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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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F. Peterander ­

Familiäre Umwelt und die Entwicklung von Risikokindern

Umfeld nicht ausreichend strukturieren, und daß dies bei ihnen zu emotionaler Instabilität führt, die sich negativ auf die Entwicklung des Kindes auswirkt. Das emotionale Klima und die Stabilität der Familie erwiesen sich auch bei Kop­pitz(1971) und Minde et al.(1972) als besonders guter Prädiktor für eine posi­tive bzw. negative Entwicklung beein­trächtigter Kinder und Jugendlicher.

Eltern-Kind-Interaktion

Bereits die vorausgehenden Ergebnisse lassen vermuten, daß Form und Inhalt der Interaktionen der Eltern mit dem Kind seine Entwicklung während der ge­samten Dauer der Kindheit und Jugend in hohem Maße beeinflussen. Elterliche Interaktionsmuster können sowohl die emotionale als auch die intellektuelle Entwicklung der Kinder hemmen bzw. fördern(Peterander 19870).

Auch in der Kauai-Studie korrelierte ei­ne niedrige Einschätzung der erzieheri­schen Stimulation der 10-jährigen beein­trächtigen Kinder durch die Eltern eng mit ihren Leistungsproblemen(Werner & Smith 1977). Hier erwiesen sich die Eltern-Kind-Interaktionen als stärkere Prädiktoren als der SÖS der Familie. In gleichem Sinne bestätigen auch die Er­gebnisse von Paternite et al.(1976) die bedeutsame Rolle der Elternvariablen bei MCD-Buben im Vergleich mit dem SÖS.

Bei den Ergebnissen zur Eltern-Kind-In­teraktion wird auch zunehmend deut­lich, wie entscheidend die Wahrneh­mung der Kinder durch die Eltern(Lor­ber et al. 1982), ihre Erwartungen und Befürchtungen ihr Verhalten bestimmen und letztlich auf das Kind zurückwirken (Patterson& Reid 1984). Owen et al. (1971) fanden z.B. signifikante Unter­schiede bei Mittelschichtsfamilien hin­sichtlich der Wahrnehmung, der Emotio­nalität und der erzieherischen Haltung der Eltern beeinträchtiger Kinder im Vergleich zu einer Kontrollgruppe. Müt­ter der Experimentalgruppe fühlten sich durch das Verhalten ihrer Kinder öfter gestört und neigten eher dazu, ihren Kindern die Zuwendung zu entziehen.

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Anmerkungen

Nicht allein ein Faktor ist somit für den Einfluß der Umwelt auf die kindliche Entwicklung verantwortlich. Die ver­schiedenen Studien lassen eher den Schluß zu, daß sich die erklärenden Va­riablen und Bedingungen in sehr unter­schiedlicher Weise berühren und überlap­pen. Entwicklung ist somit das Ergebnis des Zusammenwirkens eines aktiven Or­ganismus und einer ihn umgebenden, gleichfalls aktiven Umwelt. Beide Syste­me treten in Interaktion miteinander, verändern sie und werden verändert. Ei­ne bidirektionale und systemische Sicht­weise der Entwicklung von Personen ist deshalb nicht nur angebracht, sondern gefordert. Nur sie kann bei kindlichen Beeinträchtigungen wesentliche Beiträ­ge zu ihrer Identifikation und Spezifi­zierung auf Interaktionsebene bereit­stellen. Dieser Gesichtspunkt spielt bei unseren Überlegungen bei der Analyse von Interaktionen eine wesentliche Rol­le. Doch Störungen können entspre­chend den Differenzen in der Ätiologie sehr vielfältiger Art sein. Diese Fest­stellung trifft wie wir gesehen haben insbesondere auf Kinder mit der Dia­gnose MCD zu. Das oft verwirrende Kon­zept des MCD-Syndroms scheint beson­ders geeignet zu sein, die Differenziert­heit von Interaktionen und die sie be­einflussenden Variablen zu untersuchen und in Beziehung zu setzen zu den in der Person des beeinträchtigten Kindes liegenden Problemen. Auf diese Weise werden auf den Einzelfall und den ein­zelnen Störungstyp bezogene therapeu­tische Eingriffe erst möglich.

Bislang mit Verhaltens- und neurologi­schen Merkmalen vermengte MCD-Dia­gnosen lassen sich auch als Konsequenz auf die berichteten systematischen Stu­dien nicht länger aufrechterhalten und werden vor allem so diagnostizierten Kindern und ihrem Anspruch auf Hilfe nicht gerecht. Benachteiligungen der Kinder auch solche mit organischen Ursachen können durch eine unter­stützende Umwelt nicht nur ausgegli­chen, sondern sogar verhindert werden. Eine stark zerrüttete und wenig förder­liche Umwelt hingegen kann viele der

MCD-Kinder in die Situation versetzen, die Sameroff& Chandler(1975) als caretaking casualty bezeichnen, d.h: die Zwangsläufigkeit, mit der unab­hängig von der biologischen Ausstat­tung ungünstige Umweltbedingungen zu Auffälligkeiten beim Kind führen.

Familienvariablen als Determinanten der kindlichen Entwicklung

Die im vorigen Abschnitt aufgeworfe­nen Fragen bilden den Hintergrund für unsere Suche nach weiteren Familienva­riablen, die einen Einfluß haben auf die Interkation zwischen Eltern und ihren Kindern und somit auf deren emotiona­le, soziale und kognitive Entwicklung. Gleichzeitig wollen wir der Frage nach­gehen, weshalb Erfolge bei Interventio­nen in Eltern-Kind-Beziehungen nicht in der erwünschten Weise über die Zeit auf­rechterhalten werden können. Eine Viel­zahl kontrollierter Interventionsstudien und Beobachtungen im therapeutischen Alltag lassen solche unbefriedigenden Generalisationsergebnisse erkennen (McMahon& Forehand 1984; Peteran­der 1987a).

In diesem Zusammenhang schien es sinn­voll, nach außerhalb der familiären In­teraktion liegenden Bedingungen und Ursachen zu suchen, die scheinbar das Verhalten der Interaktionspartner nicht unwesentlich mitbestimmen, jedoch nicht unmittelbar beobachtet werden können. Einige dieser einflußreichen Determinanten des FElternverhaltens wurden im vorausgehenden Abschnitt bereits erwähnt. Zu denken ist hier an finanzielle Belastungen der Familie, psy­chische Befindlichkeiten der Eltern, ih­ren sozioökonomischen Status und bela­stende Lebensereignisse.

Angesichts der Bedeutung dieser Deter­minanten des Elternverhaltens für den langfristigen Erfolg einer Eltern-Kind­Therapie wollten wir diesen Themen­kreis eingehender untersuchen(Peteran­der 1987b).

Insbesondere interessierte uns, inwie­weit Umgebungsbedingungen, Probleme

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 3, 1988