Zeitschrift 
Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
Seite
184
Einzelbild herunterladen

W.E. Fthenakis, R. Niesel& R. Oberndorfer ­

die Scheidungs- und Nachscheidungssi­tuation zu verarbeiten und zu gestalten (Santrock, Warshak& Elliott 1982). Aufgrund der vorliegenden Forschungs­literatur kann festgestellt werden, daß Familien mit alleinerziehendem Vater in ihrer Sozialisationskompetenz ebenso gut sein können wie Familien mit allein­erziehender Mutter.

Insgesamt scheint es nicht gerechtfertigt, der Mutter bei Sorgerechtsentscheidun­gen allein aufgrund ihres Geschlechtes den Vorrang zu geben. Auf der anderen Seite ist zu wünschen, daß Väter ihre Bedeutung für die Kinder nicht unter­schätzen und sich vermehrt zutrauen, auch die Verantwortung für sie zu über­nehmen. Die bei Vätern selbst immer noch weitverbreitete Ansicht, daß sie nur dann die Sorge für ihre Kinder bean­spruchen könnten, wenn die Mutter nachweislich nicht in der Lage ist oder es ablehnt, die elterliche Sorge zu über­nehmen, verhindert oftmals, daß dieje­nige Regelung übernommen wird, die dem Kindeswohl am ehesten entspricht. Umgekehrt könnte eine größere Selbst­verständlichkeit des väterlichen Sorge­rechts dazu führen, daß die Mütter, die das Sorgerecht für ihre Kinder nicht übernehmen können oder wollen, nicht wie bisher alsRabenmütter stigmati­siert werden.

Die Position des Kindes im Scheidungs­konflikt und in der Zeit danach wird zu­nehmend neu gesehen und seinen Be­dürfnissen entsprechend beurteilt. Die Trennung der Eltern ist vorrangig Aus­druck der Konflikte der Erwachsenen, und in der Regel steht sie im Gegensatz zu den Wünschen und Bedürfnissen der Kinder. Kinder wollen und brauchen beide Eltern, und unter dieser Perspekti­ve kann es nicht verwundern, daß den Kindern die Anpassung an die familiale Konstellation nach der Scheidung am besten gelingt, wenn beide Eltern im Le­ben des Kindes präsent bleiben und ih­rer elterlichen Funktionen erfüllen. Dies ist bei richtiger Bewertung des Umgangs­rechts auch für den nichtsorgeberechtig­ten Elternteil möglich. Vom Selbstver­ständnis der Eltern her betrachtet, schafft aber die gemeinsame elterliche Sorge nach der Scheidung(Folberg

184

1984; Fthenakis 1984; Greif 1979, Steinmann 1984) sicherlich die besten Voraussetzungen dafür.

Implikationen für Interventionsansätze

Wie bereits angedeutet, hat sich die Sicht der Scheidungsfamilie verändert: Nicht mehr die Auflösung der Familie steht im Mittelpunkt der Betrachtung. Immer dann, wenn Kinder von einer Ehescheidung betroffen sind, interagie­ren nach einer Scheidung dieselben Per­sonen, allerdings unter veränderten Be­dingungen und mit veränderten Bezie­hungsqualitäten. Ehescheidung ist ein sich über die Zeit erstreckendes Gesche­hen, ein Prozeß, bei dem alle Beteilig­ten mehr oder weniger starke Verände­rungen bewältigen müssen, also zeitlich wie psychisch gesehen, einen Entwick­lungsraum brauchen. Die Handlungsan­forderungen, die an die Familienmitglie­der gestellt werden, sind weitgehend un­bekannter Art, d.h. eingeübte bzw. nor­mative Handlungsmuster stehen nicht zur Verfügung, und die Handlungsfähig­keit der Betroffenen ist daher eher ein­geschränkt.

Zahlreiche Interventionsansätze für die Zeit während und nach einer Scheidung verfolgen daher das Ziel, die Familien­mitglieder in die Lage zu versetzen, die unterschiedlichen Aufgabenstellungen, die sich in den verschiedenen Phasen des Scheidungs- und Nachscheidungsprozes­ses stellen, zu bewältigen. Dabei muß zwischen unterschiedlichen Ebenen un­terschieden werden. D.h. die Bedürfnisse und Handlungsanforderungen auf der individuellen Ebene(z.B. die Erlangung neuer Kompetenzen zur Wiederaufnah­me einer Berufstätigkeit) sind andere als die auf der Paarebene(z.B. Trennungsar­beit), welche wiederum deutlich zu tren­nen sind von solchen der Elternebene. Damit sind die Bedürfnisse und das Wohlergehen der Kinder angesprochen, d.h. es stehen familiale Aufgaben zur Diskussion, die trotz der Eheauflösung weiterbestehen und für deren Erfüllung neue Organisationsformen erarbeitet werden müssen.

Die Bedeutung des Vaters in geschiedenen und wiederverheirateten Familien

Eine systemorientierte Sichtweise der Scheidungsfamilie impliziert eigentlich zwangsläufig die Berücksichtigung der Bedeutung des Vaters im Beziehungs­netz der Familie und ganz besonders auch die Beziehung zwischen Vater und Kind. Dennoch entsteht nicht selten der Eindruck, daß die Beratungsangebote und-inhalte an einem eher traditionel­len Vaterbild(sowohl der Berater als auch der Betroffenen) ausgerichtet sind und somit wichtige Potentiale für eine positive Gestaltung der Nachscheidungs­situation ungenutzt bleiben. Damit soll nicht gesagt werden, daß es lediglich darum geht, spezielle Beratungsangebo­te für Väter zu entwickeln. Sicherlich könnten Angebote zum Selbstverständ­nis der Väter, aber auch zu den ganz all­täglichen Kompetenzen, die eine Vater­Kind-Beziehung erfordert, eine wichtige und wünschenswerte Ergänzung im Spektrum der Interventionsansätze dar­stellen. Noch wichtiger aber scheint es, den Aspekt der elterlichen Verantwor­tung im Scheidungs- und Nachschei­dungsprozeß in den praktizierten Inter­ventionsmodellen auf eine adäquate Be­rücksichtigung der Bedeutung des Vaters hin zu überpüfen und entsprechende Schwerpunkte zu setzen.

Im folgenden sollen einige Interventions­ansätze vorgestellt werden, um einen Eindruck von der Vielfältigkeit der Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten im Scheidungsgeschehen zu vermitteln. Inwieweit der Bedeutung des Vaters in den einzelnen Ansätzen Rechnung getra­gen wird, hängt sehr stark von der Trä­gerinstitution bzw. von der Einstellung und vom Wissen des einzelnen Beraters ab die Möglichkeiten dazu lassen sich in fast allen Ansätzen erschließen.

Die Konzepte und Ansätze zur Schei­dungsberatung, die bis heute dokumen­tiert sind, zeichnen sich durch verschie­dene Schwerpunkte und eine höchst un­terschiedliche Komplexität aus(LAbate & McHenry 1983; Fthenakis, Niesel& Kunze 1982; Kaslow 1981). Interessan­terweise entwickelten sich solche An­sätze nicht im Rahmen der traditionel­len Familienberatung und-therapie, son­dern sind durch die Erkenntnisse der Forschungsarbeiten zur Scheidungsfami­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 3, 1988