Gerhard W. Lauth& Peter F. Schlottke- Unterstützung von Förderungsmaßnahmen durch Mediatoren
Hindernissen umzustrukturieren und Auswege zu entwickeln. Gleiches gilt für das Umgehen mit selbstentdeckten Fehlern im Verlauf der Bearbeitung. Hier sind von uns vermehrt„Vorwärtsstrategien‘ beobachtet worden, bei denen bestehende Regeln und/oder Ziele mißachtet oder umdefiniert wurden. Phänomene einer solchen unzureichenden Strategiebefolgung sind auch in systematischen, empirischen Arbeiten belegt, bei denen der Vergleich des Planungsverhaltens zwischen unauffälligen Grundschülern und jugendlichen Lernbehinderten untersucht wurde. Nach den Ergebnissen von Borys et al.(1981) waren die Lernbehinderten in ihrem Lösungsverhalten auf eine Strategie festgelegt, die sich auf maximal zwei Zugabfolgen beim„Turm von Hanoi“ erstreckte. Vergleichsweise zeigten die Grundschüler wesentlich differenzierteres Vorausplanungen über mehrere Zugkombinationen hinweg.
Diese Besonderheiten kommen auch in anderen Merkmalen zum Ausdruck, die zur Charakterisierung der Aufgabenbearbeitung beachtet werden. So nutzen Lernbehinderte die für die Problembearbeitung zur Verfügung stehende Zeit weniger effizient als unauffällige Kinder (vgl. Belmont& Butterfield 1971; Neber 1979). Insbesondere gelingt es ihnen dabei weniger günstig, die für den Lösungsverlauf maßgeblichen Arbeitsschritte zu realisieren(z.B. die Problemkonstruktion, die Antizipation von Lösungswesen, die Überführung von Informationen ins Langzeitgedächtnis).
Solche Defizite sind prinzipiell Förderungsmaßnahmen zugänglich, wie dies Borkowsky& Varnhagen(1984) zeigen. Sie vermittelten retardierten Kindern (durchschnittlicher IQ ca. 66) wahlweise eine Paraphrasierungsstrategie sowie eine mehrteilige Memorierungsstrategie im Zusammenhang mit dem Erwerb einer internen Repräsentation von Bildern. Beide Strategieformen waren einer Kontrollgruppe systematisch überlegen und führten auch zu einer anhaltenden und bereichsübergreifenden Leistungsverbesserung beim nachfolgenden Erlernen von Wortlisten.
Unter dem Aspekt der Strategienutzung
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ist zusammenfassend festzuhalten, daß sich Lernbehinderte charakteristischerweise wie jüngere Kinder oder ungeübte bzw. unerfahrene Problemlöser verhalten. Sie verfügen über keine angemessenen Strategien, an bestimmte Anforderungen heranzugehen und/oder übergeordnete Problemlöseheurismen zu entwickeln bzw. solche Herangehensweisen aus metakognitivem Wissen abzuleiten. Strategiedefizite dieser Art manifestieren sich nach bisherigen Forschungsergebnissen auch ganz erheblich im Kontext von Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistungen. Schließlich lassen sich solche Einschränkungen auch bei der Bewältigung komplexer sozialer Anforderungen bestätigen.
Geringeres Generalisierungsvermögen
Für retardierte Kinder wird oft ein im Vergleich zur unauffälligen Altersgruppe geringeres Generalisierungsvermögen nachgewiesen. Sie entnehmen Lernangeboten offensichtlich eingeschränkter die verallgemeinerbaren Informationen. Dafür ein anschauliches Beispiel: Lernbehinderte und Normalschüler bearbeiten den gleichen Intelligenztest zweimal im Abstand von mehreren Wochen. Es zeigt sich, daß die Normalschüler beim zweiten Durchgang signifikante Leistungsverbesserungen erreichen, die Lernbehinderten dagegen nicht(Lauth & Wiedl 1985). Dieses Ergebnis ist vermutlich darauf zurückzuführen, daß die Normalschüler aus ihrer ersten Testbearbeitung erfolgreiche Vorgehensweisen selektiv ableiten und bei der zweiten Untersuchung auch einsetzen. Die Sonderschüler benötigen dagegen die planmäßige Vermittlung leistungsoptimierender Vorgehensweisen, um eine Steigerung zu erzielen.
Ähnliche Erfahrungen liegen auch aus Interventionen vor, die Retardierten spezifische Fertigkeiten vermitteln. Die Ergebnisse lassen den Schluß zu, daß Retardierten generalisierungsfördernde Strategien systematisch vermittelt werden müssen, um einen Transfer des Gelernten auf ‚natürliche‘ Situationen
oder auf nicht geübte Anforderungen zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Dies zeigt, daß die zunächst mangelnde Generalisierung nicht aus einer prinzipiellen Unfähigkeit resultiert, sondern als Folge der Nichtanwendung bestimmter Strategien(Herauslösen wesentlicher Informationen, aktiver Umgang mit dem Lernangebot, Bildung von Oberbegriffen, Abstrahierung der Erfahrung in Form einer Regel) zu beurteilen ist(Lauth 1983a).
Lückenhafte Basisfertigkeiten
Die skizzierten Strategiedefizite und Mängel im metakognitiven Bereich gehen notwendigerweise mit unzureichend beherrschten Grundfertigkeiten einher. Zu solchen Basisfertigkeiten sind beispielsweise zu rechnen: genau zuhören können, genau hinsehen können, visuelle und akustische Reize systematisch vergleichen können, Wesentliches von Unwesentlichem instruktionsgerecht unterscheiden können, über grundlegende Rechenoperationen und elementare Lesefertigkeiten verfügen etc.
Individuelle Erfahrungen mit Anforderungen, die solche Fertigkeiten punktuell oder vernetzt beanspruchen, verdichten sich zu Handlungsmustern. Sind die Basisfertigkeiten nur unzureichend ausgebildet bzw. lückenhaft, so ist damit zunächst unmittelbar die Informationsaufnahme und-verarbeitung beeinträchtigt. Darüber hinaus führen Mängel auf dieser Ebene zu unzutreffenden Verallgemeinerungen und bei fehlerhafter Integration zu mangelhaften„Strategien“ (beispielsweise in Form einer Regel). Solch integriertes Wissen ist andererseits eine wichtige Voraussetzung für die Ableitung grundlegender Vorgehensweisen in anderen Anwendungsbereichen. Fehlen solche Strategien, so ist die Ausbildung übergreifender Verfahrensregeln erschwert, da der jeweilige Problemlöser erneut von Details absorbiert ist, die er ohne Rückgriff auf deklaratives Wissen hinsichtlich ihrer tatsächlichen Wichtigkeit nicht angemessen einschätzen kann. Dies führt in der Folge dazu, daß sich eine Informationsüberlastung einstellt, die
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 3, 1988