Versuchsplanung und Effektkon­trolle demonstriert. Auf Probleme der Generalisierung von Behandlungseffekten und die langfristige Wirkung eines solchen Behandlungspaketes wird eingegangen.

On the background of learning in family, the develop­ment of unassertive behavior in childhood is discussed. The paper demonstrates Martin Seligmanslearned helplessness explaining different forms of unassertive­ness. Behavior modification with children reduced the effects of unassertiveness. Only the directive interven­tion with children is discussed(not the parents counse­ling). An important topic of the paper deals with eva­Iuation of complex treatments. Single-case design and evaluation are demonstrated with six unassertive chil­dren. Generalization of complex treatment and long­term effects are discussed.

1. Einleitung

Das nachfolgend vorgestellte Behand­lungspaket besteht aus zwei unter­scheidbaren, aber in ihrer therapeuti­schen Bedeutung und Wirkung eng mit­einander verzahnten Teilen, einem ziel­gerichteten Kindertraining und der be­gleitenden Eltern- und Familienarbeit. Unter einer familienbezogenen Inter­vention soll ein Vorgehen verstanden werden, wie es Drescher in diesem Band darstellt. Eine solche Beratung der El­tern unsicherer Kinder unterscheidet sich nur unwesentlich von der mit ag­gressiven Kindern, da die Erziehungs­haltungen bei Eltern verhaltensgestörter Kinder weitgehend unabhängig von der konkreten Symptomatik sind(vgl. Hauck, 1979). Wir klammern aus diesem Grund die Darstellung der Elternarbeit

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1986

aus und verweisen auf Drescher in die­sem Band und spezielle Ausführungen in U. Petermann(1986). Damit verfolgt die Arbeit einen störungspezifischen Ansatz, der davon ausgeht, daß beim Kind Defizite in Form mangelnder Fer­tigkeiten vorliegen und von daher ein ge­zieltes therapeutisches Arbeiten mit dem Kind erforderlich ist.

Sozial unsicheres Verhalten wird oft auch als gehemmt, ängstlich, sozial iso­liert, schüchtern, kontaktscheu u.ä. be­zeichnet. Analysiert man dieses Verhal­ten systematisch, so lassen sich minde­stens neun Kategorien sozial unsicheren Verhaltens finden. Im verbalen Bereich können folgende Verhaltensweisen aus­geprägt sein:(1) Ein Kind erzählt nichts, fragt nichts.(2) Ein Kind spricht undeut­lich, zu leise, antwortet nur mit Ja/Nein u. a.(3) Ein Kind zeigt eine stotterähnli­che Sprechweise.

Hinsichtlich des nonverbalen Bereichs läßt sich unterscheiden:(4) Ein Kind hat Tränen in den Augen oder weint.(5) Es schaut unsicher umher, kann keinen Blickkontakt halten u. a.(6) Ein Kind hat zittrige Hände, spielt nervös mit den Fingern u.ä.(7) Ein Kind bewegt sich nicht von einer Stelle oder zeigt eintöni­ge, wiederkehrende Körperbewegun­gen.

Hinsichtlich des Sozialbereiches und So­zialkontaktes kann beobachtet werden: (8) Daß ein Kind sich alleine keinem Spiel zuwendet, nicht konsequent ein Interesse oder Hobby verfolgt(oder ge­nau umgekehrt nur alleine spielt und ei­nem Hobby nachgeht), soziale Ver­pflichtungen z.B. in der Familie und Schule verweigert u.a.(9) Ein Kind schließt sich keinem anderen Kind oder keiner Kindergruppe an, verweigert so­ziale Aufforderungen bzw. Sozialkon­

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