Jürgen Gössel: Zur Frage der primären Prävention in der(Sprach-)Behindertenpädagogik
reichend angegangen werden.
Obschon z. B. in BW die Sprachstörung in Verbindung mit einer gefährdeten bzw. beeinträchtigten Gesamtentwicklung gesehen wird und eine enge Zusammenarbeit mit Medizinern, Psychologen etc. vorgesehen ist, kann diese Art der therapeutischen Betreuung nicht als „ganzheitlich” angesehen werden. Sie führt trotz der Erkenntnis der Bedingungszusammenhänge-„die Sprachbehinderung ist nicht isoliert zu sehen” (Ministerium für Kultus und Sport BW 1971, 17)- zu einer mehr oder weniger symptomorientierten Förderung und einer damit in Verbindung stehenden Teilung der jeweiligen Zuständigkeit, d.h. aber somit auch zu einer Betreuung additiven Charakters versus notwendiger ganzheitlicher Maßnahmen, die von interdisziplinärer und teamgebundener Betreuung ausgehen müssen(Gössel 1986, 124 ff.).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die in den Konzeptionen der meisten Bundesländer zur Regelung
der Früherfassung und-förderung (sprach-)behinderter und von(Sprach-)Behinderung bedrohter Kinder beabsichtigten Maßnahmen den in dieser Arbeit dargestellten theoretischen Überlegungen und daraus sich ergebenden Forderungen und Notwendigkeiten kaum bzw. nur ansatzweise gerecht werden können. Die Inhalte der jeweiligen Richtlinien sind durch unterschiedliche ministerielle Zuständigkeit schon vorgeprägt, wobei entsprechende Maßnahmen fast ausschließlich auf den Elternbereich bzw. unmittelbaren Vorschulbereich beschränkt sind. Ansätze für die Möglichkeit einer Tätigkeit im Frühbereich, vor allem im Sinne einer primären Prävention sind kaum gegeben.
Die Praxis der Früherfassung und-förderung am Beispiel BW
An Hand einer empirischen Untersuchung sollte ein gemäß den kultusmini
Meldungen der Kinder durch Öffentlichkeitsarb.(Eltern), allg. Kinderg., Ärzte, Gesundheitsamt, and. Beratungsst., u. ä.
AN
Beratungsstelle für Sprachbehinderte
Diag!
nostik
u. a. durch Einholen and. Untersuchungen(Fachärzte etc.)
Beratung der Eltern
Beratung u. Anleitung der Eltern genugt
Sonderschulkindergarten Hausfür Sprachbehinderte besuche
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1988
steriellen Erlassen und Richtlinien am fortschrittlichsten geregeltes Konzept zur„Früherfassung und-förderung sprachbehinderter Kinder”(vgl. Ministerium für Kultus und Sport BW 1971; 1980 a; 1980 b; 1982; 1984) dahingehend untersucht werden, inwieweit die dargestellten Mängel in der Verwirklichung dieser Verwaltungsvorschriften, d.h. in der Praxis, ebenfalls anzutreffen sind. Hierzu wurde ein Fragebogen an sämtliche 88 Beratungsstellen in BW verschickt, um unterschiedliche Daten und Zahlen für den Zeitraum 15. 10. 1980 15. 10. 1981 zu erhalten. Diese Beratungsstellen sind aus historischen Gründen in der Mehrzahl an Sonderschulen für Lernbehinderte sowie an jeder Sonderschule für Sprachbehinderte(im folgenden als SOL bzw. SOS bezeichnet) eingerichtet und werden ausschließlich von Sonderschullehrern mit Studienschwerpunkt„Sprachheilpädagogik” im Hauptfach bzw. Nebenfach(im folgenden als H bzw. N bezeichnet) geleitet. Die nebenstehende schematische Darstellung soll das Konzept zur Früherfassung und-betreuung sprachbehinderter Kinder in BW verdeutlichen(Gössel 1984, 189):
Aus ökonomischen Gründen wurde der 0o.a. Erhebungszeitraum der jährlich vom Beratungsstellenleiter zu erstellenden Statistik angeglichen. Hierdurch wurde eine Rücklaufquote von 64,8% (57) der Fragebögen erreicht, die alle in die Untersuchung mit aufgenommen wurden. Die zur Verfügung stehenden Daten wurden mit Hilfe unterschiedlicher Statistischer Verfahren auf dem 1% und 5% Niveau überprüft. Hierbei wurde nach drei Bereichen differenziert: a) Erfassung b) Förderung c) Persönliche Einstellung der Beratungsstellenleiter, wobei bei den Bereichen Erfassung und Förderung die Einteilung in zwei Altersbereiche(0-3 bzw. 3-6 Jahre) trotz der eingangs erwähnten Bedenken berücksichtigt wurde, da sie der gängigen Praxis an den Beratungsstellen entspricht.
Im folgenden sollen einige der Untersuchungsergebnisse, die die gravierendsten Mängel der Früherfassung und-för
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