F. Peterander+
Familiäre Umwelt und die Entwicklung von Risikokindern
relle Züge eines sozialen Systems wie Macht, Prestige, Zugang zu Informationen und Dienstleistungen, sondern auch unmittelbare Umweltbedingungen, welche Verhalten beeinflussen, aber nicht notwendigerweise ein Teil des SÖS-Systems sein müssen. Hess(1970) hat die Faktoren beschrieben, die die Einflüsse des sozialen Status auf die Sozialisation des Kindes wirksam werden lassen:
„Members of the society differ with respect to the prestige of their occupations, power to influence the institutions of the community, economic resources, and the availability of educational and occupational opportunity, and that different levels of socioeconomic status offer children experiences which are both different and unequal with respect to the resources and rewards of the society”(S. 457).
Er diskutiert auch anhand einer Reihe von Fragen die Beziehungen zwischen unterschiedlichen sozialen Strukturen und den frühen Erfahrungen der Kinder:
“What are the conditions of the external social and cultural world in which the child lives? What are the adaptive consequences which the adults in the environment acquire in their interaction with the system? In what specific forms do these adult orientations appear in interaction with children? What are the behavioral outcomes of these experiences in children? This outline assumes a linkage between the society, its institutions and conditions of life, and the behaviour of adults who then act as socializing and teaching agents for their children”(S. 464).
Kohn(1973) versucht, diesen starken Einfluß des sozialen Status dadurch zu erklären, daß sich die Schichten sowohl bezüglich der Häufigkeit von Stressbelastungen als auch in der Art und Weise, wie sie mit diesen belastenden Ereignissen umgehen, unterscheiden. Der Umgang mit belastenden Situationen fällt nach den Ergebnissen seiner Studien Personen aus niedrigeren sozialen Schichten schwerer als Personen aus einer höheren sozialen Schicht.
Allgemein läßt sich aus den berichteten Ergebnissen der einzelnen Untersuchungen zum SÖS der Eindruck gewinnen, daß trotz gradueller Unterschiede in der Bewertung seines Einflusses auf die Kindesentwicklung Einigkeit über die Be
deutsamkeit dieser komplexen Variable besteht. Sie wird auch unterstrichen durch die Ergebnisse einer Längsschnittuntersuchung von Heinicke et al.(1983) über den Zusammenhang zwischen Charakteristiken der Mütter und der kindlichen Entwicklung im ersten Lebensjahr. Die Autoren gingen unter anderem der Frage nach, in welchem Umfang Kompetenzen im Umgang mit dem Kind und mütterliche Intelligenzleistungen mit dem sozioökonomischen Status der Familie korrelieren. Zwischen den beiden Variablen und dem SÖS fanden sich signifikante negative Korrelationen. Die Kompetenz der Mütter in der Handhabung von Problemsituationen mit dem Kind korrelierte r=-0.34(p< 0.05), die Gesamtintelligenz der Mütter r= -0.38(p<0.05) mit der Schichtzugehörigkeit. Nicht zuletzt haben Arbeiten aus dem Bereich der Erziehungsstilund Intelligenzforschung zeigen können, daß Unterschiede im SÖS mit hoher Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auf das Vorhandensein erzieherisch förderlicher oder hemmender Familienbedingungen bzw. auf die Entwicklung der Intelligenz eines Kindes haben. Oftmals korrelieren geringe Intelligenzleistungen mit einem niedrigeren SÖS. Die Unterschiede in der Intelligenzentwicklung der Kinder verschiedener Schichten verfestigen sich mit fortlaufender Kindesentwicklung immer mehr, da sich der positive bzw. negative Trend in der kognitiven Entwicklung immer stärker ausprägt(Wohlwill 1980).
Psychische Erkrankungen der Eltern
Die Auswirkungen unterschiedlicher Arten von psychischen Erkrankungen der Eltern auf ihre Interaktion mit dem Kind und folglich auf seine Entwicklung zeigen sich immer wieder in psychologischen Forschungsarbeiten in diesem Bereich(Griest et al. 1980; Patterson 1982). Solche Eltern haben mit höherer Wahrscheinlichkeit beeinträchtigte Kinder als vergleichbare gesunde Eltern (Rutter 1977; Wahler& Dumas 1983).
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 3, 1988
Auch Sameroff& Seifer(1983) berichten vom wesentlichen Einfluß dieser Elternvariable auf die sozial-emotionale Kompetenz des Kindes. Nach ihren Ergebnissen erklärt die psychische Befindlichkeit der Mutter 16% der Varianz, der soziale Status 10% der kindlichen Entwicklung.
Andere Studien weisen darauf hin, daß viele beeinträchtigte Kinder aus der sozialen Unterschicht kommen und in diesen Familien häufiger Alkoholismus, psychopathologisches Verhalten und Neurosen feststellbar sind(Morris& Stewart 1971; Cantwell 1972). Diese psychopathologischen Muster werden in den Familien häufig weitergegeben (Rutter 1977).
Familiäres Klima
Auch das familiäre Klima und die Stabilität der Familie erwiesen sich in vielen Langzeitstudien mit Risikokindern als eine ihre Entwicklung wesentlich beeinflussende Variable.
Bei der Kauai-Studie(Werner et al. 1977) hatte der größte Teil der 10-jährigen Kinder, die bei der Geburt als MCD-gefährdet eingestuft worden waren, gravierende Gesundheitsprobleme. Diese Kinder kamen aus Familien mit sehr instabilen Verhältnissen. Dagegen zeigten ebenfalls als MCD-gefährdet diagnostizierte Kinder unter stabilen Familienverhältnissen sehr viel weniger solche Probleme. Interaktionseffekte zwischen familiärer Stabilität, Geburtskomplikationen und niedrigem Geburtsgewicht konnte auch Drillen(1964) nachweisen. Eine interessante Analyse führten Owen et al.(1971) im Hinblick auf diese Fragestellung durch. Sie verglichen Kinder derselben Familie und beobachteten dabei, daß Kinder mit MCD weitaus stärker in negativer Weise auf Desorganisation und Instabilität innerhalb der Familie reagierten als ihre gesunden Geschwister. Die Autoren vermuten, daß die festgestellten organischen Schädigungen eines Kindes in der Familie die Wahrscheinlichkeit erhöhen, daß die Eltern aus Überlastung und Angst das familiäre
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