Gerhard W. Lauth& Peter F. Schlottke+
Diese Momente sind nicht unabhängig voneinander. Vielmehr bestehen— wie gezeigt— erhebliche Überschneidungen und wechselseitige Abhängigkeiten. Die mehrdimensionalen Ursachen eingeschränkter Problemlösefertigkeiten Lernbehinderter müssen sowohl für die Identifizierung von Interventionszielen als auch bei der Auswahl von Interventionsmaßnahmen systematisch beachtet werden.
Interventionsmaßnahmen bei retardierten Kindern
Die Einschätzung, daß kognitive Retardierung vor allem durch einen defizitären Handlungsprozeß charakterisiert werden kann, regte zahlreiche Anstrengungen an, die kognitiven Fertigkeiten dieser Gruppe zu verbessern. Solche Interventionsversuche können sich auf jedes der bisher beschriebenen Bestimmungselemente beziehen und etwa prinzipielle Taktiken, bereichsspezifisches Wissen, Handlungsstrategien und/oder metakognitive Fertigkeiten vermitteln oder aber die emotionale Besetzung der Problemlösehandlungen verändern. Oft beabsichtigen die Interventionsprogramme, mehrere dieser Teilfertigkeiten gleichzeitig zu beeinflussen und vermitteln den Kindern z.B. neben allgemeinen Handlungsstrategien auch metakognitive Regulationshilfen. Eine solche Vorgehensweise genügt zumindest konzeptuell der Forderung nach integrativer Förderung (Lauth& Garten 1980b). Ein Kompetenztraining, das jeweils nur einzelne Elemente beachtet, erscheint vergleichsweise wenig erfolgversprechend. Diese Schlußfolgerung wird durch empirische Befunde zur Förderung retardierter Kinder gut belegt. Exemplarische Ergebnisse zu Interventionen mit dem Ziel integrierter Vermittlung sollen daher im folgenden vorgestellt und besprochen werden.
Brown, Campione& Murphy(1977) trainierten bei lernbehinderten Kindern die Gedächtnisleistung durch informative Rückmeldung. Dazu vermitteln die Trainer bereichsspezifisches metakognitives Wissen hinsichtlich ihrer Abspei
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cherstrategien und ihres Zugriffs auf das Gedächtnis. Auf diese Weise wurden die Kinder befähigt, über ihre Erinnerungsfähigkeit realistische Erwartungen auszubilden. Sie erwarben also in der Tat metakognitives Wissen. Bei den jüngeren Kindern erwies sich dieser Effekt allerdings als nicht stabil: Sie kehrten bereits nach zwei Wochen zu ihren alten Leistungseinschätzungen zurück. Folglich scheint für sie die isolierte Vermittlung des metakognitiven Wissens nur einen geringen Nutzen zu besitzen. Daraus— und aus einer Vielzahl weiterer Interventionen— ist der Schluß zu ziehen, daß die Förderung lernbehinderter Kinder in eine übergreifende Handlungsstruktur eingebettet sein muß. Diese Voraussetzung ist vor allem dann gegeben, wenn den Kindern allgemeine Problemlösestrukturen vermittelt und sie angeleitet werden, aus diesen Strukturen konkrete Anwendungen abzuleiten. So zeigten Kendall, Borkowsky&(Cavanaugh (1980) sowie Berger et al.(1978) daß die Vermittlung von Erinnerungsstrategien und Informationen über deren Wirkungsweise die Leistungen bei Erinnerungsaufgaben verbessert und dazu beiträgt, diese erworbene Strategie auch beizubehalten. Der Vorteil dieser Vorgehensweisen gegenüber der zuvor berichteten Intervention von Brown, Campione& Murphy besteht darin, daß sich mit der Vermittlung mehrerer, sich ergänzender Fertigkeiten(Erinnerungsstrategien und metakognitives Wissen) die Intervention verbessert und stabilisiert. Die Einübung solcher metakognitiver Strategien beinhaltet ganz wesentlich handlungsregulierende Fertigkeiten wie z.B. das eigene Handeln sprachlich begleiten, Lösungsaktivitäten mit selbstreflexiven Fragen überprüfen, Stand und Fortkommen der eigenen Handlung klären etc.
Als zielführende Vermittlungsform hat sich das sogenannte Selbstinstruktionstraining(Meichenbaum& Goodman 1961) erwiesen. Dabei handelt es sich um ein Trainingsverfahren, bei dem den Kindern zunächst Handlungsstrategien sowie verbale Selbstanweisungen von einem Erwachsenen demonstriert werden. Die zunächst externalen Selbstinstruk
Unterstützung von Förderungsmaßnahmen durch Mediatoren
tionen werden zunehmend stärker internalisiert— wobei dieser Internalisierungsprozeß zunehmend vom modellierenden Erwachsenen auf das Kind übergeht—, um so die Handlungssteuerung zu optimieren.
Auf der Grundlage einer solchen Inter
ventionsgestaltung lehrte Masendorf (1983) lernbehinderten Kindern handlungsregulierende—Selbstanweisungen,
die an allgemeinen Problemlöseprozessen(z.B. Anforderungs-, Materialanalyse) orientiert waren. Diese Intervention vermittelte den Kindern also eine allgemeine Problemlösestruktur sowie ein Instrument(die Selbstanweisung), ihr Handeln innerhalb dieser Struktur zu regulieren. Die Arbeitshaltung der Kinder wurde auch bei nichttrainierten Aufgaben eines Konzentrationstestes deutlich verbessert. Der Nutzen selbstregulatorischer Fertigkeiten besteht offensichtlich vor allem darin, daß die Kinder prinzipiell bereits beherrschte Aufgaben organisierter und reflektierter bearbeiten. Von einer Verbesserung dieser Ausführungsfertigkeit ist allerdings noch keine unmittelbare Verbesserung etwa des bereichsspezifischen Wissens oder des situationsübergreifenden strategischen Handelns zu erwarten. Daher überrascht es auch nicht, daß bei der Intervention von Masendorf noch kein Transfer auf eine verbesserte Begriffsbildungsleistung festzustellen ist. Die Fähigkeit zur Bildung kategorialer Oberbegriffe kann durch die Vermittlung selbstregulativer Momente also nicht nennenswert gesteigert werden. Dieses Ergebnis stützt mithin den skizzierten Mehr-Ebenen-Ansatz bei der Erklärung kognitiver Retardierung. Anhand dieser Modellvorstellung wurde bereits klar, daß die Vermittlung selbstregulatorischer Fertigkeiten allein nicht automatisch andere Handlungsmomente, wie z.B. das bereichsspezifische Wissen mitfördert. Weiter belegt dieser Befund, daß die jeweils angestrebten Interventionsziele hinreichend spezifiziert und mit differentiellen Verfahren verknüpft werden müssen. Wenn es so beispielsweise gelingt, wesentliche informationsverarbeitende Prozesse zu verändern(z.B. den Grad der Selbstreflexion erhöhen, Lernaktivitäten sowie Problem
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 3, 1988