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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Jürgen Gössel: Zur Frage der primären Prävention in der(Sprach-)Behindertenpädagogik

det. Die von Ärzten gegenüber El­tern erteilten Ratschläge wurden von über 40% der Beratungsstellenleiter häufig beobachtet(5-teilige Rang­skala vonNie bisSehr häufig).

Öffentlichkeitsarbeit wurden von al­len Beratungsstellen durchgeführt und zwar in unterschiedlicher Form. Hierbei zeigen einzelne Ergebnisse, daß Vorträge vor Ärzten wenig effek­tiv waren.

Zum Bereich der Förderung:

Wenn in diesem Abschnitt Aussagen

über die Förderung(sprach-)behinder­

ter und von(Sprach-)Behinderung be­drohter Kinder getroffen werden, so be­trifft dies ausschließlich die Förderung durch einen Sprachheilpädagogen ent­weder im Rahmen der Ambulanz oder des Kiga S(Sonderschulkindergarten für

Sprachbehinderte). Weitere Berufsgrup­

pen können in BW in diesem Bereich ­

bis auf private Einrichtungen- nicht tä­tig werden.

- Die als Förderung bezeichnete Be­treuung 0-3jähriger Kinder- ver­mutlich in Form einer wiederkehren­den Beratung- findet nur in ver­schwindend geringem Maße statt, nämlich bei 60 Kindern- gegenüber 1951 Kindern im Alter von 3-6 Jah­ren.

- Eine Hausbetreuung konnte nur an einer Beratungsstelle mit einer Stun­de nachgewiesen werden.

- Ein hoher Prozentsatz schwer (sprach-)gestörter bzw. hiervon be­drohter Kinder im Alter von 0-3 Jah­ren konnte innerhalb des Erhe­bungszeitraumes, d.h. eines Jahres keiner therapeutischen Betreuung zugeführt werden. So waren es z. B. 54,2% der als sprachentwicklungsbe­hindert bezeichneten Kinder und 25% der Kinder mit Anomalien.

- Während die Wartezeit leichterer Sprachauffälligkeiten, d.h. bis zur Aufnahme in eine Ambulanz im Schnitt 10,9 Wochen beträgt, müs­sen schwerer(sprach-)behinderte Kinder bis zur Aufnahme in einen Kiga S durchschnittlich nahezu ein

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halbes Jahr warten. Dies verweist auf eine fehlende Anzahl von Kiga S bzw. Gruppen in bestehenden Kiga S.

- Hinsichtlich der Liste der Kinder, die auf eine therapeutische Betreuung warten, besteht ein Stadt-Land-Ge­fälle.

- Das Durchschnittsalter bei Therapie­

beginn organisch geschädigter Kin­der beträgt 4,1 Jahre, das nichtorga­nisch geschädigter Kinder 4,8 Jahre. Hierbei sind signifikante bzw. hoch­signifikante Unterschiede zwischen Hund N feststellbar. So zeigen H ge­nerell bessere Werte als N, bei denen das Durchschnittsalter des Therapie­beginns nichtorganisch geschädigter Kinder sogar erst bei einem Alter von 5,2 Jahren lag(p< 0,01). Die Ur­sache dieser schon zuvor genannten zu späten Erfassung als auch Förde­rung ist u.a. sicherlich in Zusam­menhang zu sehen mit der Ansicht von 83,3% der Beratungsstellenleiter hinsichtlich einer sie selbst betreffen­den ungenügenden Ausbildung für den Bereich der 0-3jährigen Kinder. Hierzu zählen aber auch die mangel­haften Kenntnisse von Medizinern hinsichtlich des Spracherwerbs bzw. der die Sprachentwicklung bedin­genden Faktoren sowie der u. a. hier­aus resultierenden Praxis der Kon­taktaufnahme mit einer Beratungs­stelle. Weitere Variablen- wie die Anzahl der zur Förderung zur Verfügung stehenden Lehrerstunden, lange Wartelisten etc. sind nach Ansicht des Verfassers dagegen sekundäre Ursachen dieser späten Förderung, da diese erst nach einer Erfassung und damit einhergehenden Differen­tialdiagnostik wirksam werden.

Zur persönlichen Einstellung der Bera­

tungsstellenleiter:

- Eine Förderung vor dem 4. Lebens­jahr wird von über 50% der Bera­tungsstellenleiter befürwortet.

- Über 85% der Beratungsstellenleiter befürworten- nach vorheriger ent­

sprechender Ausbildung- die Über­nahme der Therapie leichterer (Sprach)-auffälligkeiten durch Kin­dergärtnerinnen.

- Nach Ansicht von über 77% der Be­ratungsstellenleiter sollten noch wei­tere Berufsgruppen wie Psycholo­gen, Mediziner, Heil- und Sozialpäd­agogen im Rahmen der Erfassung und Förderung(sprach-)behinderter und von(Sprach-)Behinderung be­drohter Kinder an der Beratungsstel­le tätig sein.

- Obwohl das Konzept derFrüherfas­sung und Frühbetreuung sprachbe­hinderter Kinder in BW als rich­tungsweisend angesehen wird(Teu­mer 1978, 12) und von der Deut­schen Gesellschaft für Sprachheil­pädagogik e.V.(vgl. Teumer 1978, 12) eine bundesweite Durchsetzung angestrebt wird, sind nahezu 59%, d. h. also die überwiegende Mehrheit der Beratungsstellenleiter der An­sicht, daß dieses Konzept einer drin­genden Änderung bedarf.

Interpretation und Schlußfolgerungen

Die hier aus einer Untersuchung der Praxis an denBeratungsstellen für Sprachbehinderte in BW angeführten wesentlichsten Ergebnisse müssen in den Kontext einer in Fachkreisen unbe­strittenen Notwendigkeit früher Hilfen ­hier vor allem einer, wenn auch in eini­gen Bereichen noch nicht ausreichend erforschten primären Prävention des an­gesprochenen Personenkreises ein­geordnet werden.

Hiermit ist keine- wie mancher Kritiker meint-Sprachförderung beim Säug­ling beabsichtigt, sondern die Beach­tung und Förderung der im Zusammen­hang mit dem Spracherwerb bzw. der Sprachentwicklung stehenden bereits beeinträchtigten Faktoren, um eine dro­hende schwere Sprachbehinderung von vornherein zu mildern oder nicht auf­

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