5. Empirische Ergebnisse
Die Verlaufsanalysen erfolgen für jedes Kind getrennt anhand von 3 bis 4 ausgewählten Verhaltensdefiziten und den beiden Zielverhaltensweisen. Für alle Kinder war das Zielverhalten identisch (sich selbstbehaupten, eigenständige Aktivitäten unternehmen); es wird aus diesem Grund nicht separat in Tabelle 2 aufgeführt.
Die angenommenen Effekte werden für jede Phase des Trainings in einer zweidimensionalen Kreuzklassifikationstabelle spezifiziert. Für jede Phase und jedes Kind müssen hierzu die globalen Verlaufsannahmen des Abschnittes 3 detaillierter formuliert werden(vgl. Röttgen, 1983, S. 191 ff.). Wir wenden eine multivariate Kreuzklassifikationsanalyse an; es handelt sich um die sogenannte „DEL-Analyse” nach Hildebrand et al. (1977; hier in einer einzelfallstatistischen Version angewandt, wie sie F. Petermann, 1982, vorschlug). Dieses statistische Verfahren möchte präzise Verlaufsvorhersagen aufstellen und mit Hilfe des sogennanten„DEL-Maßes” auf Signifikanz überprüfen. Das DEL-Maß kann man als den Prozentsatz definieren, mit dem man eine Verhaltensvorhersage verbessert, wenn man der Hypothesentestung eine detaillierte Verlaufsannahme zugrundelegt. So besagt z.B. ein DEL-Wert von 0,61 in Tabelle 2, daß sich die Verhaltensvorhersage durch die detaillierte Verlaufsannahme in ihrem Fehlerausmaß um 61% gegenüber einer Zufallsvorhersage verringern würde. Das DEL-Maß kann dabei Werte von„ Unendlich” bis„+ Eins” annehmen. Die DEL-Analyse benötigt lediglich Nominalskalen(hier: Fünferabstufungen im Beobachtungsbogen) und besitzt den Vorteil, daß bestimmte theoretische Erwartungen an die Daten apriori formuliert werden müssen und daß das jeweilige DEL-Maß für die daraus resultierende Struktur der Kreuzklassifikationstabelle„maßgeschneidert” werden kann (vgl. die Details in F. Petermann, 1982). Die nachfolgende Tabelle enthält nur die minimal notwendigen Kennwerte der DEL-Analyse: den DEL-Wert und
56
die Signifikanzangabe(alpha-Niveau). Darüber hinaus werden die Gesamtzahl der Beobachtungen angegeben und die teilweise von Kind zu Kind unterschiedlichen Verhaltensdefizite kurz aufgrund der Kategorien des Beobachtungsbogens benannt.
Die Ergebnisse in Tabelle 2 belegen die positiven Effekte des Trainings mit sozial unsicheren Kindern. Lediglich bei Kind 5 traten erheblich verzögerte Effekte auf, so daß das Einzeltraining unmittelbar keine Wirkung zeigt und die erwarteten Effekte erst in der Ausblendungsphase— nachdem Motivationsprobleme in der Elternarbeit beseitigt wurden— zu Buche schlugen. Generell, so auch bei Kind 5, konnte die experimentelle Variation des Behandlungsplanes in der Ausblendungsphase nicht die gewünschte Wirkung(= das Nachlassen der Trainingseffekte) belegen. Offensichtlich illustriert die Ausblendungsphase eher eine Stabilisierung der positiven Trainingserfolge als die postulierte Abschwächung. Dieser Effekt läßt sich als generelles Phänomen mit der Überlappung von Kindertraining und Elternarbeit erklären. Diese Konfundierung der Effekte war zu erwarten, da man aus ethischen Gründen die Elternarbeit als kontinuierlichen Prozeß begreifen kann, der eine Ausblendung der Beratung verbietet.
Erwartungsgemäß hoch fällt der Einfluß des Gruppentrainings aus. Dieses eindeutige und über alle Kinder in vergleichbarem Maße zu beobachtende Ergebnis kann als gelungener Replikationsversuch des Trainings angesehen werden, der frühere Befunde stützt(vgl. U. Petermann, 1982).
In der Arbeit von Overdieck(1984) wurden die Eltern der beobachteten Kinder ebenfalls gebeten, tägliche Urteile über ihr Kind abzugeben. Auf diese Weise kamen zwischen 95 und 125 tägliche Einschätzungen(je nach Länge des Trainings) zusammen, wobei die Reliabilität dieser Urteile vorsichtig bewertet werden muß, da die wiederholte Einschätzung auch zu sozial erwünschten Antworten führen kann. Da die erzielten Elternurteile jedoch eine ausreichende
Ulrike Petermann/Birgit Röttgen: Sozial unsichere Kinder— Konzeption und Evaluation eines Behandlungspaketes
Tab. 2: Übersicht über die Effekte des Trainings mit sozial unsicheren Kindern. Abkürzungen:
GST= Gesamttrainingseffekt,
ET= Einzeltrainingseffekt,
AB= Effekt der Ausblendungsphase,
GT= Gruppentrainingseffekt,
N= Anzahl der Beobachtungen;
es wurde eine Adjustierung des Alpha-Niveaus bei der Signifikanztestung vorgenommen, s bzw. ns geben an, ob ein Effekt auf dem 5%-Niveau signifikant ist.
Kind 1
Verhaltensdefizite:(2) Sprechen,(5) Gesichtsausdruck,(6) Körperausdruck und(9) Sozialkontakt
Effekte: GST: DEL= 0,61s N=48 EI: DEL= 0,235 AB:.-DEL= 0,185 GT:-DEL=-0985s
Kind 2
Verhaltensdefizite:(1) Still sein und(2) Sprechen
Effekte: GST:.. DEL= 0,62 ss: N=54 EI: DEL= 0,76s AB: DEL=-0,47 ns GT: DEL=-0955
Kind 3
Verhaltensdefizite:(1) Still sein,(2) Sprechen und(5) Gesichtsausdruck
Effekte: GST: DEL= 0,60s N=—48 ET:-DEL=-0,6715s AB: DEL= 0,06 ns GT: DEL=- 0,885
Kind 4
Verhaltensdefizite:(1) Still sein,(2) Sprechen und(9) Sozialkontakt
Effekte: GST: DEL= 0,44s N=57 ET: DEL= 0,B3s AB: DEL= 0,12 ns GT:. DEL= 0,795
Kind 5
Verhaltensdefizite:(2) Sprechen,(8) Tätigkeiten und(9) Sozialkontakt
Effekte:..-GST::. DEL= 0,50.s N=31 ET: DEL= 0,04 ns AB: DEL=-0,16 ns GT: DEL=" 0,85s
Kind 6
Verhaltensdefizite:(2) Sprechen,(8) Tätigkeiten und(9) Sozialkontakt
Effekte: GST: DEL= 0,59s N=48 ET: DEL= 0,49s AB: DEL=-0,17 ns GT: DEL= 0955
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1986