Buchbesprechungen
der Abhängigkeit von christlichem Gedankengut würde dem Entwurf Haeberlin’s noch mehr Transparenz und Tiefe verleihen.
— Haeberlin hebt die Allgemeingültigkeit eines heilpädagogischen Menschenbildes an vielen Stellen des Buches hervor. Dieser Ansatz sichert die Gleichwertigkeit des behinderten Menschen, ist aber eigentlich erst dann konsequent zu Ende geführt, wenn auch das Behindertsein in diesem allgemeinen Menschenbild seinen Platz und seine Bedeutung zugewiesen bekommt. Sicherlich genügt es nicht, mit Haeberlin einfach festzustellen:„Daß wir die Frage nach der Bedeutung von Behindertsein überhaupt stellen, zeigt, wie wir selbst in unserer Vermenschlichung zurückgeblieben und ‚behindert sind”(97). Dieser Ansatz übersieht den existentiellen Ernst des Behindertseins und die Notwendigkeit, mit der Behinderte selbst nach dem Sinn ihres Behindertseins fragen. Mit Haeberlin ist also zu fordern: Kein spezielles Menschenbild für Behinderte. Über Haeberlin hinaus ist es wichtig, nach einem Menschenbild zu suchen, in dem Behindertsein(in einer noch näher zu bestimmenden Form) für alle Menschen von grundlegender Bedeutung ist,(erste Ansätze auf S. 18). — Wichtig wäre es auch, ausführlicher zu überlegen, welche Konsequenzen sich aus dem von Haeberlin entworfenen Menschenbild für das Verständnis und die Erziehung behinderter Menschen ergibt. Vielleicht werden die wenigen Hinweise, die das Buch enthält, im 3. Band der Einführung in die Heilpädagogik („Heilpädagogische Handlungsfelder”) genauer behandelt.
Diese kritischen Anmerkungen zeigen, wie anregend Haeberlin’s Buch ist. Mit besonderem Gewinn dürfte es von berufserfahrenen Heilpädagogen gelesen werden. Sie begreifen wohl am ehesten, daß es hier nicht nur um feinsinnige Theorie, sondern um ausgesprochen praxisrelevante Überlegungen und um die Aufforderung zum Engagement des Heilpädagogen für bessere demokratische Verhältnisse geht. Diese politische Dimension heilpädagogischen Han
62
delns wird von Haeberlin— ähnlich wie in Band 1 seiner Einführung— immer wieder unterstrichen. Sie bildet das Gegengewicht zu der von ihm so stark herausgearbeiteten personbestimmten Identität. Daß beide— sozialbestimmte und personbestimmte Identität— zusammengesehen werden müssen, das ist die eigentliche Grundbotschaft von Haeberlin’s Menschenbild für die Heilpädagogik.
Wolfgang Broedel, Sachseln(Schweiz)
(Allgemeine Heil- und Sonderpädagogik: Grenzbereich Psychologie) Petermann, Franz: Psychologie des Vertrauens. 143 Seiten. 1985. DM 34,—. Otto Müller Verlag, Salzburg.
Der Verfasser des vorliegenden Buches will die„zwischenmenschlichen Aspekte von Vertrauen und die Herausbildung von Vertrauen in den Vordergrund stellen”. Es werden sowohl über theoretische und empirische Ergebnisse der Vertrauensforschung berichtet als auch Versuche unternommen, eigene Überlegungen zu systematisieren. Von 1982 bis 1984 haben der Verfasser und Mitarbeiter zwei Beobachtungsverfahren zur Erfassung von Vertrauen erprobt, über deren Aussagekraft zwei empirische Studien berichten. In diesen Studien werden Erwachsenen-Kind-Interaktionen im Alltag und Arzt-Kind-Interaktionen in der Klinik analysiert.
Die 8 Abschnitte des Buches haben folgende Überschriften:
Einleitung(Begriffsbestimmung und Zielsetzung der Untersuchungen); Erfassung von Vertrauen(Fragebögen, das Gefangenen-Dilemma-Spiel); Empirische Befunde(Entwicklung von Vertrauen, Vertrauen als Persönlichkeits-, Situations- und Beziehungsvariable); Indikatoren für vertrauensvolles Verhalten (Verhaltensbeobachtung, Interaktionsbögen); Vertrauen in Beziehungen: Eigene Forschungsergebnisse(Erwachsenen-Kind-Interaktion im Alltag, ArztKind-Interaktion in der Klinik); Präzisierung des Begriffes Vertrauen(Einfüh
lungsvermögen,_Selbstwirksamkeit); Handlungsrichtlinien zum Aufbau von Vertrauen in der Kinderpsychotherapie. Am Schluß stehen ein Literaturverzeichnis und ein Sachwortregister.
(Allgemeine Heil- und Sonderpädagogik — Nachbardiziplin Pädagogik)
Schraag, Manfred: Schüler motivieren. Konzepte, Modelle und Anwendungsbeispiele für lernschwache Kinder. 119 Seiten mit zahlreichen Tabellen, Übersichten und Abbildungen.(2. Aufl.) 1984. DM 29,—.(Reihe Unterrichtspraxis) Verlag Dürrsche Buchhandlung, Bonn/Bad Godesberg.
Das vorliegende Buch vermittelt für Lehrer aller Schulstufen und für Sonderschulpädagogen wertvolle Informationen zum Problem der Motivation; der Schwerpunkt liegt aber auf der Übertragung der theoretischen Forschungsergebnisse in Unterrichtsbeispielen. Motivation bzw. Motivieren wird verstanden als Motiviert-Sein für etwas; Interessiert-Sein an etwas; Staunen, Ergriffensein von etwas; Hinter-ein-Problemkommen-wollen.
Die Hauptkapitel haben folgende Überschriften: Befragung von Theorien zur Motivation für eine Konzeption von Unterricht; Unterrichtsmodelle für die Schule für Lernbehinderte unter besonderer Berücksichtigung des motivationalen Aspekts; Ideensammlung zur Motivierung von Schülern im und durch Unterricht. In einem„Ausblick am Schluß des Buches heißt es u. a., daß die Motivation der Schüler selbstverständlich in Wechselwirkung zur Motivation des Lehrers zu sehen ist.
Das Literaturverzeichnis nennt alle wesentliche pädagogische, psychologische und soziologische Literatur zum Problemkreis Motivation.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1986