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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Gerhard W. Lauth& Peter F. Schlottke ­

Unterstützung von Förderungsmaßnahmen durch Mediatoren

wiederum die Ausführung von Basisfer­tigkeiten weiter beeinträchtigt.

Mängel dieser Art mit den beschriebe­nen Konsequenzen auch hinsichtlich der Verknüpfung zwischen verfügbaren Grundfertigkeiten und der Entwicklung von Strategien haben wir bei Lernbe­hinderten konsistent beobachtet.

Unzureichendes bereichsspezifisches Wissen

Angemessenes Handelns setzt neben strategisch-verfahrensbezogenen Hand­lungsstrukturen(wie sie im ersten Ab­schnitt besprochen wurden) auch Wissen über den jeweiligen Inhaltsbereich vor­aus, in dem das Problem angesiedelt ist (bereichsspezifisches Wissen).

Dieses bereichsspezifische Wissen ist we­sentlich daran beteiligt, Informationen einzuordnen, zu verarbeiten sowie Pro­blemräume zu identifizieren und inner­halb dieser Problemräume Lösungsstra­tegien zu entwickeln(Neber 1987). In­soweit ist auch Beobachtungen und Schlußfolgerungen zuzustimmen, WOoO­nach allein durch wiederholten Umgang mit inhaltsähnlichen Problemen eine verbesserte Problemlösefähigkeit ange­bahnt wird. Dies liegt u.a. daran, daß da­bei Wissen über einen bestimmten In­haltsbereich erworben und das zu lösen­de Problem auf einem höheren, integra­tiven Niveau abgebildet wird(Kluwe& Misiack 1984). Das bereichsspezifische Wissen ist jedenfalls ebenso konstitu­ierend für das effiziente Handeln eines Kindes und dessen Weiterentwicklung, wie die eingangs beschriebenen strate­gisch-operativen Handlungsmerkmale. Bisher liegen nur wenig und vor allem unsystematische Befunde zum bereichs­spezifischen Wissen Retardierter/Lern­behinderter vor. So gilt als gesichert, daß Lernbehinderte von einerreduzier­ten Lernbasis aus operieren ihnen al­so notwendige Konzepte und Ankerbe­griffe fehlen, um sich inhaltlich weiter­zuentwickeln. Darüber hinaus belegen sowohl Fallberichte(Lauth& Garten 1980a) als auch Gruppenuntersuchun­gen(Lauth& Wiedl 1985) das geringe bereichsspezifische Wissen lernbehinder­

ter Kinder. Lauth& Wiedl(1985) zei­gen beispielsweise in einer Untersuchung zum Instruktionsverständnis 913jähri­ger lernbehinderter Sonderschüler, daß die Begriffe ‚rechts links, ‚Dreieck, ‚Viereck bei der Mehrzahl nicht sicher bekannt bzw. verfügbar sind. Um über­dauernde Strategien bilden zu können, ist es aber notwendig, über die inhaltli­chen Handlungsvoraussetzungen zu ver­fügen: zu wissen, wie man etwas tun muß, erfordert gleichzeitig die Kenntnis, was dabei wesentlich ist. Ist dies nicht der Fall, so folgen aus unzureichendem bereichsspezifischen Wissen auch Strate­giedefizite. Dies führt wiederum zur mangelhaften Aneignung von Erfah­rungsinhalten.

Über dieses im engeren Sinn bereichsspe­zifische Wissen hinaus liegen Untersu­chungen zum metakognitiven Wissen (Kenntnis über ihr eigenes kognitives System) retardierter Kinder vor. So zeig­ten Brown, Campione& Murphy(1977) solchen Kindern(Intelligenzalter: 68 Jahre) zehn Bilder und fragten sie je­weils, wieviele sie davon glaubten, in ei­nem anschließenden Gedächtnistest wie­der erinnern zu können. Nur etwa 25% der Kinder konnten ihre Gedächtnis­spanne realistisch einschätzen; alle Kin­der jedoch, die ihre prinzipielle Lei­stungsfähigkeit hier unrealistisch(hoch) beurteilten, überschätzten ihre tatsächli­che Gedächtnisleistung oft in extremer Weise. Dieses Ergebnis verdeutlicht, daß diese Kinder kaum eine Notwendigkeit sehen, Strategieplanungen vorzunehmen oder ihr Handeln metakognitiv zu be­gleiten. Vielmehr glauben sie, das Hand­lungsziel ohne weitere Hilfsmittel errei­chen zu können.

Emotionen Motivation

Retardierte und vor allem lernschwache Kinder zeichnen sich dadurch aus, daß sie die von ihnen erwarteten Leistungen nicht erbringen und folglich häufig Miß­erfolge erleben. Diese Erfahrungen wir­ken sich ungünstig auf ihre Motivation, ihr Begabungsselbstbild sowie auf die Erwartung hinsichtlich künftiger Lern­anstrengungen aus. Langfristig verdich­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 3, 1988

ten sich solche Mißerfolge zu einem ne­gativen Begabungsselbstbild, positiv mo­tivierte Handlungen werden in solchen Bereichen immer weniger wahrschein­lich. Diese Kinder meiden Lernanforde­rungen bis zum völligen Anstrengungs­verzicht, weil sie nicht glauben, die so­zial verbindlichen Ziele erreichen zu können. Diese Überzeugung verhindert wiederum, daß sich die Kinder die unzu­reichend beherrschten Fertigkeiten schrittweise aneignen.

Mit diesen Befunden steht in Einklang, daß sich die Problemlösung Retardierter häufig durch eine geringe Stetigkeit so­wie durch das Aufgeben von Regeln im Bearbeitungsverlauf auszeichnet(Borys et al. 1981).

Nach unseren Beobachtungen an lernbe­hinderten Jugendlichen manifestieren sich solche Anzeichen kognitiver Über­forderung nicht ausschließlich in einem völligen Regelverzicht. Vielmehr sind Abstufungen derart festzustellen, daß beispielsweise beimTurm von Hanoi zunächst versucht wird, die Komplexi­tät von Instruktionen auf weniger Re­striktionen zu reduzieren. Damit wird die weitere Handlungsregulation bei Bei­behaltung der Zielstruktur erleichtert. Allerdings führt dies nur dann zu keiner ungünstigen Bewertung des Handlungs­ergebnisses, wenn es als positiver Zwi­schenschritt für eine weiterführende In­tervention aufgenommen wird.

Zur Interdependenz der Einzelkomponenten

Aus dieser Einschätzung wird klar, daß sich die Verhaltensbesonderheiten Lern­behinderter beim Problemlösen nur durch einen Mehr-Ebenen-Ansatz erklä­ren lassen, dessen Bestimmungslücke sich so zusammenfassen lassen:

Prinzipielle Basisfertigkeiten(Takti­ken),

bereichsspezifisches Wissen, Strategien,

metakognitive und selbstregulatori­sche Fertigkeiten,

emotionale Besetzung von Problem­lösehandlungen.

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