C. Klicpera und S. Schachner-Wolfram: Entwicklung der Lesefähigkeit während des ersten Schuljahres
wurden, bestand ein signifikanter Unterschied zwischen jenen Aufgaben, in denen die Kinder Sätze zu lesen hatten, die sie bereits vom Lesebuch her kannten, und jenen Aufgaben, in denen bekannte Wörter zu neuen Sätzen zusammengestellt waren(F(1,20)= 6.5; p< 0.001). Auch der Einfluß des Testzeitpunktes auf die Fehlerhäufigkeit war signifikant (F(4,20)= 6.5; p< 0.001), und zwar stieg die Anzahl der Fehler vom ersten zum zweiten Testzeitpunkt an und fiel dann deutlich ab. Es war aber auch die Interaktion zwischen Testzeitpunkt und Aufgabenart nahezu signifikant(F(4,20)= 1.9; p= 0.12). Der Unterschied zwischen den beiden Textarten war zu den ersten beiden Testzeitpunkten größer als zu den späteren Testzeitpunkten.
Die leseschwachen Kinder machten insgesamt bei beiden Aufgaben deutlich mehr Fehler als die gut lesenden Kinder (F(1,20)= 16.0; p< 0.001). Der Anstieg in der Fehlerzahl von vertrauten Sätzen zu bekannten Wörtern in neuen Sätzen war bei den leseschwachen Kindern aber viel stärker ausgeprägt als bei den guten Lesern und es kam daher zu einer signifikanten Interaktion zwischen Textart und Gruppenzugehörigkeit(F(1,20)= 10.7; p< 0.005). Auf Grund der nichtsignifikanten Interaktion von Gruppenzugehörigkeit und Testzeitpunkt kann man hingegen feststellen, daß die Unterschiede zwischen den Gruppen von Anfang an vorhanden waren.
Einfluß der Präsentationsform
Lesegeschwindigkeit: Beim Lesen bekannter und neuer Wörter in Listen bzw. Sätzen war zunächst ein starker Einfluß des Testzeitpunkts(F(3,15)= 30.3; p< 0.001) auf die Lesegeschwindigkeit festzustellen. Vom zweiten bis zum vierten Testzeitpunkt kam es zu einer deutlichen Zunahme der Lesegeschwindigkeit, während diese zwischen dem vierten und fünften Testzeitpunkt relativ stabil blieb. Daneben zeigten sich signifikante aufgaben-spezifische Einflüsse. So war der Unterschied in der Lesege
schwindigkeit von bekannten und neuen Wörtern signifikant(F(1,15)= 59.9; p< 0.001), ebenso die Interaktion zwischen der Wortart und dem Testzeitpunkt(F (3,15)= 12.45; p< 0.001). Die Lesegeschwindigkeit nahm über die Testzeitpunkte bei den bekannten Wörter stärker zu als bei den neuen Wörtern, so daß die Unterschiede in der Lesegeschwindigkeit zwischen Wörtern, die die Kinder schon in der Schule gelesen hatten, und den neuen Wörtern gegen Ende des Schuljahres sogar noch größer war als nach einigen Monaten Leseunterricht. Der Einfluß der Vorgabeform(Liste oder Satz) war hingegen nicht signifikant.
Der Vergleich der Lesegeschwindigkeit beim Lesen bekannter und neuer Wörter, die sowohl in Listenform wie als Sätze vorgegeben wurden, ließ zwar erneut Unterschiede zwischen den Gruppen der guten und schwachen Leser erkennen(F(1,15)= 4.1; p= 0.06), keine der Interaktionen zwischen der Gruppenzugehörigkeit und den aufgaben-spezifischen Einflüssen war jedoch in dieser Analyse signifikant.
Lesefehler: Für die Häufigkeit von Lesefehlern waren bei diesen Aufgaben ebenfalls sowohl der Testzeitpunkt(F (4,19)= 35.6; p< 0.001) wie Aufgabenspezifische Faktoren bestimmend. Die Fehlerzahl nahm insgesamt betrachtet vom ersten zum fünften Testzeitpunkt deutlich ab. Bekannte Wörter wurden von den Kindern deutlich sicherer gelesen als neue Wörter(F(1,18)= 27.2; p< 0.001), jedoch war auch die Interaktion zwischen der Wortart und dem Testzeitpunkt signifikant(F(4,19)= 27.4; p< 0.001). Zu allen Testzeitpunkten wurden bei neuen Wörtern mehr Fehler gemacht als bei bekannten Wörtern. Zum ersten und zweiten Testzeitpunkt war dieser Unterschied recht groß, während er später nur gering war. Die Fehleranzahl nahm also bei neuen Wörtern vom ersten bis zum dritten Testzeitpunkt deutlich ab. Bei bekannten Wörtern wurden hingegen auch schon zum ersten Testzeitpunkt relativ wenig Fehler gemacht. Vom ersten zum zweiten Test
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1988
zeitpunkt nahm die Fehlerzahl leicht zu, ab dem dritten Testzeitpunkt wurde dann eine immer geringere Anzahl von Fehlern gemacht. Ein Einfluß der Präsentationsform(Satz gegen Wortliste) auf die Fehlerhäufigkeit war nicht festzustellen, ebensowenig waren die Interaktionen der Präsentationsform mit einem der anderen Faktoren signifikant. Für leseschwache Kinder ließen sich in diesen Aufgaben nur erhöhte Schwierigkeiten nachweisen(F(1,18)= 6.7; p< 0.05). Die Interaktionen von Gruppenzugehörigkeit und aufgaben-spezifischen Faktoren waren ebensowenig signifikant wie jene mit dem Testzeitpunkt. Die Schwierigkeiten der leseschwachen Kinder waren also auch in dieser Analyse von Beginn des Schuljahres an nachweisbar und die Fehleranzahl der schwachen Leser blieb bei diesen Aufgaben kontinuierlich über dem Niveau der gut lesenden Kinder.
Diskussion
Die Anfänge der Leseentwicklung bestehen auch bei einem synthetischen Leseunterricht weitgehend in einem wortspezifischen Lesen. Die Kinder können also hauptsächlich jene Wörter sicher lesen, die ihnen aus dem Leseunterricht bekannt sind und deren Bedeutung ihnen vertraut ist. Selbst bei explizitem Unterricht der Graphem-Phonem-Korrespendenzen können neue Wörter zu Anfang nur zum Teil erlesen werden.
Nach dem Informationsverarbeitungsmodell kann dieses Stadium so charakterisiert werden, daß nur ein direkter Zugang von den Schriftbildinformationen zur Wortbedeutung ausgebildet ist. Nach etwa drei Monaten Leseunterricht (zum zweiten Testzeitpunkt) kommt es zu einer Veränderung des Leseverhaltens. In dieser Zeit lernen die Kinder, Buchstaben-Laut-Zuordnungen zum Erlesen von Wörtern zu verwenden. Dies führt zunächst dazu, daß die Lesefehler bei bekannten Wörtern ansteigen. Beim Lesen neuer Wörter treten zwar etwas weniger, aber immer noch recht
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