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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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W.E. Fthenakis, R. Niesel& R. Oberndorfer+

Die Partnerebene und die Elternebene im familialen Beziehungsgeflecht wer­den hierbei deutlich unterschieden. Daraus ergeben sich wichtige Konsequen­zen für die beratende und therapeuti­sche Arbeit mit Scheidungsfamilien von der Vorscheidungsphase(Entscheidungs­findung) über die eigentliche Scheidung (Trennungsarbeit, Sorge- und Umgangs­rechtsregelung) zur Nachscheidungspha­se(Neuorganisation, Anpassung an die neuen Lebensbedingungen und Bezie­hungsqualitäten) und nicht selten für die erneute Umstrukturierung im Falle der Wiederheirat eines oder beider geschie­dener Ehepartner.Aus therapeutischer Perspektive gibt es keine alleinerziehen­den Eltern.... der Einfluß der Nicht­sorgeberechtigten muß berücksichtigt werden. Die Parallelen zwischen voll­ständigen und geschiedenen Familien sind größer als noch bis vor kurzem an­genommen.(Koch& Lowery 1984) Betrachtet man neuere Interventionsan­sätze, die für Scheidungsfamilien ent­wickelt wurden(Fthenakis 1986), so fällt auf, daß es kaum Ansätze gibt, die sich mit den Bedingungen der Vater­Kind-Beziehung in der Scheidungssitua­tion auseinandersetzen. Diese Beziehung hat aber nicht nur einen sozialen, son­dern auch einen instrumentellen Charak­ter(Hetherington& Hagan 1986). Mit anderen Worten, auch die pragmatischen Seiten von Vaterschaft dürfen nicht ver­nachlässigt werden.

Die Bedeutung des Vaters für das Kind während und nach der Scheidung

Die in der ökonomischen Entwicklung begründete weitgehende Trennung von Erwerbstätigkeit und Familientätigkeit und die damit verbundene Aufwertung der Bedeutung der Mutter für die Ent­wicklung der Kinder, wie sie in derten­der years doctrine zum Ausdruck kommt, legte den Vater zunehmend auf eine Ernährerrolle fest. Wenn sich auch in jüngster Vergangenheit die Tendenz zeigt, den Vater in seiner Bedeutung für die kindliche Entwicklungwiederzu­

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entdecken, hat dies bislang noch wenig daran geändert, daß im Scheidungsfall in 84% der Fälle die Mutter das alleinige Sorgerecht für die Kinder übernimmt und der Vater auf ein Umgangsrecht be­schränkt wird(Fthenakis 1985b). Er­schwerend kommt hinzu, daß auch die Väter selbst vielfach annehmen, sie sei­en für die Kinder eher verzichtbar als die Mutter(Maidment 1981). Untersu­chungen zur Entwicklung der Kinder in der Nachscheidungssituation unterstüt­zen jedoch die Annahme von der relativ geringeren Bedeutung des Vaters in kei­ner Weise. Vielmehr hat sich gezeigt, daß Kinder die Scheidung dann am be­sten verarbeiten, wenn beide Eltern in ihrem Leben präsent bleiben. Ebenso liegen Untersuchungen vor, die nachwei­sen, daß Väter als alleinerziehende El­tern ebenso kompetent sind wie alleiner­ziehende Mütter.

Der nichtsorgeberechtigte Vater

Die Bedeutung, die der nichtsorgebe­rechtigte Vater in der Nachscheidungssi­tuation für die Kinder hat, muß vor dem Hintergrund seiner eigenen Bewältigung des Scheidungsgeschehens betrachtet werden. Die Bewältigungsphase ist ge­kennzeichnet durch emotionale Proble­me, Verlustgefühle, Konflikte, Verände­rungen im Selbstkonzept sowie der so­zialen Rollen, die Neugestaltung des täg­lichen Lebens und nicht zuletzt die Re­organisation der Familie unter den Be­dingungen des Scheidungsgeschehens.

Es hat sich gezeigt, daß das Ausmaß der Beteiligung des Vaters an der Kinderbe­treuung und-erziehung vor der Schei­dung wenig Aussagekraft für seine Betei­ligung nach der Scheidung hat. Manche, während der Ehe stark an der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder beteiligten Väter, ziehen sich nach der Scheidung zurück, während andere, die sich wäh­rend der Ehe wenig um die Kinder ge­kümmert haben, nach der Scheidung großes Engagement im Umgang mit den Kindern entwickeln.

Die Bedeutung des Vaters in geschiedenen und wiederverheirateten Familien

Dennoch läßt sich ein häufig vorkom­mendes Grundmuster hinsichtlich der Kontakthäufigkeit der Väter beschrei­ben. Während der ersten Monate nach der Scheidung halten nichtsorgeberech­tigte Väter häufig das gleiche Ausmaß an Beteiligung wie vor der Scheidung aufrecht, nicht wenige verbringen sogar mehr Zeit mit ihren Kindern. Die Moti­ve dafür können unterschiedlich sein (Hetherington& Hagan 1986): Manche Väter erleben den mit der Scheidung einhergehenden Fortfall der täglichen Familienkonflikte als Erleichterung und können unter diesen Bedingungen die Beziehung zu ihrem Kind unbeschwerter erleben; andere sehen in der Aufrechter­haltung von Kontakten eine Verpflich­tung oder fühlen sich ihren Kindern oder aber auch der ehemaligen Partnerin eng verbunden. Vielfach ist auch der Wunsch nach Kontinuität und Struktur im eigenen Leben Anlaß für den regel­mäßigen und häufigen Kontakt mit den Kindern(Dominic& Schlesinger 1980; Hetherington, Cox& Cox 1982; Waller­stein& Kelly 1980; Weiss 1975).

In vielen Fällen reduziert sich aber der Kontakt nach einiger Zeit. Dies kann darauf zurückgeführt werden, daß sich beide Eltern über die Bedeutung der Aufrechterhaltung der Vater-Kind-Be­ziehung nicht im klaren sind, die Mütter die Kinder zum Kontakt mit dem Vater nicht ermutigen, ihn möglicherweise er­schweren oder gänzlich zu unterbinden versuchen. Auf der anderen Seite kann das Leid der sich immer wiederholenden Trennungen den Vater dazu verleiten, die zeitlichen Abstände zwischen den Besuchen zu vergrößern(Hetherington, Cox& Cox 1976). Auch kann es für den Vater mit zunehmendem Alter der Kin­der und der damit verbundenen verstärk­ten Hinwendung zu KGleichaltrigen schwierig werden, die gemeinsame Zeit befriedigend zu gestalten und gemeinsa­me Interessen zu finden. Viele Väter be­klagen das unterhaltungsorientierte Zu­sammensein mit ihren Kindern und die Unmöglichkeit, auf ein Kind stärker ein­zugehen, wenn mehrere Kinder vorhan­den sind. Anlaß zu diesen Klagen geben die vielfach weder den Bedürfnissen der Kinder noch der Väter angemessenen

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 3, 1988