—— nt——————————————————————Py———————>———— Je C. Klicpera und S. Schachner-Wolfram: Entwicklung der Lesefähigkeit während des ersten Schuljahres; 2. Entwicklung des Leseverhaltens
sind dies bei dem geringen Umfang des Gelesenen häufig Wörter, die dem zu lesenden Wort wenig ähnlich sind. Beide Verhaltensweisen deuten darauf hin, daß die Kinder nur globale, ungenügend differenzierende Merkmale der schriftlichen Texte beachten. Später und zwar recht bald, bereits nach etwa drei Monaten Leseunterricht, ändert sich der Umgang der Kinder mit den zu lesenden Texten. Die Kinder beachten nun die Buchstabenzusammensetzung der Wörter in viel stärkerem Ausmaß.
Es hatte aber nicht nur der Testzeitpunkt einen Einfluß auf das Leseverhalten der Kinder, sondern auch die Art der von Kindern zu lesenden Wörter. So zeigten sich schon zum ersten Testzeitpunkt verschiedene Fehlermuster für bekanntes und neues Lesematerial. Bei bekanntem Lesematerial ist der Anteil an Fehlern, die aus anderen bekannten Wörtern bestehen und nur geringe Ähnlichkeit zum Zielwort aufweisen, sehr hoch. Dehnlesen und Murmeln wird zum Erlesen dieser Aufgaben kaum eingesetzt. Bekannte Wörter und Phrasen scheinen unter starker Zuhilfenahme des Gedächtnisses gelesen zu werden. Man kann auch sagen, es handelt sich nicht um ein Erlesen, sondern um ein Lesen auf Grund der Vertrautheit mit einer begrenzten Anzahl an Wörtern, um ein wortspezifisches Lesen. Neues Lesematerial bereitet den Kindern große Schwierigkeiten und wird sehr fehlerhaft gelesen. Hierbei weisen allerdings schon mehr als die Hälfte der Wortfehler große graphische Ähnlichkeit zum Zielwort auf, und es werden weit seltener bereits bekannte Wörter genannt. Dehnlesen und Murmeln werden in größerem Ausmaß zum Erlesen angewandt, und zwar wird bis Weihnachten bei neuen Wörtern und Buchstabenfolgen die Technik des Zusammenlautens bei fast jedem dritten Wort eingesetzt.
Die relativ frühzeitige Verwendung und der häufige Einsatz dieser Technik ist sicher ein Spezifikum eines synthetischen Erstleseunterrichts, bei dem auf die Verwendung dieser Technik großer Wert gelegt wird. Oft bedienen sich die Kinder dieser Technik allerdings nur für das Le
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sen von Wortteilen und nur selten um die ganze Buchstabenfolge zu lautieren und zusammenzuschleifen. Obwohl die Technik schon frühzeitig eingesetzt wird, ist sie aber anfangs kein großer Schutz vor Fehlern. Erst nach längerer Zeit, etwa nach drei Monaten Leseunterricht, nimmt die Fehlerzahl dann ab. Die Mitte des ersten Schuljahres scheint eine kritische Phase zu sein. Das bekannte Lesematerial ist nun zu umfangreich geworden, um auf Grund weniger wortspezifischer Merkmale eindeutig entziffert zu werden. Auch bei bekanntem Lesematerial nimmt nun die Anzahl an Fehlern zu. Die graphische Ähnlichkeit zum Zielwort steigt jedoch deutlich an und in mehr als 50% der Fehler werden nun falsche bekannte Wörter genannt, deren Ähnlichkeit zum Zielwort groß ist. In dieser Phase scheint neben der wortspezifischen Information die Buchstaben-Lautzuordnung mehr beachtet zu werden. Die graphische Ähnlichkeit zum Zielwort ist jetzt für alle Wortarten(bekannte, neue und Pseudowörter) ungefähr gleich hoch.
Ab dem dritten Testzeitpunkt scheint die Fähigkeit, neben wortspezifischen Kenntnissen auch Graphem-Phonem Korrespondenzen zum Erlesen zu verwenden(phonologische Rekodierung), erweitert zu werden. Die Lesefehler zeigen nun bei allen Wortarten relativ große graphische Ähnlichkeit. Der Anteil an Lesefehlern, bei denen ein falsches, aber vom Lesen bereits bekanntes Wort genannt wird, ist beim Lesen von Texten mit bekannten und neuen Wörtern nach wie vor hoch, was wohl dadurch bedingt ist, daß den Kindern nun vom Lesen her schon viele Wörter bekannt sind. Bei den Pseudowörtern, bei denen der Leser allein auf die phonologische Rekodierung angewiesen ist, werden nahezu kaum falsche, bekannte Wörter genannt. Die graphische Ähnlichkeit zum Zielwort ist hoch. Allerdings kommen beim Lesen von Pseudowörtern die meisten Fehler vor, und es zeigt sich, daß fehlerfreies sicheres Erlesen auf Grund der Buchstaben-Lautzuordnung allein bis zum Ende der ersten Klasse nur wenigen, sehr guten Lesern gelingt.
Der Anteil an Selbstkorrekturen bleibt über das Jahr relativ konstant, wobei zum ersten Testzeitpunkt bekanntes Lesematerial deutlich öfter selbst korrigiert wird als neues. Ab dem zweiten Testzeitpunkt werden bekannte und neue Wörter etwa gleich häufig, Pseudowörter deutlich seltener selbst korrigiert, was wohl mit der wachsenden Lesesicherheit zusammenhängt, die gegen Ende des Schuljahres für Wörter, aber nur beschränkt für Pseudowörter erreicht wird.
Die Lesefehler leseschwacher Kinder weisen über das ganze Schuljahr eine geringere graphische Ähnlichkeit mit den Zielwörtern auf als die Lesefehler gut lesender Kinder. Leseschwache Kinder benutzen graphische Informationen weniger und stützen sich beim Lesen auch nur gering auf Buchstaben-Lautzuordnungen. Sie bleiben im Ganzen länger dem wortspezifischen Lesen verhaftet. Der Übergang vom wortspezifischen Lesen zum Erlesen muß aber auch von leseschwachen Kindern mitvollzogen werden, da die Anzahl der im Leselehrgang enthaltenen Wörter bereits frühzeitig beträchtlich ansteigt. Dieser Übergang scheint jedoch gezwungenermaßen vollzogen zu werden und fällt den leseschwachen Kindern besonders schwer. Wohl zeigen auch leseschwache Kinder in der Mitte des Schuljahres ein Ansteigen der graphischen Ähnlichkeit zum Zielwort und ein selteneres Nennen eines falschen, aber bekannten Wortes. Diese Gruppe von Kindern lernt also ebenfalls die Buchstaben und die Buchstaben-Laut-Zuordnung zu beachten, ohne dies allerdings in ähnlichem Ausmaß nutzen zu können wie gute Leser. Die graphische Ähnlichkeit zum Zielwort ist bei Lesefehlern guter Leser in der zweiten Hälfte des Schuljahres deutlich größer als bei schwachen Lesern. Dies zeigt, daß schwache Leser auch weiterhin in größerem Ausmaß als gute Leser wortspezifisch lesen und zuwenig Buchstabeninformation verwenden. Der Vergleich des ausgesprochenen Wortes mit der Buchstabeninformation erfolgt nicht oder nur mangelhaft, was sich auch in dem geringeren Anteil
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1988