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Psychologische Intervention über Mediatoren Einführung in den Themenschwerpunkt
Von Meinrad Perrez
Das vorliegende Themenheft ist jenem Typ der psychologischen Hilfestellung an Kindern und Jugendlichen gewidmet, die sich nicht direkt an die unterstützungsbedürftigen Kinder, sondern an deren soziales Umfeld richtet. Das sogenannte Mediatorenkonzept hat in den letzten fünfzehn Jahren in der Psychologie, Heilpädagogik und Pädagogik in verschiedenen Ausgestaltungen weite Verbreitung und auch die Aufmerksamkeit der Forschung gefunden. In Anlehnung an Kessler und Roth(1980) kann man psychologische Interventionsmethoden nach dem Lokalisierungsschwerpunkt der therapeutischen Macht in Selbsthilfemethoden(“power to the person”), intermediäre Methoden(“power to the mediator””), Gruppenmethoden(“power to the group”) und expertenzentrierte Methoden(“power to the therapist””) gliedern. Psychologische Intervention via Mediatoren versucht, durch Delegation der Expertenmacht das unmittelbare Umfeld der Zielpersonen hilfstherapeutisch zu qualifizieren. Jene Personen sollen psychologisch ausgebildet bzw. therapeutisch betreut werden, die mit der störenden oder gestörten Person leben, und die oft auch selber Teil des Problems sind. Beispiele für psychologische Hilfestellung an Kindern durch deren Bezugspersonen finden sich im Rahmen der Psychoanalyse bereits bei S. Freud. Seine Falldarstellung der„Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben“ beginnt mit der Bemerkung:„Die auf den folgenden Blättern darzustellende Kranken- und Heilungsgeschichte eines sehr jugendlichen Patienten entstammt, streng genommen, nicht meiner Beobachtung. Ich habe zwar den Plan der Behandlung im ganzen geleitet und auch ein einziges Mal in einem Gespräch mit dem Knaben persönlich eingegriffen; die Behandlung selbst hat aber der Vater
des Kleinen durchgeführt...‘(Freud 1969, S. 13). In der modernen Psychotherapie stellt diese im Jahr 1909 veröffentlichte Fallgeschichte wohl die erste dokumentierte psychologische Intervention via Mediator dar. In der Gesprächspsychotherapie wurden durch Guerney (1964) Interventionsmethoden via Mediatoren entwickelt und evaluiert. Am fruchtbarsten war die Entwicklung des Mediatorenkonzeptes in den letzten zehn Jahren im Rahmen der Verhaltenstherapie, deren Bemühen sich dadurch charakterisieren läßt, ihre Interventionsideen durch Erkenntnisse der verschiedenen Teildisziplinen der Psychologie zu fundieren. Für die Intervention via Mediatoren erweisen sich die Verhaltenspsychologie, die Sozial- und Entwicklungspsychologie als besonders wichtige Grundlagendisziplinen.
Zur Einordnung der Beiträge dieses Themenheftes sei kurz auf die Funktionen, die Indikation und die theoretischen Grundlagen des Mediatorenkonzeptes eingegangen.
Zu den Funktionen: Die Funktionen dieser Interventionsmodalität decken das ganze Spektrum psychologischer Intervention ab. Zum Zweck der Verhütung von Störungen und zur erziehungspsychologischen Weiterbildung(Präventions- und Entfaltungsfunktion) sind zahlreiche Programme entwickelt worden, die Eltern und Erzieher in den angemessenen erzieherischen Umgang mit Kindern einführen. Alters- und risikogruppenspezifische Programme sind unterdessen erprobt worden. Der Beitrag von H. Schmid in diesem Heft gibt einen Überblick über die neueren Entwicklungen. Minsel und Quast berichten über eine Untersuchung, in der leichte Schlafstörungen von Kindern durch ein präventives Elterntraining behandelt worden sind. Die Studie von Köhle& Köh
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 3, 1988
le, die in der DDR durchgeführt worden ist, stellt ein jüngstes Beispiel einer Evaluationsstudie ‚von einem Präventionsprogramm vor. Mit dem Akzent der Entfaltungsfunktion wurde im letzten Jahr vom Psychologischen Institut der Universität Freiburg/Schweiz erstmals über den Schweizerischen Teletext ein mehrmonatiges_erziehungspsychologisches Programm für Eltern und Erzieher ausgestrahlt. Durch die Nutzung dieses technischen Mediums war das präventive Kursangebot mehr als einer Million Teletext-Benutzern prinzipiell zugänglich.
In ihrer zweiten Funktion bezieht sich psychologische Intervention via Mediatoren auf die Behandlung und Hilfestellung bei Störungen im engeren Sinn, In diesem Kontext ist die Idee der Verhaltenstherapie durch Mediatoren von Tharp und Wetzel(1969) entstanden. Die wichtigsten Bezugspersonen sollen durch die Veränderung ihrer Einstellungen und Reaktionsweisen befähigt werden, dem Klienten angemessene Entwicklungsbedingungen bereitzustellen.
Es lassen sich zwei allgemeine Indikationsbedingungen formulieren, die die Behandlung von Störungen bei Kindern über diese Interventionsform nahelegen: Der Einsatz des Mediatorenkonzeptes ist immer dann angezeigt, wenn 1. die am Problemverhalten des Kindes funktional beteiligten Personen, oder aber 2. für das Kind wichtige Bezugspersonen, obwohl sie am Problem nicht beteiligt sind, befähigt und motiviert werden können, an der Problemlösung mitzuwirken(vgl. Perrez et al. 1985, Kp. I). Die erste Bedingung empfiehlt immer dann, Mediatoren zum Hauptziel der Hilfestellung zu machen, wenn angenommen werden kann, daß diese Personen durch ihr Verhalten wesentlich die Aufrechterhaltung der Störung mitbedingen, vorausgesetzt, daß sie zur Mitarbeit zu bewegen sind.
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